Gemeinsamer orthodox-katholischer Arbeitskreis Sankt Irenäus - Kommuniqué 2021

19. Oktober 2021

Zu seiner Jahrestagung traf der Gemeinsame orthodox-katholische Arbeitskreis St. Irenäus 2021 auf Einladung des Instituts für ökumenische Studien der Päpstlichen Universität St. Thomas von Aquin in Rom zusammen. Vom 6. bis 10. Oktober berieten die katholischen und orthodoxen Theologen über kirchliche Schismen in Vergangenheit und Gegenwart und die Frage, wie diese überwunden werden können. Die Arbeitsgruppe wurde von Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rats zur Föderung der Einheit der Christen, und anschließend von Papst Franziskus empfangen. Zum 2004 gegründeten Arbeitskreis gehören 13 katholische und 13 orthodoxe Theologen aus Europa und den USA, die nicht ihre Kirchen vertreten, sondern aufgrund ihrer theologischen Kompetenz berufen werden. Der Arbeitskreis sieht es als seine „Aufgabe an, in einem internationalen, Sprach- und Kulturgrenzen übergreifenden Arbeitskreis die den gegenwärtigen Problemen zugrunde liegenden, tiefergehenden Unterschiede in den Mentalitäten, Denkformen und der Art, Theologie zu treiben, zu erforschen, ihre Eigenart zu verstehen und nach Wegen zu suchen, wie sich beide Traditionen gegenseitig bereichern können, ohne ihre Identität zu verlieren”. Die Ergebnisse seiner Jahrestagungen teilt er jeweils in einem Kommuniqué mit.

 

Kommuniqué – Rom 2021
Der Gemeinsame orthodox-katholische Arbeitskreis St. Irenäus kam auf Einladung des Instituts für ökumenische Studien der Päpstlichen Universität St. Thomas von Aquin (Angelicum) vom 6. bis 10. Oktober 2021 zu seiner 17. Jahrestagung in Rom zusammen. Die Tagung stand unter der Leitung des orthodoxen Ko-Vorsitzenden Metropolit Serafim (Joantă) von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa (Rumänische Orthodoxe Kirche) und des katholischen Ko-Vorsitzenden Bischof Gerhard Feige von Magdeburg.

Vor Beginn der Tagung fand am Angelicum eine Vorkonferenz statt, bei der über die gemeinsame Studie des Arbeitskreises „Im Dienst an der Gemeinschaft – Das Verhältnis von Primat und Synodalität neu denken“ (2018) diskutiert wurde. Neu war bei diesem Treffen die Einladung von zwei externen Experten (für Exegese) und von drei jungen Doktoranden als Beobachter.

Beim Eröffnungsplenum am 6. Oktober berichteten die Ko-Vorsitzenden über die Arbeit der Gruppe in den letzten zwei Jahren, insbesondere über die Übersetzung der gemeinsamen Studie in zwölf Sprachen, zuletzt ins Arabische.

Am Donnerstag, 7. Oktober, wurde die Gruppe am Morgen von Kardinal Kurt Koch im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen empfangen. Kardinal Koch begrüßte die Arbeit der Gruppe als Unterstützung des internationalen katholisch-orthodoxen Dialogs. Anschließend wurde der Irenäuskreis von Papst Franziskus in einer Privataudienz empfangen, der in seiner Ansprache die Arbeit der Gruppe und die gemeinsame Studie würdigte. Er konstatierte, dass „wir zu der Einsicht gelangt sind, dass Primat und Synodalität nicht zwei konkurrierende Prinzipien sind, sondern zwei Realitäten, die sich im Dienst an der Gemeinschaft gegenseitig begründen und stützen“. Papst Franziskus hob auch hervor, dass der hl. Irenäus von Lyon ein angemessener Patron des Arbeitskreises sei, und kündigte im Rahmen der Audienz an, er werde den hl. Irenäus bald als „Doctor unitatis“ („Lehrer der Einheit“) zum Kirchenlehrer erklären.

Während der Tagung nahmen die Mitglieder an den Morgengottesdiensten beider Traditionen teil. Am Samstag, 9. Oktober, besuchte die Gruppe morgens die Domitilla-Katakomben und nahm an einer Messe teil, der Bischof Feige vorstand.

Nach der Veröffentlichung von „Im Dienst an der Gemeinschaft“ wendete sich der Arbeitskreis nun dem Schwerpunktthema „Einheit und Schisma“ zu. Die Gruppe begann ihre Arbeit mit zwei exegetischen Vorträgen von externen Experten zu Einheit und Schisma im Alten bzw. Neuen Testament. Anschließend behandelte die Gruppe zwei Fallstudien aus der frühen Kirche: den Osterfeststreit und die Briefe des hl. Ignatius von Antiochien. Ein weiteres Thema war die Präsentation und Erörterung des jüngsten Dokuments der orientalisch-orthodox / römisch-katholischen Dialogkommission über die Verwirklichung der Communio im Leben der Alten Kirche. Ein drittes Hauptthema war die Suche nach Einheit im 20. und 21. Jahrhundert. Im Mittelpunkt standen dabei die Wiedervereinigung der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland mit dem Moskauer Patriarchat (2007) und die Methodik, die den jüngsten Dialogen zwischen der Katholischen Kirche, den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen und der Assyrischen Kirche des Ostens zugrunde liegt.

Die Überlegungen des diesjährigen Treffens wurden von den Teilnehmern in den folgenden Thesen zusammengefasst:

Thesen zu Einheit und Schisma in der Heiligen Schrift
(1) Im Alten Testament wird die Einheit des Menschengeschlechts auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgeführt. Allerdings hat das auserwählte Volk Israel seine Identität durch eine Reihe von Trennungen von den umliegenden Völkern erlangt. Dieser Prozess wird indirekt in den zahlreichen Berichten über die Trennung von Brüdern aus ein und derselben Familie beschrieben, in denen der Jüngere den Älteren verdrängt: Erwählung bleibt von einer einzigen Abstammungslinie abhängig, während die getrennten Brüder zu den Urvätern der Nachbarvölker werden.

(2) Die christliche Gemeinschaft wird durch die Einheit gebildet, die Christus gebracht hat, der gekommen ist, um die zerstreuten Kinder Gottes zu sammeln (Joh 11,52). Er ist es, der "die trennende Wand der Feindschaft" (Eph 2,14) zwischen Israel und den anderen Nationen niedergerissen hat. Im Neuen Testament sind Einheit und Vielfalt nicht gegensätzliche, sondern einander ergänzende Realitäten. Das Heil, das Christus gebracht hat, schenkt uns den Geist, der, ohne die Vielfalt der Kulturen abzuschaffen, an Pfingsten alle Völker zusammenführt und der christlichen Gemeinschaft eine Berufung zum Verstehen inmitten von Vielfalt gibt.

(3) Auch wenn die neutestamentlichen Schriften von Zeugen aus verschiedenen Kontexten stammen und unterschiedliche theologische Schwerpunkte und sogar Konflikte innerhalb der Gemeinschaft widerspiegeln, bleibt es wahr, dass Christus ihr verbindendes Prinzip ist. Die Vielfalt der Evangelien wird durch die Einheit der einzigen Guten Botschaft untermauert, die in der Verkündigung von Tod und Auferstehung Christi besteht.

Thesen zu Einheit und Schisma in der Alten Kirche
(4) Die Briefe des Ignatius von Antiochien sind ein sehr frühes und bedeutendes Zeugnis für die Entwicklung und Begründung der Struktur des kirchlichen Amtes und seiner Bedeutung für die Einheit der Kirche. Ignatius' Verständnis der zentralen Bedeutung von einem Bischof an einem bestimmten Ort meint ein kollegiales und nicht ein monarchisches Amt, da der Bischof immer in Übereinstimmung mit den Diakonen und den Presbytern wirkt.

(5) Der Osterfeststreit ist ein Beispiel dafür, wie Einheit in den Spannungen liturgischer Verschiedenheit (gerade noch) gewahrt wurde. In der frühen Kirche gab es zwei Haupttraditionen: Ostern wurde entweder am 14. Nisan (dem jüdischen Passahfest) gefeiert, wie in weiten Teilen Kleinasiens, oder an einem bestimmten Sonntag, wie in Rom und weiten Teilen des Ostens. Diese Divergenz hatte auch erhebliche Auswirkungen auf die Fastenpraxis. Obwohl schon Polykarp von Smyrna und Anicetus von Rom in der Mitte des 2. Jahrhunderts in dieser Frage uneins waren, lud Anicetus Polykarp ein, der gemeinsamen Eucharistiefeier vorzustehen. Trotz anhaltender Spannungen in dieser Frage, die in der Exkommunikation der in Rom ansässigen kleinasiatischen Christen durch Papst Viktor gipfelten, wurde die eucharistische Gemeinschaft letzten Endes beibehalten. Eine besonders wichtige Rolle spielte dabei der hl. Irenäus von Lyon, der erfolgreich bei Papst Viktor intervenierte, um die Exkommunikation aufzuheben und so ein Schisma abzuwenden. Wie Irenäus es ausdrückte: „Unsere Uneinigkeit über das Fasten bestätigt unsere Übereinstimmung im Glauben.“ Verschiedenheit in der Praxis impliziert nicht Uneinigkeit im Glauben.

Thesen zu Einheit und Schisma im 20. und 21. Jahrhundert
(6) Ein gutes Beispiel für einen Wiedervereinigungsprozess zwischen zwei Kirchen, die sich hauptsächlich aus politischen Gründen voneinander getrennt hatten, ist die Heilung des Schismas zwischen dem Moskauer Patriarchat und der Russischen Orthodoxen Kirche im Ausland, das achtzig Jahre lang (1927-2007) andauerte. Dieser Prozess beinhaltete: die Heilung der Erinnerungen durch eine gemeinsame Lektüre der Geschichte und eine beiderseitige Ablehnung jener Urteile und Handlungen der Vergangenheit, die zur Spaltung geführt hatten; die Anerkennung eines gewissen Maßes an Autonomie im Rahmen der kanonischen Gemeinschaft; und die Schaffung eines kirchlichen Rahmens und einer gemeinsamen Methode des Dialogs, um alle noch offenen Fragen auf geschwisterliche Weise zu lösen.

(7) Wir haben uns mit dem Dokument „Die Verwirklichung der Communio im Leben der Alten Kirche und ihre Bedeutung für unsere Suche nach der Einheit heute“ befasst, das 2015 von der Internationalen Gemeinsamen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Katholischen Kirche und den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen verabschiedet worden ist. In diesem Dialog wurde die Art der Beziehungen, die in der Zeit vor den Trennungen des 5. Jahrhunderts zwischen den Kirchen bestanden, eingehend untersucht. Er hat aufgezeigt, dass die volle Gemeinschaft, die unter den Kirchen bestand, in einem umfassenden Beziehungsgeflecht zum Ausdruck kam, das auf der gemeinsamen Überzeugung beruhte, dass alle Kirchen denselben Glauben teilten. Zu diesen Ausdrucksformen der Communio zählten u.a. der Austausch von Briefen und Besuchen, sowohl formelle als auch informelle; Synoden und ihre Rezeption in allen Teilen der Kirche; Gebet, Verehrung von gemeinsamen Heiligen, Wallfahrten und andere Frömmigkeitsformen. Umso wichtiger ist es darüber nachzudenken, warum es im 5. Jahrhundert dennoch zu bis in die Gegenwart andauernden Schismen gekommen ist.

(8) Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts hat es im Dialog zwischen den chalcedonischen Kirchen (katholisch und orthodox), den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen und der Assyrischen Kirche des Ostens einige ermutigende Entwicklungen gegeben. Zu den bemerkenswerten Errungenschaften gehören die zwischen der Orthodoxen Kirche und den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen vereinbarten Erklärungen, obwohl sie in einigen orthodoxen Kontexten auf heftigen Widerstand gestoßen sind. Der Dialog der Katholischen Kirche mit den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen und der Assyrischen Kirche des Ostens war vielleicht erfolgreicher: Diese Kirchen sind zu der Überzeugung gelangt, dass sie heute durch Schismen und nicht durch Häresien getrennt sind. Es bleibt die Frage, wie diese noch getrennten Kirchen dahin gelangen können, sich gegenseitig als wahre Kirchen anzuerkennen. Es muss jedoch festgestellt werden, dass einige dieser Entwicklungen in der Orthodoxen Kirche wahrscheinlich keine Akzeptanz finden werden.

(9) Der Wandel in den Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche, den Orientalisch-Orthodoxen Kirchen und der Assyrischen Kirche des Ostens wurde durch die Wiederherstellung der Kommunikation zwischen Gläubigen und Verantwortlichen aller Partnerkirchen sowie durch die theologische Arbeit, die diese Dynamik begleitet hat, möglich. Die Wiederaufnahme der Kommunikation ermöglichte neue Kontakte, darunter die Einladung von Beobachtern zum Zweiten Vatikanischen Konzil, zahlreiche Besuche von Kirchenoberhäuptern und Mönchen, den Austausch von Theologiestudenten, eine neue Haltung gegenüber zwischenkirchlichen Ehen an einigen Orten und vor allem die Abkehr von als feindlich empfundenen Haltungen wie Proselytismus und Uniatismus (wobei der letzte Punkt für die Orthodoxen eine besonders willkommene Entwicklung darstellt). Eingehende theologische und historische Studien haben diese Annäherung begleitet und die Unterschiedlichkeit der sprachlichen, kulturellen und politischen Faktoren aufgezeigt, die das gegenseitige Verständnis in der Vergangenheit beeinträchtigt haben. Das hat das Erlernen der Sprache des anderen ermöglicht und Solidarität, gegenseitiges Vertrauen und Freundschaft entstehen lassen.

(10) Das Werk der Versöhnung erfordert die Zusammenarbeit aller Gläubigen, der Kirchenleiter und der Theologen. Die wissenschaftliche theologische Arbeit, die diesen Entwicklungen zugrunde liegt, war vor allem deshalb so produktiv, weil sie von dem kerygmatischen Anliegen getragen war, das Heilsgeheimnis Christi Männern und Frauen unserer Zeit verständlich zu machen.

Am Ende ihres Treffens bedankten sich die Mitglieder des Irenäuskreises herzlich beim Institut für Ökumenische Studien des Angelicums, der Italienischen Bischofskonferenz und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen für die Unterstützung der Tagung.

Dem Gemeinsamen orthodox-katholischen Arbeitskreis St. Irenäus gehören 26 Theologen an, 13 Orthodoxe und 13 Katholiken aus mehreren europäischen Ländern, dem Nahen Osten sowie Nord- und Südamerika. Er wurde 2004 in Paderborn (Deutschland) gegründet und hat sich seither in Athen (Griechenland), Chevetogne (Belgien), Belgrad (Serbien), Wien (Österreich), Kiew (Ukraine), Magdeburg (Deutschland), Sankt Petersburg (Russland), Bose (Italien), Thessaloniki (Griechenland), Rabat (Malta), Chalki bei Istanbul (Türkei), Taizé (Frankreich), Kloster Caraiman (Rumänien), Graz (Österreich) und Trebinje (Bosnien und Herzegowina) getroffen. Im Jahr 2020 fand aufgrund der Coronavirus-Pandemie keine Sitzung statt. In Rom wurde beschlossen, die nächste Tagung des Irenäuskreises im Oktober 2022 in Rumänien abzuhalten.