Kommuniqué des orthodox-katholischen Arbeitskreises St. Irenäus 2022

02. November 2022

Der Gemeinsame orthodox-katholische Arbeitskreis St. Irenäus kam vom 12. bis 16. Oktober 2022 zu seiner 18. Jahrestagung an der Orthodoxen Theologischen Fakultät der Babeş-Bolyai-Universität in Cluj-Napoca (Rumänien) zusammen. Die Tagung stand unter der Leitung des orthodoxen Ko-Vorsitzenden Metropolit Serafim (Joantă) von Deutschland, Zentral- und Nordeuropa (Rumänische Orthodoxe Kirche) und des katholischen Ko-Vorsitzenden Bischof Gerhard Feige von Magdeburg.

In der Eröffnungssitzung wurde der Arbeitskreis von Erzbischof Andrei Andreicuţ, Metropolit von Cluj, Maramureş und Sălaj, von Vikarbischof Benedikt Bistriţeanul und vom Dekan der Orthodoxen Theologischen Fakultät Archimandrit Teofil Tia begrüßt. Nach Grußworten der beiden Ko-Vorsitzenden stellten die Ko-Sekretäre den versammelten Professoren und Studierenden der Theologischen Fakultät die Arbeit des Irenäuskreises vor.

In seiner ersten Plenarsitzung hieß der Arbeitskreis zwei neue Mitglieder willkommen: Schwester Susan Wood aus Toronto, Kanada, und Andrea Riedl aus Dresden, Deutschland, beide römisch-katholisch. Priester Ioan Vasile Leb von der Orthodoxen Theologischen Fakultät in Cluj war zu einem Vortrag eingeladen. Als Beobachter nahmen auch drei Doktoranden dieser Theologischen Fakultät teil.

Das Programm der 18. Jahrestagung stand unter der Überschrift „Schismen in der Kirchengeschichte: Historische Analysen und ihre Bedeutung für die Methodik des heutigen ökumenischen Dialogs“. Die Diskussionen konzentrierten sich auf historische, dogmatische und pastorale Faktoren. Vier Vorträge befassten sich mit konkreten Beispielen von Schismen in der Alten Kirche und im frühen Mittelalter. Eine Sondersitzung befasste sich mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine, der auch wichtige ekklesiologische Fragen aufwirft. Der abschließende Vortrag thematisierte die hermeneutischen und methodologischen Herausforderungen des ökumenischen Dialogs. Auf jeden Vortrag folgten ein oder zwei vorbereitete Antworten und eine allgemeine Diskussion.

Die Überlegungen der diesjährigen Tagung wurden von den Teilnehmern in den folgenden Thesen zusammengefasst:

(1) Die Kirche hat eine unveränderliche geistliche und eine weltliche, strukturell veränderbare Dimension. Beide Ebenen gehören zusammen, müssen aber voneinander unterschieden werden, auch wenn dies oft schwierig ist. Die Kirche ist sich der Liebe Gottes zu den Menschen bewusst und weiß, dass sein Heilswille alle Menschen einschließt. Sie steht im Dienst des Erlösungswerkes Christi und darf den Zugang der Menschen zum Reich Gottes nicht durch ihre weltlichen Strukturen behindern, sondern muss sich dafür einsetzen, dass möglichst viele Menschen durch ihre Sendung das Heil erlangen.

(2) Der Donatistenstreit (ab 311) ermöglichte es Augustinus, zwischen Schisma und Häresie zu unterscheiden – eine Unterscheidung, die bei Cyprian noch nicht klar war: Augustinus verstand unter Schisma einen Bruch in der Gemeinschaft und betrachtete Häresie darüber hinaus als Verrat am wahren Glauben.

(3) Der Donatistenstreit bot Augustinus die Gelegenheit, den Wert der von Schismatikern vollzogenen Taufe zu verteidigen. Er bekräftigte, dass jede Taufe, die im Namen der Dreieinigkeit empfangen wird, die Taufe Christi bleibt, auch wenn sie durch einen unwürdigen Amtsträger vollzogen worden ist. Augustinus rechtfertigte damit die römische Praxis, die es der späteren lateinischen Tradition ermöglichte, zwischen der Gültigkeit und der Erlaubtheit von Sakramenten zu unterscheiden. Die Orthodoxe Kirche, die den Lehren von Basilius dem Großen folgt, hat eine ähnliche Tradition, auch wenn sie diese Kategorien nicht verwendet.

(4) Die Position Cyprians, nach der die Taufe von Häretikern als ungültig angesehen wird, wurde in einigen Regionen des Römischen Reiches weiterhin verteidigt und untermauert die heutige Praxis der Nichtanerkennung der Taufe in manchen Kirchen, was zu anhaltenden Trennungen führt.

(5) Im sogenannten Akakianischen Schisma (484-519), das die Rezeption des Konzils von Chalcedon (451) betraf, griffen theologische, hierarchische und politische Streitigkeiten ineinander. Die Akteure des Schismas bemühten sich nicht ausreichend darum, die dogmatischen Positionen der anderen Seite und deren Argumente zu verstehen, sodass keine inhaltliche Diskussion stattfinden konnte. Gegenseitige Anschuldigungen dogmatischer und kanonischer Natur führten zum Bruch der Gemeinschaft, indem man sich gegenseitig aus den Diptychen entfernte.

(6) Obwohl die Beilegung des Akakianischen Schismas die Gemeinschaft zwischen den Patriarchaten von Rom und Konstantinopel wiederherstellte, führte sie nicht zur Wiederaufnahme der vollen Gemeinschaft mit den Patriarchaten von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem. Während des gesamten Konflikts mit Konstantinopel ging es der römischen Kirche in erster Linie um ihren Primatsanspruch, ohne dass sie die konkrete Situation und die theologischen Traditionen der östlichen Patriarchate berücksichtigt hätte.

(7) Zu den beiden grundlegenden kirchlichen Konfliktfeldern in vorkonstantinischer Zeit – Dogma und Hierarchie – kam ab dem 4. Jahrhundert ein drittes hinzu: die Frage nach der Rolle des Kaisers in kirchlichen Prozessen. Die Probleme im Zusammenhang mit dem Donatismus sind erste Beispiele dafür, dass die kaiserlichen Autoritäten direkt mit christlichen Kontroversen zu tun bekamen. In den folgenden Jahrhunderten mischten sich die Kaiser immer stärker in kirchliche Angelegenheiten ein, z. B. durch die Einberufung von Konzilen, die Durchsetzung ihrer Beschlüsse sowie die Einsetzung und Absetzung von Bischöfen.

(8) In jeder schismatischen Bewegung gibt es wohl nicht nur negative, sondern auch einige positive Elemente. Schismen können wertvolle Wahrheiten und Akzentuierungen bewahren. Die ideale Lösung besteht darin, das Gute zu nutzen und die Energie der jeweiligen Bewegung im Sinne des Evangeliums zu nutzen. Ein überzeugendes Beispiel für diesen Ansatz ist die Art, wie Basilius der Große und Makarios (Makarios-Symeon, Pseudo-Makarios) auf die monastischen Bewegungen der Eustathianer und Messalianer reagierten. Anstatt ausschließlich negativ zu antworten, korrigierten sie die Fehler dieser radikalen Asketen konstruktiv und mit pastoraler Sensibilität. Anders ausgedrückt: Die Herausforderung des Schismas erfordert sowohl Strenge und Klarheit als auch eifrige Nächstenliebe.

(9) Schismen entwickeln sich in Phasen, die nicht leicht zu erkennen sind. Auf der Suche nach Einheit bedarf es möglichst objektiver historischer Analysen und Differenzierungen hinsichtlich der jeweiligen Ursachen und tieferen Gründe für die Entfremdung, den Streit, die Spaltung und das Erstarren im Schisma.

(10) Es kann keine versöhnte Zukunft unserer Kirchen ohne eine Veränderung unserer Sichtweisen geben. Einheit erfordert die Fähigkeit, legitime Manifestationen des Glaubens anzuerkennen, die in nicht vertrauten Formen, in nicht vertrauter Sprache und durch nicht vertraute Praktiken ausgedrückt werden. Dieser Wandel kann u.a. dadurch erreicht werden, dass wir die Geschichte unserer Kirchen gemeinsam schreiben und dabei nicht nur auf Spaltungen und Schismen hinweisen, sondern auch Vorurteile aufzeigen sowie Konvergenzpunkte und Geschichten der Begegnung in den Vordergrund stellen.

(11) Dem schismatischen „Anderen“ begegnet man am besten mit einer Haltung des Vertrauens, nicht mit einer des Argwohns. Das bedeutet, dass wir zunächst nicht versuchen sollten, ihn zu verurteilen und auszugrenzen, sondern von guten Absichten und einem zugrundeliegenden Einvernehmen ausgehen sollten, selbst wenn einige Korrekturen oder eine Distanzierung sich als notwendig erweisen.

(12) Schismen betreffen verschiedene Aspekte der Tradition der Kirche. Daher ist es wichtig, zwischen den unveränderlichen Grundlagen des Glaubens (Tradition) und lokalen und kulturellen Aspekten (Traditionen) zu unterscheiden, die sich nicht unbedingt gegenseitig ausschließen. Spaltungen betreffen ursprünglich oft sekundäre Aspekte, die später übertrieben und dogmatisch begründet werden.

(13) Das Wesen und die Definition des Schismas bedürfen weiterer Aussprache und Reflexion. Dazu gehört u.a. die Frage, wie ein Schisma zu beschreiben ist, die äußeren Formen des Schismas (z. B. Bruch der Gemeinschaft, Errichtung konkurrierender Hierarchien usw.) und der Einfluss bereits bestehender Unterschiede und außerkirchlicher Faktoren. Die neuere Forschung ermuntert uns, die Analyse von Schismen historisch zu vertiefen. Obwohl Schismen durch nicht-dogmatische Gründe verursacht werden können, wurden sie immer durch theologische Positionen gerechtfertigt. Diese Rechtfertigungen neigen dazu, Streitigkeiten zu dogmatisieren, hinter denen oft nicht artikulierte kulturelle, soziopolitische und psychologische Faktoren stehen. In dieser Hinsicht wäre es nützlich, eine Typologie der Schismen zu formulieren.

(14) Eine Reflexion über die ökumenischen Dialoge hat gezeigt, dass es bisher kein von allen anerkanntes Modell der Einheit der Kirche gibt. Der orthodox-katholische Dialog hat sich auf die Überwindung der Unterschiede in der Lehre konzentriert. Größere Aufmerksamkeit muss jedoch den Fragen der Identität gewidmet werden, die vor allem durch Frömmigkeitsformen, Kultur und Sprache geprägt sind, da sie einen starken Einfluss auf das Selbstverständnis der jeweiligen Kirchen haben. Deshalb müssen die Zielvorstellungen kirchlicher Einheit geklärt werden.

(15) Obwohl der orthodox-katholische Dialog in unseren Kirchen bislang nicht ausreichend rezipiert wurde, hat er wichtige Auswirkungen auf das Leben unserer Kirchen. Beispiele dafür sind die Bereitstellung katholischer Kirchengebäude für orthodoxe Gemeinden in der Diaspora, gemeinsame Beschlüsse orthodoxer und katholischer Bischöfe zur Einrichtung lokaler Dialoggremien, neue Regelungen zur gegenseitigen Anerkennung der Taufe und zu Mischehen, Änderungen im katholischen Kirchenrecht und die Bereitschaft von Papst Franziskus, den Dialog mit der Orthodoxen Kirche zu vertiefen.

(16) Für unseren Dialog ist es unerlässlich, zwischen dogmatischen Faktoren, theologischen, aber nicht-dogmatischen Faktoren und nicht-theologischen Faktoren zu unterscheiden. Das Verhältnis zur Nation beispielsweise ist keine dogmatische Frage; die Klärung dieser Frage erfordert jedoch theologische Reflexion.

(17) Durch lehrmäßige Dialoge allein kann die Einheit nicht erreicht werden. In Gemeinschaft zu sein bedeutet auch, dass wir gemeinsam Entscheidungen über den Ausdruck unseres Glaubens treffen und das Evangelium in den heutigen Gesellschaften bezeugen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass das Dogma untrennbar mit dem geistlichen Leben verbunden ist. Dogma ohne geistliches Leben ist Ideologie. Geistliches Leben ohne Dogma ist Pietismus. Dogma wie auch geistliches Leben sind Formen, in denen das Evangelium vermittelt und gelebt wird. Nur wenn ökumenische Gespräche auf dem Leben in Christus beruhen, kann das Streben nach Einheit verwirklicht werden.

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Der Gemeinsame orthodox-katholische Arbeitskreis St. Irenäus besteht aus 26 Mitgliedern, 13 orthodoxen und 13 katholischen Theologinnen und Theologen, aus mehreren europäischen Ländern, dem Nahen Osten und Amerika. Er wurde 2004 in Paderborn (Deutschland) gegründet und hat sich seitdem in Athen (Griechenland), Chevetogne (Belgien), Belgrad (Serbien), Wien (Österreich), Kiew (Ukraine), Magdeburg (Deutschland), St. Petersburg (Russland), Bose (Italien), Thessaloniki (Griechenland), Rabat (Malta), auf Chalki bei Istanbul (Türkei), Taizé (Frankreich), Caraiman (Rumänien), Graz (Österreich), Trebinje (Bosnien und Herzegowina), Rom (Italien) und Cluj-Napoca (Rumänien) getroffen. In Cluj-Napoca wurde beschlossen, das nächste Treffen des Irenäus-Arbeitskreises im Juni 2023 im Libanon abzuhalten.