10. Theologisches Gespräch zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und der Russischen Orthodoxen Kirche

26. Juni 2018
Das 10. Theologische Gespräch zwischen Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz und der Russischen Orthodoxen Kirche fand vom 19. bis 22. Juni 2018 im Kloster Marienrode, Hildesheim, statt. Der Leiter der Delegation der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Gerhard Feige, hieß die Teilnehmer der Gespräche willkommen und richtete die Grüße des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, aus. Erzbischof Tichon von Podolsk, der neue Leiter der Delegation der Russischen Orthodoxen Kirche, erinnerte an das Treffen von Papst Franziskus und Patriarch Kirill in Havanna vor zwei Jahren und ihre Bekräftigung, dass Katholiken und Orthodoxe nicht Konkurrenten, sondern Geschwister sind. Gemeinsam gedachten alle Anwesenden des im vergangenen Jahr verstorbenen Erzbischofs Feofan von Berlin und ganz Deutschland, der seit 2009 der Delegation der Russischen Orthodoxen Kirche vorgestanden hatte. Weihbischof Dr. Nikolaus Schwerdtfeger begrüßte als Administrator der Diözese Hildesheim (gegründet 815) die Teilnehmer in den Räumen des Benediktinerinnenklosters Marienrode, das auf das 12. Jahrhundert zurückgeht.

Zur Delegation des Moskauer Patriarchats gehörten Erzbischof Tichon von Podolsk, Administrator der Berliner Diözese des Moskauer Patriarchats, Metropolit Filipp von Poltava und Mirgorod (Ukraine), Bischof Serafim von Bobrujsk und Bychov (Weißrussland), Priester Alexej Dikarev, Mitarbeiter des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Dr. Evgeny Pilipenko, Dozent für systematische Theologie an der Doktorandenschule des Moskauer Patriarchats, sowie die Professoren Andrej Efimov und Alexej Smulov von der Abteilung für Missiologie der orthodoxen St.-Tichon-Universität, Moskau.

Die Deutsche Bischofskonferenz wurde bei den Gesprächen vertreten durch den Vorsitzenden ihrer Ökumenekommission, Bischof Dr. Gerhard Feige von Magdeburg, Weihbischof Dr. Nikolaus Schwerdtfeger (Hildesheim), Weihbischof Dr. Thomas Löhr (Limburg), Prof. Dr. Josef Freitag (Lantershofen), Direktor Dr. Johannes Oeldemann (Paderborn), Dr. Markus-Liborius Hermann, Katholische Arbeitsstelle für missionarische Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz (Erfurt), Dr. Claudia Kunz, Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Bonn) und Dr. Dagmar Stoltmann-Lukas, Leiterin der Diözesanstelle Ökumene (Hildesheim).

Als Gäste nahmen teil: Priester Evgeny Murzin von der Informationsabteilung der Berliner Diözese des Moskauer Patriarchats, Ipodiakon Nikolaj Thon, Generalsekretär der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland, und Dr. Dorothee Kaes vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz.

Das 10. Theologische Gespräch war dem Thema „Mission und Evangelisierung in der heutigen Gesellschaft“ gewidmet. In seinem Eröffnungsvortrag zum Thema „Christen in säkularer Gesellschaft“ skizzierte Bischof Gerhard Feige die extreme Diaspora-Situation der Katholiken in seiner Diözese Magdeburg und hob die Bedeutung der katholischen Schulen und der ökumenischen Zusammenarbeit in einer weitgehend religionslosen Gesellschaft hervor. Für das christliche Zeugnis sei es wichtig, die ganze Wirklichkeit mit ihren Freuden, Leiden und Nöten wahrzunehmen, alles kritisch zu prüfen und nach dem Willen Gottes zu befragen.

In seinem Vortrag über die orthodoxe Theologie der Mission erläuterte Prof. Andrej Efimov die biblischen und theologischen Grundlagen der Sendung der Kirche. Er bezeichnete Jesus Christus, der vom Vater in die Welt gesandt wurde, als das Urbild eines Missionars. Zu den Grundprinzipien missionarischer Tätigkeit zählte er das persönliche Zeugnis des Missionars, das aus seiner Spiritualität erwächst, die Verkündigung des Evangeliums in einer Sprache, die den Zuhörern verständlich ist, und die gewaltfreie Verbreitung des Christentums. Er betonte die Feier der Eucharistie als Quelle und Ausgangspunkt der Mission, deren Ziel letztlich die Heiligung des Menschen und des ganzen Kosmos ist. Es gehe darum, die wahre Schönheit aufzuschließen, weil der Mensch dadurch auch in Berührung mit der geistlichen Welt komme.

Auf der Basis des biblischen Zeugnisses, dessen Interpretation weitgehend mit den Ausführungen von Prof. Efimov übereinstimmte, skizzierte Dr. Markus-Liborius Hermann in seinem Vortrag über die katholische Theologie der Mission kurz die Entwicklung der katholischen Missionsgeschichte, die vom 16. bis 19. Jahrhundert eng mit der Kolonialgeschichte verbunden war. Der Schwerpunkt seiner Ausführungen lag auf den theologischen Entwicklungen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Dieses erarbeitete ein neues Verständnis der Kirche als Volk Gottes, betonte den universalen Heilswillen Gottes und die hohe Bedeutung der menschlichen Freiheit. Die nachkonziliaren Schreiben der Päpste („Evangelii nuntiandi“ 1975, „Redemptoris missio“ 1990, „Evangelii gaudium“ 2013) legen den Schwerpunkt auf die Evangelisierung, um das Evangelium in alle Bereiche des menschlichen Lebens zu tragen und die bereits Getauften von neuem zu einem aktiven Christsein zu ermuntern. Auch einzelne Bischofskonferenzen wie die französische („Proposer la foi“, 1996) und die deutsche („Zeit zur Aussaat“, 2000, und „Allen Völkern sein Heil“, 2004) haben wichtige Impulse zu einem erneuerten Verständnis von Mission gegeben. Als Aufgaben für die heutige Praxis der Mission benannte Dr. Hermann die säkulare, die interreligiöse und die ökumenische Herausforderung.

Das Thema des Referats von Priester Alexej Dikarev war „Mission und Proselytismus in den offiziellen Dokumenten der Russischen Orthodoxen Kirche“. Die beiden wichtigsten Grundlagentexte zu diesem Thema sind die „Konzeption der missionarischen Tätigkeit der Russischen Orthodoxen Kirche“ (2007) und „Über die gegenwärtige äußere Mission der Russischen Orthodoxen Kirche“ (2013). Im erstgenannten Dokument wird unterstrichen, dass alle Glieder der Kirche zum Glaubenszeugnis aufgerufen sind, wobei zugleich die besondere Rolle der Frauen hervorgehoben wird. Das wichtigste Ziel der kirchlichen Mission ist der Aufbau eucharistischer Gemeinschaften. Es geht dabei um den erzieherischen Aspekt der Mission, den man in der orthodoxen Terminologie „Verkirchlichung“ nennt. Das zweite Dokument betont die Bedeutung des Zeugnisses unter Nichtchristen, wo immer es möglich ist, und ermuntert zur Berücksichtigung der missionarischen Erfahrungen nicht nur der anderen autokephalen orthodoxen, sondern auch der nichtorthodoxen Kirchen. Im Vortrag wird unterschieden zwischen der Mission und Proselytismus, worunter die zielgerichtete Anstrengung verstanden wird, Christen von einer anderen Konfession abzuwerben.

Prof. Alexej Smulov gab in seinem Vortrag einen detaillierten Überblick über „Die Mission der Russischen Orthodoxen Kirche in Vergangenheit und Gegenwart“. Ausgehend von der Missionstätigkeit Kyrills und Methods nannte er beispielhafte Missionare im Laufe der Geschichte der russischen Kirche, die den orthodoxen Glauben im Bereich der Goldenen Horde und später in China, Japan, Amerika und Persien verbreitet haben. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten vor der Oktoberrevolution gab es orthodoxe Missionskonferenzen und andere organisatorische Maßnahmen zur Intensivierung der missionarischen Tätigkeit sowohl nach außen als auch nach innen. Eine ganz eigene Qualität bekam die Mission in der Sowjetzeit, in der die Kirche zum Schweigen verurteilt war, aber durch die zahlreichen Neomärtyrer ein lebendiges Glaubenszeugnis ablegte. Als die Kirche ihre Freiheit wieder zurückgewonnen hatte, entwickelten sich neue Formen der Missionstätigkeit, u.a. im Bereich der Jugendarbeit, der sozial-karitativen Dienste und der sozialen Medien, die zu einer „zweiten Christianisierung“ Russlands beitragen sollen.

Dass auch die katholische Kirche in Deutschland vor der Herausforderung einer Neuevangelisierung steht, verdeutlichte Frau Dr. Claudia Kunz bei der Vorstellung des Dokuments der deutschen Bischöfe zur Erneuerung der Pastoral „Gemeinsam Kirche sein“ (2015). In Vorbereitung auf das Jubiläum „50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil“ haben die deutschen Bischöfe eine Relecture der Konzilsdokumente vorgenommen. Vor dem Hintergrund zurückgehender Zahlen bei den Gläubigen, Priestern und Gemeinden plädiert der Text dafür, sich auf den Weg von einer Volkskirche zu einer Kirche des Volkes Gottes zu machen. Die theologische Grundlage dafür bildet das Kirchenverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils, das die Kirche als Mysterium und als in der Taufe begründete eucharistische Gemeinschaft beschreibt. Die Aussage, dass jeder Mensch zur Heiligkeit berufen ist (LG, Kap. V), bildet den hermeneutischen Schlüssel für eine Relecture der Kirchenkonstitution, die zu einer Wertschätzung der vielen Charismen und damit des ehrenamtlichen Engagements in der Kirche führt. Auf dieser Grundlage steht die katholische Kirche vor der Herausforderung, neue Leitungsformen und Räume für das missionarische Zeugnis im engen Miteinander von Priestern und Laien zu entwickeln.

Auf der Grundlage dieser Vorträge traten die Teilnehmer des Gesprächs in einen intensiven Austausch über Erfahrungen, Entwicklungen und Herausforderungen im Blick auf die Mission der Kirchen ein. Dabei wurde deutlich, dass es trotz des ganz unterschiedlichen historisch-kulturellen Kontextes eine grundlegende Übereinstimmung im Missionsverständnis gibt. Es ist die Bestimmung der Kirche, dem Heilswillen Gottes zu dienen, wie er in der Sendung seines Sohnes zur Erlösung der Welt zum Ausdruck kommt. Auch wenn es in beiden Traditionen unterschiedliche Terminologien gibt, meinen sie oft dasselbe. So bezeichnen der Begriff „Evangelisierung“ in der katholischen Theologie und der Begriff „Verkirchlichung“ in der orthodoxen Theologie jeweils Prozesse, die die Gläubigen in eine tiefere Teilhabe und aktive Partizipation am kirchlichen Leben in Wort und Sakrament hineinführen wollen. Unsere Diskussionen haben uns zu der Erkenntnis geführt, dass Mission in der heutigen pluralen Gesellschaft nur dann erfolgreich sein kann, wenn wir vorbildliche und authentische Zeugen unseres Glaubens sind und das Anderssein und -denken der nicht mehr traditionell religiösen Menschen nicht von vornherein als defizitär oder falsch verurteilen. Daher bedarf es einer Offenheit für neue Formen der Verkündigung des Evangeliums in der Sprache der heutigen Menschen.

Am Beginn der Gespräche feierte die Delegation der Russischen Orthodoxen Kirche ein Moleben (Bittgottesdienst) zum Gelingen eines jeden guten Werkes in der Kirche des Klosters Marienrode, an dem auch die deutsche Delegation und die Nonnen des Klosters teilnahmen. Am Nachmittag des zweiten Tages besuchten die Teilnehmer den Hildesheimer Dom und die Domschatzkammer mit vielen mittelalterlichen Schätzen. Bei der abendlichen Eucharistiefeier im Hildesheimer Dom, der Bischof Gerhard Feige vorstand, war auch die Delegation der Russischen Orthodoxen Kirche anwesend. Anschließend gab es einen Empfang im Bischöflichen Generalvikariat, bei dem auch der evangelische Landessuperintendent Eckhard Gorka ein Grußwort sprach. Zum Programm gehörte auch eine Exkursion in die alte Kaiserstadt Goslar, eine Begegnung mit der dortigen katholischen Gemeinde, ein Besuch des Klosters Riechenberg und der dortigen evangelischen Kommunität sowie ein Orgelkonzert in der Klosterkirche von Grauhof. Am Abschlusstag feierten die katholischen Teilnehmer eine Heilige Messe in der Marienroder Klosterkirche.

Zum Abschluss dankten die Teilnehmer der Gesprächsrunde dem Bistum Hildesheim und den Benediktinerinnen des Klosters Marienrode für die herzliche Gastfreundschaft. Sie plädierten einmütig dafür, die Gespräche zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und der Deutschen Bischofskonferenz fortzuführen. Die nächste Gesprächsrunde soll im Juni 2020 in Russland stattfinden.