Stefan Kube zum Zusammenleben der Religionsgemeinschaften und ihrem Verhältnis zum Staat in Montenegro

22. August 2018
Der serbische Patriarch Irinej hat kürzlich Montenegro wegen des Verhältnisses zu den Serben und zur Serbischen Orthodoxen Kirche im Land scharf kritisiert. Was ist der Hintergrund dieser Aussagen? Wie ist das Verhältnis zwischen Staat und Kirche allgemein?
In Montenegro wird gerade über ein neues Religionsgesetz diskutiert, zu dem die Regierung einen Gesetzesentwurf vorgelegt hat. Vor drei Jahren hatte die Regierung bereits einen Gesetzesentwurf präsentiert, der jedoch vor allem am Widerstand der Serbischen Orthodoxen Kirche (SOK) gescheitert ist. So ist bis heute das Gesetz über die rechtliche Stellung der Religionsgemeinschaften von 1977 gültig. Auch der jetzige Entwurf ist hoch umstritten: Zum einen sieht er vor, dass sich alle Religionsgemeinschaften registrieren müssen, was die SOK mit Verweis auf ihre jahrhundertelange Präsenz im Land ablehnt. Zum anderen geht es um Eigentumsfragen, so schreibt der geplante Art. 52 vor, dass alle religiösen Objekte und Grundstücke, die von Religionsgemeinschaften auf dem Territorium Montenegros genutzt werden, und von denen sich feststellen lässt, dass sie mit staatlichen Geldern errichtet wurden, oder sich bis zum 1. Dezember 1918 (bis zur Eingliederung Montenegros in das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen) im Eigentum des Staates befunden haben, als kulturelles Erbe Eigentum des Staates sind. Weiterhin ist vorgesehen, dass religiöse Objekte, von denen sich feststellen lässt, dass sie durch gemeinsame Anstrengungen von Bürgern bis zum 1. Dezember 1918 errichtet wurden, staatliches Eigentum sind. Die SOK befürchtet, dass sie so eines Großteils der heute von ihr genutzten Kirchen und Klöster enteignet werden soll, und dass der Staat die Gotteshäuser dann der sog. Montenegrinischen Orthodoxen Kirche (MOK) übergibt, deren Vertreter auch offen Anspruch auf alle Sakralobjekte von vor 1918/20 erheben. Die SOK wirft der Regierung Parteinahme zugunsten der MOK vor und hat daher auch die meisten Änderungsanträge zum Gesetzesentwurf eingereicht. Viele Kirchenvertreter sprechen mittlerweile offen von einer Verfolgungssituation der SOK in Montenegro, in diesen Kontext lassen sich auch die Aussagen des Patriarchen einordnen. Dies ist jedoch sicherlich übertrieben: Zwar gibt es unbestritten Konflikte um Eigentumsfragen oder bürokratische Erschwernisse in der Frage des Aufenthalts von Priestern, die nicht in Montenegro geboren sind, doch können die Gläubigen der SOK ihren Glauben frei ausüben und niemand ist an Leib und Leben bedroht.

Die Montenegrinische Orthodoxe Kirche hat sich 1993 von der SOK abgespalten und wird von der Weltorthodoxie nicht anerkannt. Wie ist ihre Situation heute?
Die meisten orthodoxen Christen in Montenegro bekennen sich nach wie vor zur SOK, zur MOK bekennen sich dagegen nur wenige Gläubige. Den größten Rückhalt genießt die MOK um die alte Königsstadt Cetinje, wo auch deren Oberhaupt residiert. Genauere statistische Angaben zu der Anzahl der Gläubigen gibt es leider nicht, da in der letzten Volkszählung von 2011 nur das Bekenntnis – orthodox (72,1%), aber nicht die Zugehörigkeit zu einer der beiden Kirchen abgefragt wurde. Ebenfalls unklar ist, wie viele der ca. 650 Kirchen und Klöster im Land der MOK gehören: die Angaben schwanken zwischen einer Handvoll bis zu 50 Kirchen. Erst im Jahr 2000 konnte sich die MOK amtlich als Religionsgemeinschaft registrieren, wie vom Gesetz über die rechtliche Stellung der Religionsgemeinschaften von 1977 vorgeschrieben.

Dabei betrachtet sich die MOK keineswegs als Neugründung, sondern sieht sich in der Tradition der alten Metropolie von Cetinje, die bis 1920, bis zur Vereinigung mit dem Belgrader Patriarchat, zumindest de facto mehr oder weniger unabhängig war. Mit diesem historischen Rekurs erhebt die heutige MOK auch Anspruch auf alle Kirchen und Klöster im Land. Dies führt immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der SOK, die teilweise sogar in Handgreiflichkeiten eskalierten. 2007 mussten Polizeikräfte ein Eindringen von Anhängern der MOK in das Kloster von Cetinje verhindern, wo Metropolit Amfilohije (Radović), der höchste Repräsentant der SOK in Montenegro, seinen Sitz hat.

Innerhalb der Bevölkerung genießt die MOK nur geringes Vertrauen: Bei den Meinungsumfragen des „Zentrums für Demokratie und Menschenrechte“ aus Podgorica ist die MOK regelmäßig diejenige Institution, der die Befragten am wenigsten vertrauen (März 2018: 22,4%), dagegen nimmt die SOK immer eine Spitzenposition ein (März 2018: 62,3%). Die Umfragen zeigen, dass die MOK vor allem ein Elitenprojekt geblieben ist. Zuspruch findet sie vor allem bei politischen und kulturellen Eliten, die sich um die Schaffung einer eigenen nationalen Identität der Montenegriner – in Abgrenzung zu Serbien – bemühen. Dazu versuchten sie nach der staatlichen Unabhängigkeit Montenegros 2006 auch die kirchliche Unabhängigkeit von Belgrad, sprich die Autokephalie, zu verwirklichen. Innerhalb der orthodoxen Welt ist die MOK jedoch komplett isoliert: keine der kanonischen orthodoxen Kirchen erkennt die MOK an. Kontakte bestehen lediglich zu anderen unkanonischen orthodoxen Kirchen.

In Montenegro leben neben der orthodoxen Bevölkerungsmehrheit auch religiöse Minderheiten. Wie gestalten sich die interreligiösen Beziehungen?
Die Volkszählung von 2011 zeigt, dass Montenegro ein mehrheitlich orthodox geprägtes Land ist, doch gibt es auch bedeutende religiöse Minderheiten: in erster Linie Muslime (19,1%) und Katholiken (3,1%). Bei ersten handelt es sich vor allem um Bosniaken bzw. slawischsprachige Muslime in der Grenzregion zu Serbien und um albanische Muslime im Südosten des Landes. Die Katholiken konzentrieren sich um die Bucht von Kotor (kroatisch-sprachige Katholiken) und an der Grenze zu Nordalbanien (albanisch-sprachige Katholiken).

Konflikte gibt es vor allem – wie bereits erwähnt – zwischen der SOK und der MOK. Ansonsten verläuft das interreligiöse Zusammenleben weitgehend friedlich. Davon zeugen auch einige Kirchen aus dem 13./14. Jahrhundert im Raum Bar, die zwei Altare – einen für die katholischen und einen für die orthodoxen Gläubigen – aufweisen, bzw. Kirchen mit einem Altar, die sowohl von Orthodoxen wie Katholiken genutzt werden. Eine jahrhundertealte Tradition ist auch, dass zu Pfingsten orthodoxe Gläubige zusammen mit Muslimen und Katholiken das Kreuz des Hl. Vladimir in einer Prozession auf den Berg Rumija tragen. Die Rumija mit dem gleichnamigen höchsten Gipfel ist ein Gebirgszug im Südosten Montenegros, wo auch ein Großteil der albanischen Minderheit lebt. 2005, im Vorfeld des montenegrinischen Unabhängigkeitsreferendums, ließ Metropolit Amfilohije jedoch ohne Baugenehmigung mit Hilfe der Armee eine Metallkirche auf der Rumija errichten. Die lokale albanische Bevölkerung empfand dies als Provokation. An dem Pilgerzug auf die Rumija nehmen seit 2005 nur noch Gläubige der SOK teil, während Muslime, Katholiken und Anhänger der MOK diesen boykottierten. Von den Behörden wurde immer wieder der Abriss der Kirche gefordert, doch bis heute ist nichts geschehen.

Stefan Kube, Chefredakteur der Zeitschrift "Religion & Gesellschaft in Ost und West"

Bild: Kloster von Cetinje. ©Stefan Kube.