Sergii Bortnyk zur Situation der ukrainischen Orthodoxie

04. Oktober 2018

Vor einem Monat hat das Ökumenische Patriarchat entschieden, zwei Exarchen in die Ukraine zu entsenden. Wie ist dieser Entscheid unter den orthodoxen Christen in der Ukraine aufgenommen worden?
Dieser Schritt war eine wichtige Entscheidung. Das Problem ist allerdings, dass er von den verschiedenen Gruppen orthodoxer Christen in der Ukraine unterschiedlich eingeschätzt wird. Heutzutage gibt es im Land drei größere orthodoxe Kirchen, von denen jedoch zwei nicht in der Weltorthodoxie anerkannt sind. Dieses Schisma existiert bereits seit über 25 Jahren. Dies ist auch der Grund, warum das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel entschieden hat, zwei Exarchen in die Ukraine zu entsenden. Ziel ist es, dass die Millionen orthodoxer Christen, die bisher unkanonischen Strukturen angehören, anerkannt werden. Patriarch Bartholomaios hat sich zur Einmischung entschieden, um die unkanonischen Kirchen in eine kanonische Kirche zu überführen, die in Gemeinschaft mit der Weltorthodoxie steht.

Für meine Kirche, die Ukrainische Orthodoxe Kirche, die in Verbindung zum Moskauer Patriarchat steht, war der Schritt Konstantinopels jedoch schwer zu verstehen, weil wir den Begriff „kanonisches Territorium“ verwenden, und in diesem Sinne sind wir ein Teil des Moskauer Patriarchats. Wenn wir ekklesiologisch davon ausgehen, dass verschiedene lokale orthodoxe Kirchen  jeweils ihr eigenes Territorium haben(und Konstantinopel eine davon ist), dann ist es irgendwie falsch, diese Grenzen zu überschreiten, ohne zu fragen. Deswegen hat der Hl. Synod unserer Kirche den Schritt des Ökumenischen Patriarchats als unfreundlichen Akt verurteilt.

Die Entsendung der beiden Exarchen ist eine Reaktion auf die Bitte des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko an das Ökumenische Patriarchat um Gewährung der Autokephalie für die Ukrainische Orthodoxe Kirche. Welche Rolle spielt die Politik in diesem Prozess?
Dies ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt, aber auch dazu gibt es unterschiedliche Positionen. Unsere Kirche beispielsweise, die Ukrainische Orthodoxe Kirche–Moskauer Patriarchat, meint, dass der Staat kein Recht hat, sich einzumischen. Vor dem Hintergrund der Geschichte im 20. Jahrhundert glauben wir, dass die Trennung von Staat und Kirche gut ist. Die Wahrnehmung des Ökumenischen Patriarchats ist jedoch eine andere: Konstantinopel glaubt, dass nicht kirchliche Strukturen, sondern auch staatliche Strukturen mitentscheiden können. Da die gewählten Abgeordneten Menschen vertreten, die auch orthodoxe Christen sind, können sie mitentscheiden und stellvertretend für diese Menschen formulieren, was für den Staat, das Volk und das Land gut oder schlecht ist. In der Perspektive von Konstantinopel ist es daher wichtig, dass sowohl kirchliche als auch staatliche Mächte die Bitte um Autokephalie deutlich unterstützen.

Welche Möglichkeiten haben die orthodoxen Gläubigen und Geistlichen in der Ukraine, um zu einer Deeskalation der angespannten Situation beizutragen?
Ich fände es positiv, wenn die Ukrainer selbst über ihre eigene Kirche entscheiden könnten. Das heißt, dass nicht äußere Kräfte – unabhängig, wie hoch sie geschätzt werden – entscheiden. Diese können mitentscheiden, aber ebenso sehr müssen die Ukrainer mitentscheiden. Zudem möchte ich auf einige Probleme in der heutigen Ukraine hinweisen: Zum einen auf den Konflikt in der Ostukraine, der die russisch-ukrainischen Beziehungen enorm belastet. Zum anderen auf die Präsidentschaftswahlen, die im Frühjahr 2019 stattfinden; durch die Klärung der Autokephalie-Frage erhofft sich Poroschenko Rückenwind für seine Wiederwahl. Von daher gibt es nicht-theologische Faktoren, die in diesem kirchlichen Konflikt eine Rolle spielen. Daneben gibt es natürlich auch ekklesiologische Fragen, die geklärt werden müssen: wie kommunizieren die lokalen orthodoxen Kirchen, was bedeutet Primat unter den orthodoxen Kirchen, und wie kann der Erste von anderen Kirchen Appelle annehmen, usw. All diese Fragen sind ebenfalls aktuell, aber ganz wichtig ist, dass auch die nicht-theologischen Faktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen. Wenn wir eine langfristige erfolgreiche Entscheidung in der ukrainischen Kirchenfrage suchen, wäre es meiner Ansicht nach besser, wenn wir diese nicht in der Vorwahlperiode entscheiden. Zu einer langfristigen Lösung würde sicherlich auch die Beendigung des Konflikts in der Ostukraine beitragen.

Sergii Bortnyk, Dr. theol., Kirchliches Außenamt der Ukrainischen Orthodoxen Kirche–Moskauer Patriarchat, Kiew.