Ukraine: Spannungen in der Orthodoxen Kirche der Ukraine

23. Mai 2019

In der Ende 2018 gegründeten Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) zeichnen sich interne Spannungen ab, die laut ihrem „Ehrenpatriarchen“ Filaret (Denisenko) zu einer Spaltung führen könnten. Filaret, der bis zum Vereinigungskonzil im Dezember Patriarch der nicht kanonischen Ukrainischen Orthodoxen Kirche–Kiewer Patriarchat (UOK–KP) gewesen war, beklagte sich in einem Interview über zu wenig Kommunikation mit dem Oberhaupt der OKU, Metropolit Epifanij (Dumenko). Aufgrund dieser mangelnden Kommunikation sei die Kirche „gespalten“, aber als Patriarch habe er die Aufgabe die ukrainische Kirche zu bewahren. Eine Spaltung sei möglich, aber „wir werden die eine Kirche erschaffen“.

Für Befremden sorgte in diesem Zusammenhang Filarets Einladung an die ehemaligen Bischöfe der UOK–KP, am 13. und 14. Mai in Kiew mit ihm das Gedenken an den Hl. Makarij zu feiern und sich zu einem „brüderlichen Gespräch“ zu treffen. Besondere Aufmerksamkeit hatte erregt, dass die Briefe auf Briefpapier der UOK–KP gedruckt waren, unterschrieben mit „Filaret, Patriarch von Kiew und der ganzen Rus‘-Ukraine“. Gegenüber dem TV-Sender TSN beteuerte Filaret, das Kiewer Patriarchat bestehe noch immer, da es nur von seinem Gründer aufgelöst werden könne. Allerdings hatte der damalige Kiewer Patriarch am Vereinigungskonzil persönlich das Dokument über den Zusammenschluss mit der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche (UAOK) unterzeichnet. Dies bekräftigte das ukrainische Kulturministerium, zu dem das Departement für religiöse Angelegenheiten gehört. Berichte über eine Wiedererrichtung des Kiewer Patriarchats entsprächen nicht der Realität.
Irritiert hatte auch die Tatsache, dass Epifanij, der vor dem Vereinigungskonzil ebenfalls Bischof der UOK–KP war, keine Einladung erhalten hatte. Nachträglich rechtfertigte sich Filaret – angesichts der vielen kritischen Medienberichte zu dem Thema – auf seiner Facebook-Seite damit, dass Epifanij seit seiner Wahl zum Metropoliten nie mit ihm die Liturgie gefeiert habe. Daher sei er davon ausgegangen, dass er kein Interesse habe. Daraufhin lud er ihn doch noch ein, Epifanij wich jedoch nicht von seinen Plänen ab und besuchte an dem Tag Mariupol. Von den über 40 Hierarchen der ehemaligen UOK–KP erschienen lediglich vier zu dem Treffen.
Aufgrund der medialen Debatten veröffentlichte Filaret eine Stellungnahme, in der er Präsident Petro Poroschenko und Epifanij beschuldigte, sich nicht an im Vorfeld des Vereinigungskonzils mündlich getroffene Abmachungen zu halten. Es sei vereinbart gewesen, dass er die Kirche in der Ukraine leiten sollte, während Epifanij sie nach außen verträte. Nun halte sich dieser nicht daran und tue das Gegenteil von Filarets Empfehlungen. Die Auflösung des Kiewer Patriarchats sei zudem rein situativ gewesen, weil dies unter den Umständen des Vereinigungskonzils verlangt worden sei, tatsächlich bestehe es aber noch immer.
Es kursieren auch Gerüchte, Filaret wolle im Sommer ein Landeskonzil einberufen, um das Statut der OKU zu ändern. In einem Interview erklärte Epifanij, dass nur das Oberhaupt, der Hl. Synod und die Bischofsversammlung die Kompetenz hätten, ein solches Konzil einzuberufen. Anpassungen des Statuts würden in Zukunft sicherlich in Bezug auf nicht detailliert festgelegte Aspekte – das Leben der Gemeinden, Klöster und Diözesen – erfolgen, aber jegliche radikalen Änderungen im Widerspruch zum Autokephalie-Tomos seien „gefährlich“. Sie könnten seiner zeitweiligen Aufhebung oder Widerrufung und so zum Verlust der kirchlichen Unabhängigkeit und Rückkehr in die Isolation führen. Epifanij betonte, er bemühe sich um gute Beziehungen zu dem Ehrenpatriarchen. Dieser werde in der OKU sehr geschätzt, seine Äußerungen unterstütze er aber nicht. Filaret jedoch befürchtet keinen Verlust der Autokephalie, denn ein Widerruf des Tomos würde dem Ökumenischen Patriarchat selbst schaden.
Filarets Vorgehen rief verbreitete Kritik hervor. So warnte der Theologe Yuriy Chornomorets auf Facebook, dass sämtliche Schritte zu einer Wiedererrichtung des Kiewer Patriarchats die „Autorität der OKU untergraben sowie die Autorität der Ukraine und der ukrainischen Regierung“. Dies wäre ein „Geschenk für Russland“, die Folgen für die Ukraine unaussprechlich. Eine Gruppe von Laien und Geistlichen, bekannt unter dem Namen „Zehn Thesen für die Orthodoxe Kirche der Ukraine“, hat in den sozialen Medien einen Aufruf zum Schutz der OKU veröffentlicht. Sie beklagen, dass gleich nach der Verleihung des Autokephalie-Tomos „seltsame und unbegreifliche Prozesse“ begonnen hätten, die sie auf die „inakzeptable Autorität und Ambitionen einiger Hierarchen“ zurückführen. Sie warnten davor, den Tomos zu diskreditieren, das Statut ändern und das Patriarchat wieder einführen zu wollen, denn das würde in einer „erneuten Isolation der OKU, der Rache prorussischer Kräfte in der Ukraine und Bedrohungen für die Existenz der Kirche“ resultieren. Daher rufen sie alle Bischöfe, Priester und Mönche auf, „Versuchungen zu widerstehen“ und sich an die kanonische Kirche zu halten. (NÖK)

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