Russland: Gottesbezug in der neuen Verfassung

19. März 2020

In der geplanten neuen russischen Verfassung soll auch ein Gottesbezug stehen. Der Vorschlag zu dieser Verfassungsänderung stammt von Patriarch Kirill, der vom Hl. Synod der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) unterstützt wird. Auch hochrangige Vertreter der katholischen Kirche, des Islam, des Judentums und anderer Religionsgemeinschaften haben sich für die Erwähnung Gottes in der Verfassung ausgesprochen.

Laut dem Entwurf, den der russische Präsident Vladimir Putin der Duma vorgelegt hat, soll in der neuen Verfassung stehen: „Die Russische Föderation, die vereint ist durch eine tausendjährige Geschichte, die das Andenken der Vorfahren wahrt und uns die Ideale und den Glauben an Gott hinterlassen hat, und auch die Kontinuität in der Entwicklung des Russischen Staates, bekennt sich zu einer historisch begründeten Einheit“. Kremlsprecher Dmitrij Peskov konnte in einem Interview mit Kommersant FM zwar nicht erklären, wie die Erwähnung Gottes in der Verfassung genau zu verstehen sei, und was sie für atheistische Russen bedeute, beteuerte aber, der Staat werde „ganz offensichtlich in keiner Weise seinen säkularen Charakter verlieren“. Metropolit Ilarion, der Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats, wies darauf hin, dass viele Länder in ihrer Verfassung Gott oder den Glauben an Gott erwähnten. Zudem vereine die „traditionellen Konfessionen“ Russlands die „Vorstellung von Gott als Schöpfer“.

Neu wird in der Verfassung auch die Ehe als Bund von Mann und Frau festgeschrieben. Die Änderung wird ebenfalls von der ROK unterstützt. Es sei wichtig, dass die Ehe gerade als Verbindung von Mann und Frau definiert werde, nicht etwa die Familie, wie auch vorgeschlagen worden war. Eine Familie könne auch „aus Mutter und Kind oder Großvater und Enkeln bestehen“, erklärte Äbtissin Ksenija (Tschernega), die Leiterin der Rechtsabteilung des Moskauer Patriarchats. Für den Vorschlag sprach sich auch Petr Tolstoj aus, der Vizesprecher der Duma, der damit eine „Barriere gegen Versuche, bestimmte, zusätzliche Rechte für LGBT vorzuschreiben“, errichten möchte. Solche Versuche gebe es schon heute, beispielsweise „mithilfe des Gesetzesentwurfs über die Verhinderung von häuslicher Gewalt“, erklärte Tolstoj. In dieser Frage verwies Metropolit Ilarion darauf, dass 1993, als die aktuelle Verfassung verabschiedet worden war, die Definition der Ehe nicht zur Debatte stand. Heute hingegen werde die Frage gestellt, was Ehe sei, nicht so sehr in Russland, als vielmehr im Ausland. Da aber im Ausland geschlossene Ehen in Russland anerkannt würden, sei eine Definition der Ehe in der Verfassung nötig.

Das russische Verfassungsgericht hat entschieden, dass die von Putin angeregten Anpassungen der russischen Verfassung akzeptabel seien, sie widersprächen keinen unabänderlichen Verfassungsartikeln. Ausdrücklich hieß das Gericht eine der umstrittensten Änderungen gut, die die bisherigen Amtszeiten von Präsident Putin „löschen“ und ihm zwei weitere Amtszeiten erlauben würde. So könnte er theoretisch bis 2036 an der Macht bleiben. Nachdem die Änderungen von der Duma in drei Lesungen und von den Abgeordneten des Föderationsrats abgesegnet wurden, stimmten auch die Regionalparlamente zu. Wenn am 22. April die Hälfte der Wähler sich in einer landesweiten Abstimmung für die Verfassungsänderungen ausspricht, treten diese in Kraft.

Auch die Erwähnung der Russen als grundlegendem Volk Russlands ist in der aktuellen Version der Anpassungen enthalten. Das Verfassungsgericht begründet das damit, dass das russische Volk für die Staatsbildung entscheidend gewesen sei und die Anerkennung dieser Rolle die Verdienste anderer Völker nicht mindere.

Gegen die geplante Verfassungsänderung gibt es in Russland Protest. So haben Hunderte Wissenschaftler, Journalisten und Juristen davor gewarnt, dass das Land vor einer „Verfassungskrise und einem pseudo-rechtlichen, verfassungswidrigen Coup“ stehe. Kurz vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts wurde ein offener Brief mit über 420 Unterschriften von Echo Moskvy publiziert. Die Unterzeichner kritisieren vor allem die Änderung, die Putin zwei weitere Amtszeiten ermöglicht, als „fundamental rechtswidrig sowie politisch und ethisch inakzeptabel“. Besorgt sind sie auch über Anpassungen an der föderalen Struktur sowie über das Verfahren, wie die Änderungen angenommen wurden. Bereits im Januar hatte die russische Zeitung Novaja Gazeta ein Online-Manifest veröffentlicht, in dem sie das Vorgehen als „Coup“ kritisierte, mit dem „Putin und sein korruptes Regime auf Lebenszeit an der Macht“ gehalten werden sollen. Unterschrieben von 22’000 Personen, ruft das Manifest russische Bürgerinnen und Bürger auf, gegen die Änderungen zu stimmen.

Kritik kam auch von der Freien Historischen Gesellschaft, einer NGO, in der sich professionelle Historiker zusammengeschlossen haben. Sie ist besorgt über die Absicht, „ein ‚richtiges‘ Verständnis der Geschichte mithilfe politischer Instrumente“ festzulegen. Dies werde nur zu einer „Vertiefung der Konfrontation“ führen und sei zum Scheitern verurteilt. Insbesondere kritisiert die NGO Art. 67, Abschnitt 2. Sie stört sich am Begriff „tausendjährige Geschichte“, da es vor 1000 Jahren keine Russische Föderation gab und auch nicht Russland, sondern ein Land, auf das sich mehrere heutige Staaten beziehen und dessen Hauptstadt Kiew war.

Auf Kritik stößt auch Abschnitt 3 von Art. 67, in dem es um den Schutz des Andenkens der „Verteidiger des Vaterlandes“ und der „historischen Wahrheit“ geht. Eine solche Wahrheit gebe es nicht und die Vorstellung, der Staat verfüge über sie und schütze sie, sei „tödlich für die Geschichtswissenschaft“. Äußerst gefährlich findet die Gesellschaft die Herausstellung eines Volkes – des russischen – als „staatsbildend“. An der „Gründung des Staates, seinem Schutz und der Herausbildung seiner Kultur“ seien zweifellos alle Völker des Landes beteiligt gewesen. Eines davon als „großen Bruder“ hervorzuheben, führe lediglich zu „Chauvinismus“ auf der einen Seite, und zu „Separatismus“ auf der anderen Seite. (NÖK)