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Georgien: Kontroverse um Kirchenbesuch und Kommunion

02. April 2020

In Georgien haben die Behörden am 21. März den Notstand ausgerufen und Versammlungen von mehr als zehn Personen untersagt. Der Schritt wird von vielen als Reaktion auf das Verhalten der Georgischen Orthodoxen Kirche (GOK) interpretiert, die bestimmte Maßnahmen zum Schutz der Gläubigen an Gottesdiensten ablehnt. Diese Haltung hat der ansonsten in der Gesellschaft sehr geachteten GOK viel Kritik eingebracht. Dass der Notstand an einem Samstag verkündet wurde, weckte den Anschein, damit ein zu zahlreiches Erscheinen von Gläubigen an den Sonntagsgottesdiensten verhindern zu wollen.

Besonders viel Kritik erntete die Absicht der GOK, bei der Kommunionspendung weiterhin einen gemeinsamen Löffel für alle Teilnehmer verwenden zu wollen. Sie ist damit eine der letzten orthodoxen Kirchen, die an dieser Praxis festhält. Entschieden hatte dies der Hl. Synod bei seiner Sitzung vom 20. März. Die Kommunion heile Körper und Seele, erklärte das georgische Patriarchat in einem Statement. Es sei „inakzeptabel, die Essenz des Mysteriums der Kommunion anzuzweifeln und diese Zweifel durch Aktionen wie den Verzicht auf den Kommunionslöffel zu äußern“. Andere offizielle Empfehlungen unterstützte die Kirchenleitung jedoch und rief die Gläubigen auf, sich in den Kirchen nicht zu drängen und zuhause zu bleiben, wenn sie krank seien.
Auf die Erklärung des Notstands gab es unterschiedliche kirchliche Reaktionen: Bischof Iakobi (Iakobaschwili) von Bodbe beabsichtigt beispielsweise nicht, die „Behörden die Situation kontrollieren zu lassen“. Es sei nicht an der Polizei zu entscheiden, wer wann in die Kirche komme. Anders Erzbischof Grigori (Berbitschaschwili) von Poti, der Gläubigen aufrief, zuhause oder zumindest draußen vor der Kirche zu bleiben. Er versprach, dass Priester Gläubige, die die Kommunion empfangen möchten, zuhause besuchen würden.
Das Verhalten der GOK hat ungewöhnlich harsche Kritik hervorgerufen. Während viele liberale Georgier die konservative Haltung der GOK und ihren Einfluss auf den Staat und die Gesellschaft ablehnen, gilt sie in weiten Teilen der Bevölkerung als fundamentaler Teil der Nationalidentität und der Patriarch als Autorität. In den klassischen und sozialen Medien sind hitzige Debatten zwischen Unterstützern und Kritikern der Kirche entbrannt. Innerhalb von zwei Tagen haben 4000 Personen eine Petition an die Regierung unterschrieben, pandemiekonforme religiöse Praktiken durchzusetzen und die in der Verfassung festgehaltenen besonderen Rechte und Privilegien der GOK zu widerrufen. Andererseits gibt es Kampagnen zur Unterstützung der GOK.
Am 25. März rechtfertigte sich die GOK in einem weiteren Statement. Darin rief sie die Gläubigen auf, verstärkte Hygienemaßahmen zu berücksichtigen. Zudem sollten Kranke zuhause bleiben und Kirchenbesucher in der Kirche einen Abstand von zwei Metern und draußen von 1,5 Metern zueinander einhalten. Priester sollten die Gottesdienstbesucher auf verschiedene Tage aufteilen und wenn möglich Gottesdienste im Freien abhalten. Anderseits erklärte die GOK ein Verbot von Kirchenbesuchen als „ungerechtfertigten Angriff auf Gott“ sowie die Ablehnung der Praktiken der Kommunionspendung als Ablehnung von Christus selbst.
Für ihr Vorgehen in der Corona-Krise hat die georgische Regierung bisher viel Lob erhalten. Sehr früh setzte sie auf die Kontrolle von Einreisenden und Isolierung von Infizierten, was angesichts des schwachen Gesundheitssystems begrüßt wurde. Dabei räumte sie Gesundheitsexperten eine tragende Rolle ein. In einem weiteren Schritt wurden am 20. März sämtliche Läden, die nicht lebensnotwendige Güter anbieten, geschlossen. Obwohl die Fallzahlen noch überschaubar sind, sind seit dem 31. März verschärfte Maßnahmen in Kraft, die eine nächtliche Ausgangssperre und die komplette Einstellung des öffentlichen Verkehrs auf unbestimmte Zeit beinhalten. Öffentliche Ansammlungen von mehr als drei Menschen, außer in Lebensmittelläden und Apotheken, sind verboten. Über 70-Jährige dürfen das Haus gar nicht mehr verlassen dürfen.
Die Organe der muslimischen Minderheit in Georgien entschieden bereits am 20. März, auf unbestimmte Zeit keine gemeinsamen Gebete, auch keine Freitagsgebete, mehr zu erlauben. Die Moscheen bleiben jedoch für das individuelle Gebet geöffnet. (NÖK)

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