Berg-Karabach: Umstrittene Restauration der Kathedrale von Schuschi

20. Mai 2021

In Berg-Karabach hat Aserbaidschan damit begonnen, die Kathedrale der Stadt Schuschi zu restaurieren. Dabei soll sie angeblich ihr ursprüngliches Äußeres zurückerhalten, das in den 1990er Jahren von Armenien verändert worden sei. Schuschi (aserbaidschanisch Schuscha) liegt in einem Teil von Berg-Karabach, den Aserbaidschan im Herbst 2020 im wiederaufgeflammten Krieg um die Region erobert hat. Seit dem ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre war die Stadt unter armenischer Kontrolle gewesen.

In armenischen Medien waren Anfang Mai Berichte aufgetaucht, wonach es nach der Entfernung eines Baugerüsts scheint, als sei die Kuppel der Kirche verschwunden. Dies führte in Armenien zu einem Aufschrei, das Außenministerium bezeichnete das aserbaidschanische Vorgehen als „bedauerlich“ und verwies auf „viele vorangegangene Beispiel für die Zerstörung armenischer religiöser Stätten und Monumente sowie die Rechtfertigung solcher Taten“. Es bemängelte, dass die Arbeiten an der Kathedrale ohne Beratung mit der Armenischen Apostolischen Kirche ausgeführt werden, was die Rechte armenischer Gläubiger auf freie Religionsausübung verletze. Besondere Sorgen bereitet Armenien, dass die architektonischen Veränderungen vor dem Beginn einer UNESCO-Expertenmission in Berg-Karabach vorgenommen würden. Über eine solche Mission wird seit längerem diskutiert, sie hat aber noch keine klaren Formen angenommen. Die UNESCO bestätigt lediglich laufende Verhandlungen. Armenien wirft Aserbaidschan vor, der UNESCO bewusst den Zugang zu verwehren, um Kriegsverbrechen zu verschleiern und die „historisch-architektonische Integrität des Monuments“ zu verändern. Das armenische Außenministerium fordert daher eine Dokumentation der aktuellen Situation armenischer historischer und kultureller Stätten durch internationale Experten und deren Einbezug in Renovationsarbeiten.

Auch die Armenische Apostolische Kirche beklagte, dass armenische Heiligtümer trotz des „relativen Friedens“ in Berg-Karabach ins Visier genommen würden, um die „Spuren armenischer Identität auszulöschen“. Zahlreiche Stätten seien bereits zerstört oder beschädigt worden, und es werde versucht, rund 150 armenischen Heiligtümer zu assimilieren, indem die „Geschichte verzerrt und gefälscht wird“. Angesichts der Arbeiten an der Kathedrale in Schuschi verurteilt die Leitung der Kirche den „kulturellen Genozid durch die aserbaidschanischen Behörden“.

Das aserbaidschanische Außenministerium bestätigte in einem Statement, dass der „Prozess der Restaurierung und des Wiederaufbaus“ in den aserbaidschanischen Gebieten, die fast 30 Jahre besetzt gewesen seien, begonnen habe. Dabei werde das historische, kulturelle und religiöse Erbe Aserbaidschans, das „während der jahrzehntelangen armenischen Besetzung“ zerstört worden sei, wiederaufgebaut. In Schuschi würden Restaurationsarbeiten an „Moscheen, historischen Monumenten, Mausoleen, Hausmuseen“ sowie der Kathedrale in „Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Architekturstil“ ausgeführt, um das „historische Bild“ der Stadt wiederherzustellen. Aserbaidschan wirft dabei Armenien vor, das kulturelle und historische Erbe in Berg-Karabach „systematisch und mutwillig zerstört oder verändert“ zu haben. Aserbeidschanische Kulturgüter seien zerstört, gestohlen und verkauft worden, ganze Museen seien „Opfer des armenischen Vandalismus“ geworden. Daher spricht das aserbaidschanische Außenministerium Armenien das Recht ab, die Restaurationsarbeiten zu kommentieren.

Im Internet zirkulieren Bilder der Kathedrale, anhand derer ihr ursprüngliches Erscheinungsbild hitzig diskutiert wird. In den 1990er Jahren, nach dem Sieg der Karabach-Armenier im ersten Berg-Karabach-Krieg, erhielt die Kathedrale eine spitze Kuppel, die auf Fotos der sowjetischen Zeit nicht zu sehen ist. Allerdings zeigen Bilder aus der vorsowjetischen Zeit eine ähnliche Kuppel. 1920 kam es in Schuschi zu Pogromen, und die armenische Bevölkerung der Stadt wurde getötet oder floh. Dabei wurde auch die Kirche beschädigt und verlor die Kuppel, während der Sowjetzeit blieb sie in diesem Zustand. Die aserbaidschanischen Behörden jedoch argumentieren, dass die spitze Kuppel eine künstliche Ergänzung der 1990er Jahre sei.

Im Herbst 2020 wurde die Kathedrale, insbesondere die Kuppel, während der Kampfhandlungen beschädigt. Armenien wirft Aserbaidschan vor, die Kathedrale absichtlich beschossen zu haben. Die aserbaidschanische Regierung bestreitet dies vehement. Die NGO Human Rights Watch kam zum Schluss, es sei wahrscheinlich, dass Aserbaidschan die Kathedrale absichtlich ins Visier genommen und damit gegen das Humanitäre Völkerrecht verstoßen habe.

Kurz nach dem im November von Russland vermittelten Waffenstillstand hatte der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev versprochen, dass die christlichen Stätten unter der Kontrolle seines Landes geschützt würden. Bei seinem Besuch in Jerewan ging der russische Außenminister nicht auf die Frage ein. Er beteuerte lediglich, dass die Bemühungen, alle Gefangenen nachhause zu bringen, Minen zu räumen und kulturelles und religiöses Erbe zu schützen, nicht vermindert würden. Aufsehen hat zudem ein Vordringen des aserbaidschanischen Militärs in armenisches Gebiet Mitte Mai erregt. Doch auch in dieser Frage blieb Russland passiv und äußerte sich nur vage. (NÖK)

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