Belarus: Lukaschenka droht den Kirchen

12. November 2020

Alexander Lukaschenka hat den Religionsgemeinschaften indirekt gedroht, gegen sie vorzugehen, sollten sie sich gegen den Staat wenden. Bei einem Treffen mit dem Oberhaupt der Belarussischen Orthodoxen Kirche (BOK), Metropolit Veniamin (Tupeko), zeigte er sich stolz auf den interreligiösen Frieden im Land, den er verteidigen werde. Sollte „irgendeine Organisation in Belarus, ob zivilgesellschaftlich oder religiös, auf die Zerstörung des Staats zielen, werde ich natürlich gezwungen sein, darauf zu reagieren“, erklärte Lukaschenka. Als Staatsoberhaupt sei es seine verfassungsmäßige Pflicht, den Staat zu schützen.

Das Treffen war die erste offizielle Begegnung zwischen Lukaschenka und dem neuen Oberhaupt der BOK. Dabei wurden unter anderem aktuelle staatliche und gesellschaftliche Probleme, Fragen der interreligiösen Beziehungen und der religiösen Bildung besprochen. Im Anschluss erklärte Metropolit Veniamin gegenüber Journalisten, sie hätten auch über das Verhältnis zu Russland und westlichen Ländern gesprochen und darüber, dass es wichtig sei, den „Frieden zu bewahren, damit das Land souverän sein und sich selbstständig entwickeln kann“. Angesprochen auf Geistliche, die klare Wertungen über die aktuellen Ereignisse abgeben, sagte er, jeder habe das Recht auf eine eigene Meinung. Aber „wir müssen verstehen, wann und wie wir unsere Position ausdrücken“. Die Kirche sei ein Ort, an dem Menschen unterschiedlicher Überzeugungen und Ansichten zusammentreffen. Sie alle müssten sich dort wohlfühlen, die Worte und Handlungen von Geistlichen dürften nicht spaltend auf die Gesellschaft wirken.
Lukaschenka warf zudem Erzbischof Tadeusz Kondrusiewicz, dem Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche in Belarus, vor, er sei nach Polen gereist, um Ratschläge zur Zerstörung von Belarus zu erhalten. Bischof Juryj Kasabuzki, Generalvikar der Erzdiözese Minsk, wollte die Vorwürfe nicht kommentieren, da er seine Meinung dazu schon „mehrmals öffentlich und offiziell“ geäußert habe. Diese Falschaussage sei eine „durch absolut nichts begründete Lüge, die keiner Kritik standhält. Das ist ein politisches Spiel, mehr nicht“, schrieb Kasabuzkij auf Facebook. Die katholische Kirche stelle sich gegen Gewalt und Erniedrigung, bete für politische Gefangene, setze sich gegen Repressionen und Verfolgungen, die Verletzung von Menschenrechten und der Menschenwürde sowie Diskriminierung ein. Außerdem rufe sie zu „Einheit, Solidarität und gegenseitiger Unterstützung“ auf. Aber „das alles wird in unserem Land heute als etwas Schlechtes betrachtet“.
Lukaschenka kritisierte auch die Beschäftigung ausländischer Priester in der katholischen Kirche in Belarus. Es seien viele Gemeinden aufgebaut worden, während es nicht genügend Geistliche gebe. Aber anders als die BOK, die von diesem Problem ebenfalls betroffen sei, hole die katholische Kirche diese „aus dem Ausland, aus uns fremden Ländern“. Daher sei es notwendig, „intensiver eigene katholische Geistliche auszubilden“. Die katholische Kirche betreibt in Belarus fünf höhere Bildungseinrichtungen und hat vor fünf Jahren offiziell eine theologische Akademie in Minsk registriert. Doch es ist ihr bisher nicht gelungen, in Minsk ein Grundstück und eine Baubewilligung zu erhalten. Zudem erhalten die katholischen Schulen keine finanzielle Unterstützung vom Staat, während die geistlichen Bildungseinrichtungen der BOK unterstützt werden. Von den 500 katholischen Priestern in Belarus kommen rund 80 aus dem Ausland Ausländer, zumeist aus Polen.
In einem Aufruf an Metropolit Veniamin kritisierte unterdessen die Gruppe „Christliche Vision“ des Koordinierungsrats die Haltung der BOK und des Exarchen. Sie forderte die Kirche auf, sich „unverzüglich und unmittelbar“ an der Beendigung illegaler Handlungen gegen die belarussische Bevölkerung zu beteiligen. Schon seit Monaten kämpften die Belarussen friedlich gegen „Lüge und Gewalt“ und versuchten, eine „neue Gesellschaft, die auf moralischen Werten aufgebaut ist, zu schaffen“. Warum „hat sich in dieser schrecklichen und verantwortungsvollen Zeit die Kirche vom Volk getrennt?“ Die Gruppe wirft der BOK vor, sich „nur dann von der Politik zu lösen, wenn es ihr nützt“. Sie warf zudem die Frage auf, wie die Kirche ihre „Untätigkeit“ erklären werde, wenn die Protestbewegung erfolgreich ist. Sie forderte von der BOK die „Mitwirkung bei der unverzüglichen Beendigung der Gewalt, Folter und Verfolgung friedlicher Bürger durch den Staat, sowie der Befreiung aller illegal Verhafteten und Gefangenen“. Das sei keine Politik, sondern ein Leben entsprechend dem Evangelium. (NÖK)

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