Belarus: Kirchen rufen zur Unterstützung der Migranten an der Grenze auf

18. November 2021

Angesichts der dramatischen Lage der Flüchtlinge im Grenzgebiet von Belarus und Polen haben die Oberhäupter der vier größten Religionsgemeinschaften in Belarus einen Appell an europäische Politiker und Gläubige gerichtet, die Geflüchteten aufzunehmen. Unterzeichner des Dokuments sind Metropolit Veniamin (Tupeko) von der Belarusischen Orthodoxen Kirche (BOK), Erzbischof Jozef Staniewski (Juzaf Staneuski) von der römisch-katholischen Kirche, Mufti Abu-Bekir Schabanovitsch und Oberrabbiner Grigorij Abramovitsch von der religiösen Vereinigung der Gemeinden des progressiven Judentums. Allerdings sind Auszüge des Dokuments lediglich auf der Website der staatlichen belarusischen Nachrichtenagentur Belta zu finden.

Die tragischen Ereignisse und das menschliche Leid hätten die Unterzeichner dazu bewogen, sich an die „Politiker der wirtschaftlich entwickelten und wohlsituierten europäischen Staaten“ zu wenden. Es sei nicht die Schuld der Geflüchteten, dass sie ein besseres Leben suchten und dafür den Weg über Belarus nähmen. Mit Blick auf Weihnachten und das Ende des Jahres riefen sie die Politiker, aber auch alle Gläubigen und „nicht gleichgültigen Menschen in Europa zu Weisheit, Barmherzigkeit und Mitgefühl, zur Rettung der Menschen“ auf. Ihnen sollte nicht nur „Hoffnung und Rat, sondern auch die nötige Hilfe und Möglichkeit, ihre Hoffnungen zu erfüllen“, gegeben werden.

Auf ihrer Website vermeldete die BOK, dass das „offizielle Statement“ der Religionsführer in Zusammenarbeit mit dem Bevollmächtigten für Fragen der Religion und Nationalität, Alexander Rumak, vorbereitet worden sei, über eine Unterzeichnung wurde nicht berichtet. Laut der Meldung rief Metropolit Veniamin zu einer Lösung der Frage auf. Die BOK bete für die Geflüchteten und sei bereit, „diesen über ihre Gemeinden humanitäre Hilfe zu leisten“.

Nachdem bereits die Bischofskonferenz der katholischen Kirche in Belarus zum Gebet für die Flüchtlinge aufgefordert hatte, rief Erzbischof Ante Jozić, der Apostolische Nuntius in Belarus, in einem Statement zur Solidarität mit den Migrantinnen und Migranten auf. Ungeachtet der „aktuellen politischen Krise in Belarus“ brauche es „umgehende, konkrete Lösungen zur Kontrolle der Migrationsströme“. Er lobte die Caritas-Abteilungen der belarusischen und polnischen Diözesen für das „Sammeln von Hilfe“ für die gestrandeten Geflüchteten. Die Kirche bete für eine Lösung des Problems und bitte die Politik zu handeln, um Menschenleben zu retten. Es sei nicht mitanzusehen, wie Tausende von Menschen an der Grenze zwischen Leben und Tod gefangen seien, heißt es in dem Statement weiter. Abschließend lud Jozić alle katholischen Gläubigen zum Gebet für die Lösung der Migrationskrise ein, während er die Regierungen der betroffenen Staaten aufforderte, „entschlossen und schnell zu handeln, um wenigstens temporäre Lösungen“ zu finden.

Die Arbeitsgruppe „Christliche Vision“ des Koordinierungsrats von Belarus drückte in einem Brief an Erzbischof Paul Richard Gallagher, den vatikanischen Außenbeauftragten, ihre Sorge über die Migrationskrise an der Grenze aus, die vom „Regime Alexander Lukaschenkas organisiert ist, mit dem Ziel die Europäische Union zu destabilisieren“. Sie würdigte die Arbeit der Freiwilligen, die die Migranten auf der anderen Seite der Grenze in Polen, Litauen und Lettland mit humanitärer Hilfe versorgten sowie medizinisch und juristisch unterstützen. Besonders lobten sie die belarusischen Helfer, die ungeachtet der Hindernisse durch das Regime und des Risikos der Verfolgung aktiv seien. Die Arbeitsgruppe verurteilte „jede Instrumentalisierung von verletzlichen Menschen“. Mit Blick auf eine Aussage von Gallagher nach einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lavrov in Moskau am 9. November bat die Gruppe um Präzisierungen. Erzbischof Gallagher hatte dabei die europäischen Regierungen aufgerufen, Verantwortung zu übernehmen und die Krise zu lösen. Zudem hatte er die kritische Position der katholischen Kirche in Polen gegenüber dem Vorgehen der polnischen Regierung lobend hervorgehoben. Da dieser Aufruf in den Medien vor allem als Appell an die EU-Staaten verstanden worden sei, bat „Christliche Vision“ den Erzbischof um eine „differenziertere und klare“ Positionierung zur Rolle des belarusischen Regimes und der Bemühungen der belarusischen Zivilgesellschaft.

Die katholische Kirche in Polen will am 21. November eine Kollekte zugunsten der Geflüchteten durchführen. Die Situation im Grenzgebiet sei ernst, sagte der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanisław Gądecki. Ungeachtet der Umstände, unter denen die Migranten ins Land gekommen seien, „brauchen sie unsere spirituelle und materielle Unterstützung“. Das Netzwerk der Caritas und das Katholische Migrations- und Flüchtlingsbüro der Bischofskonferenz von Polen setzten sich für den Respekt der Menschenrechte derjenigen ein, denen es gelingt die Grenze zu Polen zu überqueren. Zudem lud Gądecki die Katholiken ein, für Frieden an der Grenze zu beten. Zugleich zweifelt die katholische Kirche nicht Polens Recht an, sich und seine Bürger zu schützen. Erzbischof Józef Guzdek, Leiter der Militärdiözese, dankte den Soldaten, die an der östlichen Grenze, die „angegriffen“ werde, im Einsatz stehen.

Die Evangelische Kirche A. B. in Polen hatte schon am 17. Oktober dazu aufgerufen, die Rechte der Asylsuchenden an der polnisch-belarusischen Grenze zu schützen. Zudem lancierte sie am 21. Oktober eine Spendensammlung zugunsten der Migranten. Den Spendenaufruf wiederholte sie mit Blick auf die „schwierige Situation“ an der Grenze, die eine „sofortige Reaktion“ verlange, am 17. November. (NÖK)