Georgien: Patriarch Ilia II. appelliert an Putin

09. Januar 2020

Der georgische Patriarch Ilia II. hat sich in seiner Neujahrsansprache an den russischen Präsidenten Vladimir Putin gewandt und ihn aufgerufen, die Besetzung der beiden abtrünnigen georgischen Gebiete Abchasien und Südossetien zu beenden. Ilia hält die Frage der „territorialen Integrität“ für das momentan schwerwiegendste Problem Georgiens. Die abchasische Seite warf dem Patriarchen Heuchelei vor und verwies auf Ilias Unterstützung georgischer Soldaten während des Kriegs in den frühen 1990er Jahren, als sich Abchasien von Georgien abspalten hatte.

Ilia hatte sich bereits im November 2019 in einem Brief an den russischen Patriarchen Kirill gewandt, um seine Sorge über Entwicklungen in Südossetien auszudrücken. Dabei stand der Fall des georgischen Arztes Vascha Gaprindaschwili im Mittelpunkt, der am 9. November von den südossetischen Behörden verhaftet, des illegalen Grenzübertritts beschuldigt und am 15. November zu zwei Monaten Untersuchungshaft verurteilt worden war. Der Fall hatte in Georgien für Aufregung gesorgt und zu zahlreichen Solidaritätsbekundungen geführt. Am 28. Dezember wurde Gaprindaschwili freigelassen, offenbar dank einer Begnadigung durch den südossetischen Präsidenten. Kurz zuvor war er zu einem Jahr und neun Monaten Gefängnis verurteilt worden.

In der südossetisch-georgischen Grenzzone werden regelmäßig Einwohner aus nahegelegenen georgischen Dörfern festgehalten. Aber die Verhaftung des bekannten Chirurgen, der offenbar in Südossetien zu einem Patienten wollte, hatte ein wesentlich größeres Echo ausgelöst. So kritisierte Amnesty International die vollständige Schließung der Grenzen durch die südossetischen Behörden. Dies verschlechtere die humanitäre Situation der Bevölkerung, deren Zugang zu medizinischer Betreuung, Sozialleistungen, Bildung und Familienmitgliedern eingeschränkt sei.

Patriarch Ilia äußert sich immer wieder zu aktuellen Themen und ist in Georgien eine prominente Figur. Zur Feier des 42. Jahrestags seiner Inthronisation gratulierten ihm daher auch die Anführer der Regierungspartei Georgischer Traum. Der Parteivorsitzende Bidsina Iwanischwili betonte in seiner Rede die wichtige Rolle der Georgischen Orthodoxen Kirche (GOK) und des Patriarchen. Bei den vielen Herausforderungen und Gefahren der letzten 42 Jahre seien oft die Kirche und der Patriarch die „stärkste Festung“ Georgiens gewesen. Ähnlich äußerte sich der georgische Ministerpräsident Giorgi Gacharia, der den Beitrag Ilias zum Erhalt von Ruhe und Frieden im Land betonte. Trotz aller Schwierigkeiten sei Georgien mit dem Patriarchen als seinem Hirten siegreich geblieben.

Ilia war am 25. Dezember 1977 zum Katholikos-Patriarchen gewählt worden. Unter seiner Führung gelang es der GOK ihren Einfluss und ihr Prestige, die sie in der Sowjetzeit eingebüßt hatte, wiederherzustellen. Bei Umfragen nimmt die GOK neben der Armee immer wieder einen der Spitzenplätze der vertrauenswürdigsten Institutionen im Land ein. 2002 unterschrieben Ilia und der damalige georgische Präsident ein Abkommen, das der GOK eine Reihe von Privilegien zugestand. Am 4. Januar 2020 feierte Ilia seinen 87. Geburtstag. (NÖK)