Georgien: Belastendes Material über Geistliche geleakt

23. September 2021

In Georgien haben den Medien zugespielte Dokumente über Geistliche der Georgischen Orthodoxen Kirche (GOK) für Aufregung gesorgt. Offenbar stammen die Materialien aus einer umfangreichen, systematischen Überwachungsaktion des georgischen Inlandgeheimdienstes. Die Dossiers wurden laut Medienberichten seit 2014 zusammengestellt und betreffen hauptsächlich „hunderte“ Religionsvertreter, darunter hochrangige Geistliche der GOK sowie Mitarbeiter des georgischen Patriarchats.

Am 13. September erhielten mehrere große georgische Medien einen Link zu einer Website, die tausende – Medienberichten zufolge über 3000 – von geheimen Überwachungsakten enthält. Offenbar beinhalten die Daten Telefongespräche der Betroffenen, in denen ihre politischen Meinungen und ihre Aktivitäten sowie ihr Privatleben zur Sprache kommen. Die Dokumente sind angeblich thematisch geordnet und betreffen teilweise strafbare Aktivitäten wie sexuelle Beziehungen zu Minderjährigen, Korruption oder Spionage für Russland. Daneben beinhalten sie Informationen zu intimen Beziehungen, Drogenkonsum und geschäftlichen Aktivitäten.

Online gestellt wurden die Unterlagen unter einem Pseudonym, wobei die Person behauptet, für den Geheimdienst gearbeitet zu haben. In einer begleitenden Botschaft erklärte sie, „alle“ würden überwacht. Der Geheimdienst sammle kompromittierendes Material und nutze „Schwächen“ aus. Die Veröffentlichung geschah einen Monat, nachdem ein Fernsehsender angebliche Aktennotizen des Geheimdienstes gesendet hatte, in denen es um die Überwachung von Geistlichen, Geschäftsleuten, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Beamten ging.

Der Sprecher der GOK, Erzpriester Andria Jagmaidze, bezeichnete die Überwachung und Veröffentlichung der Unterlagen als „völlig inakzeptabel“, sollten sie sich als wahr herausstellen. Näher wollte er sich nicht äußern, sondern abwarten, bis eine Untersuchung mehr Klarheit brächte. Die Medien bat er, die Dokumente mit der GOK zu teilen, da diese keinen Zugang dazu habe. Der Sekretär von Patriarch Ilia, Erzpriester Mikael Botkoveli, wollte sich nicht offiziell äußern; er erklärte, man warte auf „Erklärungen der Regierung bezüglich des Zwecks“ der angeblichen Überwachungsaktion.

Die Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung eingeleitet, bei der es zunächst um die Echtheit der Dokumente geht. Diese hält die renommierte NGO Institute for Development of Freedom of Information (IDFI) für wahrscheinlich. Laut IDFI seien die Berichte zwischen 2014 und 2021 verfasst worden und höchstwahrscheinlich vom Geheimdienst erarbeitet worden. Zudem sei ein großer Teil der Unterlagen vermutlich illegal beschafft worden, und eine systematische illegale Überwachung sei wahrscheinlich. Der Fokus der Überwachungsaktivitäten liege auf religiösen Angelegenheiten, aber auch Angestellte von internationalen Organisationen und Botschaften kämen in den Unterlagen vor. Das IDFI rief die Generalstaatsanwaltschaft auf, die Daten zu vernichten oder den Zugang dazu einzuschränken, falls sie sich als echt herausstellen sollten. Das georgische Parlament forderte es auf, eine Untersuchungskommission einzurichten. Das Material wurde inzwischen aus dem Internet entfernt und ist nicht länger öffentlich zugänglich.

Medienvertreter und Oppositionspolitiker bestätigten die Echtheit von Gesprächen, die sie mit Geistlichen geführt haben und die in den Dokumenten auftauchen. Oppositionsparteien, NGOs und die Ombudsfrau Nino Lomjaria befürchten, der Geheimdienst könnte die illegal beschafften Materialien dazu verwenden, um Personen zu erpressen. Lomjaria bemängelte zudem den Mangel an effektiven Kontrollmechanismen. Die illegale Überwachung sei eine „krasse Verletzung von Menschenrechten, mit der man sich befassen muss“ und die in einem demokratischen Staat nicht passieren sollte. Die Oppositionspolitikerin Khatuna Gogorischwili warf der Regierungspartei Georgischer Traum (GT) vor, die Dokumente an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, um der GOK die Luft abzuschneiden und sie zur Unterstützung bei den Lokalwahlen vom 2. Oktober 2021 zu zwingen. Der Vorsitzende der Oppositionspartei Lelo, Mamuka Khazaradze, bestätigte ebenfalls die Echtheit von rund 40 Gesprächen zwischen ihm und Bischöfen und Äbten, die ihm von der Staatsanwaltschaft gezeigt wurden. Er bezeichnete die Affäre als „Desaster“.

Die Regierungspartei hingegen unterstellt der größten Oppositionspartei, Vereinte Nationale Bewegung (VNB), hinter den veröffentlichten Dokumenten zu stehen. Es sei eine „dreckige, antistaatliche Provokation, die vor den Lokalwahlen Spannungen im Land schüren soll“. Der GT-Parlamentarier Gia Volski behauptete, die VNB sei „zutiefst in illegale Überwachung involviert gewesen und hat persönliche Angaben gesammelt, um Personen zu erpressen und zu unterdrücken“. Einige Akten sollen sogar von ihr ins Ausland gebracht worden sein und noch immer benutzt werden. Die VNB wurde vom inzwischen im Exil lebenden früheren georgischen Präsidenten Mikheil Saakaschwili gegründet und war von 2004 bis 2012 an der Macht. Der georgische Ministerpräsident Irakli Garibaschwili sprach von einer Verschwörung gegen den Staat und die Kirche. Die Opposition habe vor einem Jahr eine „Schmutzkampagne“ gegen das Patriarchat lanciert und versuche die GOK, aber auch die Armee und die Polizei zu diskreditieren. Das große Vertrauen der Bevölkerung in den Patriarchen verleihe dessen Wort viel Gewicht, er müsse geschützt werden. (NÖK)