Russland: Kirchenvertreter haben für Verfassungsänderungen gestimmt

09. Juli 2020

Zahlreiche Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) haben beim russischen Verfassungsreferendum für die umstrittenen Änderungen gestimmt. Nach seiner Stimmabgabe sagte der russische Patriarch Kirill gegenüber Journalisten, die Änderungen hätten eine „sehr tiefe weltanschauliche Bedeutung“ und könnten zu „sehr wichtigen spirituellen und moralischen Folgen“ für das Leben des Volks führen. Dabei bezog er sich insbesondere auf die von ihm initiierte Erwähnung Gottes in der Verfassung.

Der Vorschlag zum Gottesbezug war auf Kritik gestoßen, da Kritiker befürchten, dass er dem in der Verfassung festgeschriebenen säkularen Charakter des Staates widerspricht. Allerdings wurde er von hochrangigen Vertretern der katholischen Kirche, des Islam, des Judentums und anderer Religionsgemeinschaften sowie Politikern unterstützt, die darin keinen Widerspruch sehen. Letztlich entschied das Verfassungsgericht, dass die Änderungen keinen unabänderlichen Verfassungsartikeln widersprächen und somit akzeptabel seien.

Patriarch Kirill betonte, auch für nichtgläubige Menschen sei der Bezug zu Gott kein Problem, sie sollten Gott „einfach mit dem Guten gleichsetzen“. Ebenfalls positiv bewertete er den Bezug auf die historische Kontinuität Russlands. Dieser sei wichtig, weil die „revolutionären Ereignisse des 20. Jahrhunderts“ diese zu brechen versucht hätten. Als „sehr wichtige Neuerung“ würdigte er zudem die Festschreibung der Ehe als Bund von Mann und Frau. Er gehe davon aus, dass „die absolute Mehrheit unseres Volkes mit großer Freude“ dafür stimmen werde.

Neben Patriarch Kirill befürwortete eine ganze Reihe von Bischöfen und Metropoliten die Verfassungsänderungen und rief die Bevölkerung auf, dafür zu stimmen. Auf der offiziellen Seite des Moskauer Patriarchats wurde zudem ein Kommentar von Aleksandr Schtschipkov, dem stellv. Vorsitzenden der Synodalabteilung für die Zusammenarbeit der Kirche mit der Gesellschaft und den Medien und dem stellv. Leiter des Weltkonzils des Russischen Volks, zum Referendum veröffentlicht. Darin kritisierte er den weltlichen Charakter der bisherigen Verfassung als „systemischen ideologischen Fehler“, denn sie verbiete in Art. 13 jegliche Staatsideologie. Die Rechte des säkularen Teils der Gesellschaft seien so gewahrt gewesen, nicht aber diejenigen des religiösen Gesellschaftsteils. Mit einer Annahme der Verfassungsänderungen würde das „bestehende Ungleichgewicht“ ausgeglichen. Abschließend rief er „alle Orthodoxen und alle Vertreter traditioneller Religionen“ auf, für die Verfassungsänderungen zu stimmen und so ihren „Glauben an Gott zu deklarieren“.

Zum Ende der Abstimmungsphase bezeichnete Schtschipkov die erneuerte Verfassung gegenüber dem Fernsehsender Spas als „Verfassung der Übergangsperiode“, da die Anpassungen „den Übergang Russlands vom kolonialen Liberalismus zur vollwertigen Souveränität demonstrieren“. Dieser Übergang sei eine „historische Unausweichlichkeit“, wobei es sich um einen langsamen Prozess handle. Denn in der neuen Version seien noch immer Elemente der Verfassung von 1993 enthalten, was sie zu einer „hybriden Verfassung“ mache. Ein zentraler Unterschied sei die Legitimierung durch das Volk. Im Referendum „stimmen wir für die weltanschauliche Trias: Gott, Ehe und Familie“, erklärte er. Die Anpassung, die den „Schutz des historischen Gedenkens“ enthält, sei ein „echter Durchbruch“. Wieder rief er „alle“ auf, für die Änderungen zu stimmen, da er sicher sei, dass dieser Schritt „den Anbruch eines ‚goldenen Zeitalters Russlands‘ näherbringt“.

Die Russinnen und Russen konnten vom 25. Juni bis 1. Juli über die Verfassungsänderung abstimmen. Rund 78 Prozent stimmten für die Änderungen, bei einer Beteiligung von ca. 68 Prozent. Die umstrittenste Anpassung war die „Annullierung“ der bisherigen Amtszeiten Vladimir Putins, was ihm ermöglicht, als Präsident bis 2036 an der Macht bleiben. Das Referendum wurde entsprechend einem Sonderverfahren abgehalten, um es während der Corona-Krise durchführen zu können. Laut der NGO Golos ist es dabei zu zahlreichen Verstößen gekommen. (NÖK)