Russland: Krieg in der Ukraine spaltet auch orthodoxe Geistliche

27. Februar 2022

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wird von Geistlichen der Russischen Orthodoxen Kirche gänzlich unterschiedlich bewertet. Priester Georgij Edelschtejn, bekannt für seinen Einsatz für die Rechte und Freiheiten der Gläubigen in den 1970er Jahren und Mitglied der Moskauer Helsinki Gruppe, hat sich klar gegen den Krieg in der Ukraine positioniert:  „Russische Soldaten bringen ihre Brüder und Schwestern in Christus um. Wir Christen dürfen nicht zusehen, wenn ein Bruder einen Bruder tötet, ein Christ einen Christen tötet. Wir sollten nicht die Verbrechen derjenigen wiederholen, die Hitlers Handeln am 1. September 1939 begrüßt haben. Wir können nicht schamhaft die Augen verschließen und schwarz als weiß, das Böse als gut bezeichnen und sagen, dass Abel wahrscheinlich Unrecht hatte, seinen älteren Bruder zu provozieren. Das Blut der Einwohner der Ukraine wird nicht nur an den Händen der Machthaber der Russischen Föderation und der Soldaten, die diesen Befehl ausführen, kleben bleiben. Ihr Blut klebt an den Händen von uns allen, die diesen Krieg gebilligt oder einfach geschwiegen haben.“

Dagegen schreibt Priester Andrej Tkatschov, dem Patriarch Kirill oft die Predigt während der patriarchalen Liturgien übertrug, auf Instagram: „Diejenigen, die sich ‚schämen, Russen zu sein‘. Bitte beruhigen Sie sich. Ihr seid keine Russen. […] Das Mutterland hat die schwierige und undankbare Aufgabe auf sich genommen, eine Welt umzustrukturieren, die vor lauter Lügen und Russophobie stinkt.“

Das Medienportal Meduza.io hat noch weitere Priester der ROK zu ihren Einschätzungen zum Krieg in der Ukraine befragt: Priester Alexej Uminskij, Vorsteher einer Kirche in der Moskauer Eparchie, kann die Militäraktion nicht unterstützen. Er hob die klare Botschaft von Metropolit Onufrij (Beresovskij), Vorsteher der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, hervor, dass dieser Krieg brudermörderisch sei, und der Präsident Putin direkt aufgefordert hatte, den Krieg zu beenden. Aber auch Patriarch Kirill befürworte den Krieg nicht und rufe zur Schonung der Zivilbevölkerung auf. Der Konflikt in Donezk und Luhansk kann Uminskij zufolge nicht militärisch gelöst werden. Leider spalte die Frage die Menschen sehr, und er wisse nicht, ob die russische Kirche in der Lage sein wird, sie zu einen: „Am Sonntag [27. Februar] werden wir für den Frieden beten. Die Gemeindemitglieder werden zum Gottesdienst kommen, sie bitten um diese Gebete.“

Auch Priester Alexander Satomskij aus Jaroslavl  spricht von der Gespaltenheit der Gemeindeglieder: „Ich möchte meine persönliche Meinung über den Krieg lieber für mich behalten, weil sie die Menschen spalten könnte. Und unsere Aufgabe ist es nicht, zu spalten, nicht die Spaltung zu fördern. Die Spaltung ist das Geschäft des Teufels. […] Wir müssen alles tun, damit die Menschen sich nicht aus politischen Gründen spalten, sondern sich um den eucharistischen Kelch, um Jesus Christus und eine gemeinsame christliche Identität versammeln.“ Metropolit Ioann (Popov) von Eparchie Belgorod und Stavropol, meint, niemand verstehe, was eigentlich gerade passiere, deshalb könne man nur beten, dass Gott alle zur Vernunft bringt, dass die Liebe triumphiere und der Frieden wieder hergestellt werde.

Priester Georgij Mitrofanov, Professor an der St. Petersburger Geistlichen Akademie, sieht als die Aufgabe der Priester an, die Menschen zu lehren in jeder Situation Christen zu bleiben, und zwar auch gegenüber dem Feind: „Wenn du es vermeiden kannst, den Feind zu töten, töte ihn nicht. Wenn du tötest, um dein Leben und das Leben deiner Kameraden zu verteidigen, denke daran, dass dies eine Sünde vor Gott ist. Wenn du Gefangene in deiner Gewalt hast, behandle sie menschlich und lasse Zivilisten in Ruhe. Wenn du im Krieg bist, denke daran, dass du ein Christ sein sollst, und wenn du zwischen einer größeren und einer kleineren Sünde wählen musst, versuch bei der kleineren Sünde zu bleiben, und hab dann den Mut, Buße zu tun. Dasselbe gilt für die Zivilbevölkerung – man darf dem Geist der Bosheit und des Hasses nicht nachgeben. Ich betrachte jeden Krieg als größtes Unglück. Ich bin überzeugt, dass dieser Krieg hätte vermieden werden können. Eines kann ich sagen: In einem Krieg kämpfen nicht unterschiedliche Menschen gegeneinander, sondern Brüder, denn alle Menschen sind Brüder. Jeder Krieg ist ein Bruderkrieg, ganz gleich, wer mit wem kämpft – wir sind alle Kinder Gottes, daher ist es natürlich eine Sünde, jemanden im Krieg zu töten. Wer sich dem Bösen mit Gewalt widersetzt, kann nicht anders als zu sündigen. […] Der Krieg weckt meistens nicht die besten, sondern die schlechtesten Eigenschaften des Menschen, er ist eine schwere Last. […] Ein Priester soll nicht für den Sieg dieser oder jener Armee im Krieg beten, sondern für jeden Christen, der sich auf dem Schlachtfeld befindet und sein Blut und das anderer vergießt... Dass der Herr ihnen vergibt und ihnen die Kraft gibt, unter diesen Bedingungen wenigstens ein bisschen christlich zu bleiben. Wir sollten für die Rettung der Seelen dieser Menschen beten.“

Anders äußerte sich Priester Nikolaj Bandurin, Vorsteher einer Kirche in der Oblast Rostov: „Unsere Kirche liegt nicht so nah an der Grenze, etwa 30–35 Kilometer entfernt. Es ist höchste Zeit, die Dinge dort [in der Ukraine] in Ordnung zu bringen – und wir müssen den Präsidenten unterstützen! Der Herr ist mit uns, der Herr liebt uns. Was immer der Herr uns gibt, ist das Beste, und wir sollten beten.“ Priester Aleksij Pelevin, der Leiter der Abteilung für kirchliche Wohltätigkeit und Sozialdienst der Eparchie Kaluga, spricht über den Segen der Kirche für die Soldaten, die ihre Heimat verteidigen: „Patriarch Kirill hat zum Gebet für den Frieden aufgerufen, alsso beten wir jetzt für den Frieden in der ganzen Welt.“ Außerdem helfe man den Flüchtlingen aus dem Donbass.

Regula Zwahlen

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