Ungarn: Bischof Beer hält klerikale Kirchenstruktur für eine Falle

31. Juli 2019

Die stärkere Einbindung von Laienkatholiken in die Leitung von Kirchengemeinden, einen Fokus auf die sozialen Nöte der Menschen und überhaupt eine klarere Sprache der Kirchenverantwortlichen sieht der ungarische Bischof Miklós Beer als maßgeblich für einen guten Weg der Kirche in die Zukunft. „Wir müssen aus der Falle der klerikalen Kirchenstruktur heraus“, sagte der vor wenigen Tagen emeritierte Bischof von Vác in einem Interview der unabhängigen liberalen Wochenzeitung HVG. In seiner bisherigen Diözese Vác gebe es heute um ein Drittel weniger Pfarrer als früher. Lebendige Gemeinden aber bräuchten Personal vor Ort, so der 75-jährige Bischof. Daher müssten die gewohnten Kirchenstrukturen überdacht werden, das sei auch den Verantwortlichen in der ungarischen Kirche klar.

Beer sprach sich dafür aus, vom zentralisierten Amt eines Bischofs, der alles entscheide und versuche, die vorhandenen Priester zu verwalten, Abschied zu nehmen. Denn, so der Bischof: Ein für fünf Kirchengemeinden verantwortlicher Pfarrer sei von frühmorgens bis abends ständig unterwegs und damit zwar „überall anwesend, aber nirgendwo präsent“.

In der Diözese Vác habe man mit der Ausbildung männlicher Laien zu Akolythen auf Dauer und Wortgottesdienstleitern begonnen, die auch Gemeinschaften aufbauen könnten. Darüber hinaus würden verheiratete Männer zu Ständigen Diakone ausgebildet. Dies alles gehöre zur „Suche der Kirche nach dem Weg, aber wir ahnen, dass dies nicht die Zukunft ist“. Wichtig wäre, die Leiter der Kirchengemeinschaften vor Ort und Stelle zu finden, betonte Beer.

Die größte Herausforderung für die ungarische Gesellschaft sei die soziale Fürsorge für Menschen mit Behinderungen, Obdachlose, Drogensüchtige oder Minderheiten wie die Roma. „Da müsste die Kirche mehr Verantwortung zeigen“, forderte der Bischof im HVG-Interview. Die Kirche müsse den Menschen nahe sein und brauche Priester, die als „Hirten inmitten der Herde mit dem Geruch der Schafe“ sind, erinnerte Beer an ein Zitat von Papst Franziskus. „Und sie müssen eine neue Sprache sprechen – reden wir nur oder sagen wir auch etwas?“, forderte der Bischof zum kritischen Blick auf Kirchenjargons auf. „Wir brauchen also eine neue Sprache, wir müssen die wirklichen Probleme wirklich verstehen, darüber sprechen und versuchen, den Menschen gemäß unseren christlichen Werten zu helfen.

Auch auf die aktuelle politische und gesellschaftliche Lage ging der bekanntermaßen regierungskritische Bischof Beer in dem HVG-Interview ein. Herausforderungen und Probleme in der Gesellschaft würden nicht sachlich diskutiert. „Die uns von der Politik auferlegte Spaltung in rechts und links verhindert den nüchternen Dialog und das Denken“, beklagte er.

Die Gesellschaft zu polarisieren sei immer leicht, sagte Beer mit Blick auf das Flüchtlingsthema und die Politik der Regierung von Premier Viktor Orbán. Die Flüchtlingsbewegungen verursachten schwerwiegende Herausforderungen und Probleme, die nicht einfach zu lösen seien. „Das darf aber nicht nur als innere Angelegenheit eines kleinen Landes betrachtet werden“, kritisierte der Bischof. „Es heißt: Wir sind national, und uns interessiert nicht, was in anderen Teilen der Welt geschieht. Das ist ein politischer Standpunkt – aber wir sollten dann nicht behaupten, dass dies eine christliche Haltung ist.“

Der Bischof selbst kam in den vergangenen Jahren immer wieder in Konflikt mit der Regierung Orbán, u.a. weil er sich mit Demonstranten gegen deren Politik solidarisierte oder scharfe Kritik an neuen diskriminierenden Gesetzen gegen Obdachlose, Roma und Flüchtlingshelfer übte. „Man war böse auf mich, weil ich eine Meinung habe“, meinte er dazu im Gespräch mit HVG.

Vor den Parlamentswahlen 2018 sei er aus politischen Kreisen aufgefordert worden, sich mit öffentlichen Aussagen zurückzuhalten, berichtete Beer weiters. Meinungsfreiheit aber sei eine Grundvoraussetzung der Demokratie, erinnerte er: „Überall prallen die Interessen aufeinander. Dem anderen nicht zuzuhören, das ist menschliche Schwäche.“

Bischof Beer leitete die Diözese Vác seit 2003. Am 12. Juli ernannte Papst Franziskus den 53-jährigen Zsolt Mrton zu seinem Nachfolger. Márton, der zuletzt Rektor des katholischen Priesterseminars von Budapest war, wird am 24. August in Vác vom ungarischen Primas Kardinal Peter Erdö, Altbischof Beer und Nuntius Michael August Blume zum Bischof geweiht.

Beer geht davon aus, dass es Nachfolger nicht leicht haben wird. In einem Interview mit dem Katholischen Fernsehen von Vc, über das die Zeitung "Magyar Kurir berichtete, verwies Beer auf die sinkende Zahl der Priester und die sich ändernde Bevölkerungsstruktur: Die mit der Kirche traditionell verbundene Dorfbevölkerung werde immer älter. Nach wie vor ungelöst sei die Lage der Roma, dazu kommen laut Beer noch Probleme in Bereichen wie Familie oder Drogenkonsum.

Über die vom Vatikan getroffene Nachfolge-Entscheidung äußerte sich Beer erfreut. „Der Heilige Vater hat unseren Pfarrer zum Bischof ernannt“, frohlockten die Gläubigen in Vác über die Ernennung, und auch Beer wies darauf hin, dass Márton die Diözese sehr gut kenne: Der neue Bischof war in den vergangenen Jahren in Vác tätig und schon als Seminarist hier beheimatet. Márton sei bekannt und werde gemocht, so Beer

Auch Márton äußerte sich im katholischen Fernsehsender über seine neue Aufgabe. Es sei ganz und gar nicht leicht ist, das Amt im Anschluss an einen so beliebten, „leuchtenden“ Oberhirten und „Mann des Evangeliums“ wie Miklós Beer zu übernehmen. Dessen soziale Gesinnung sei für ihn beispielgebend: „Ich bin bemüht, die guten Initiativen im Zeichen der besonnenen Liebe fortzusetzen“, so Márton.

Altbischof Beer kündigte gegenüber HVG an, dass er nach der Weihe seines Nachfolgers nach Nagymaros übersiedeln werde. Als emeritierter Bischof wolle er sich selbst in sozialen Programmen nützlich machen. Angedacht sei auch die Gründung einer Stiftung über die Obdachlose und Roma mit Projekten unterstützt werden können, schilderte Beer: „Wenn der Herr mir noch Kraft gibt, und ich noch die Möglichkeit habe, etwas dafür zu tun, unser öffentliches Leben menschenfreundlicher zu gestalten, werde ich mitmachen.“ (Quelle: Katholische Presseagentur Kathpress, www.kathpress.at)