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Polen: Kirchliche Reaktionen auf die Ermordung des Danziger Stadtpräsidenten

24. Januar 2019

Seit der Messerattacke auf den beliebten Stadtpräsidenten von Danzig, Paweł Adamowicz (1965–2019), am 13. Januar finden in ganz Polen spontane Messen, Gebete und Gedenktreffen statt. Wenige Stunden nach der Nachricht, dass Adamowicz seinen Verletzungen erlegen sei, versammelten sich in der Danziger Marienkirche Freunde, Mitarbeiter und zahlreiche Stadtbürger am 14. Januar zu einem ökumenischen Gottesdienst. Der 53-jährige Adamowicz, der sein Amt seit 1998 ausübte, war bei einer Weihnachtsspendengala auf offener Bühne von einem Mann attackiert worden und starb nach einer fünfstündigen Operation. Er hinterlässt seine Frau und zwei Töchter.

Den Gottesdienst leitete der Erzbischof von Danzig, Sławoj Leszek Głódź. Auch die Bischöfe Wiesław Szlachetka und Zbigniew Zieliński nahmen gemeinsam mit Vertretern aller ansässigen Religionen und Konfessionen teil, u.a. Marcin Hintz von der Diözese Pommern-Großpolen der Evangelischen Kirche A.B. in Polen, Presbyter Sebastian Niedźwiedziński von der evangelisch-methodistischen Kirche und Tomasz Ropiejko von der Pfingstgemeinde. Zum Gottesdienst kamen auch der ehemalige Präsident Lech Wałęsa, alle stellvertretenden Stadtpräsidenten und zahlreiche Vertreter der Stadt- und Bezirkspolitik. Der Pfarrer der Marienkirche, Ireneusz Bradtke, erinnerte daran, dass man erst am 19. November 2018 gemeinsam in dieser Kirche für den wiedergewählten Stadtpräsidenten und den neu gewählten Stadtrat gebetet habe. Nach dem Gottesdienst nahmen der Erzbischof und andere Geistliche an einem Marsch gegen Hass teil, der mit einem Rosenkranzgebet begonnen wurde. Bis zum Begräbnisgottesdienst am 19. Januar fanden in der Marienkirche täglich Rosenkranzgebete und Messen für den Seelenfrieden von Paweł Adamowicz statt.

Adamowicz gehörte von 2001 bis 2015 der liberalen Partei Bürgerplattform (PO) an und trat seither als Unabhängiger zur Wahl an. Er war als dezidierter Gegner der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bekannt.

Obwohl ein politisches Motiv des sofort nach der Tat verhafteten, an Schizophrenie leidenden Mörders ausgeschlossen werden kann – dieser machte die PO für eine seines Erachtens unverschuldete Haftstrafe verantwortlich –, debattiert die polnische Gesellschaft nach Adamowiczs Tod heftig über das vergiftete politische Klima im Land. An der Debatte nehmen auch Geistliche teil: Erzbischof Głódź, der mit Adamowiczs Bruder die Nacht an der Seite des Stadtpräsidenten im Spital verbracht hatte, beurteilte die Situation als dramatisch und „politisch und gesellschaftlich sehr delikat. Man muss deshalb alles tun, um eine Eskalation zu verhindern. Wir sind Zeugen starken Hasses im öffentlichen Raum, der sich ausbreitet und eingeatmet und aufgesaugt wird, und niemand fühlt sich dafür verantwortlich. Das dauert schon lange, entschieden zu lange. [...] Leider ist es nach Smolensk zu keiner Einigung gekommen, und heute ernten wir die Früchte.“ Adamowicz habe zu den praktizierenden Kirchgängern Danzigs gehört, und sie beide hätten bei vielen religiösen, karitativen und patriotischen Feierlichkeiten sehr gut zusammengearbeitet. In dieser Situation sei es sinnlos, nach Schuldigen zu suchen und sich gegenseitig zu beschuldigen, denn zuerst müsse man die Verstorbenen begraben und beten.

Ähnlich äußerte sich auch Priester Ludwik Kowalski bei der Messe für den Verstorbenen in der Hl. Brygida-Kirche in Danzig, in der Adamowicz aufgewachsen war: „Die Ermordung von Paweł Adamowicz ist, auch wenn sie die Tat eines Psychopathen ist, zweifellos eine Folge der Spannungen, die schon seit vielen Jahren in unserer Heimat bestehen. Wir müssen sehr schnell Schlussfolgerungen aus dieser Tragödie ziehen. Mögen uns die Attacke und der Mord am Präsidenten Danzigs nicht noch weiter spalten.“ Auch die Polnische Bischofskonferenz rief zu Einheit, Gemeinschaft, Gebet und Reflexion auf, damit solches nicht wieder geschehe.

Dass die Spaltungen auch innerhalb der Kirche sichtbar werden, zeigte sich am Aufsehen erregenden Fall des Priesters Jacek Dunin-Borkowski, der sich via Twitter dem Gebet für Paweł Adamowicz verweigerte: Er bete lieber für seine kranke Mutter, Adamowicz sei ihm egal – wenn dieser nicht berühmt wäre, würde nicht so viel Aufhebens um den Fall gemacht. Am Abend desselben Tages informierte die Diözese von Warschau-Praga darüber, dass Dunin-Borkowski bereits zweimal aufgrund von Äußerungen in den sozialen Medien kanonische Verwarnungen erhalten habe, und dass nun kirchenrechtliche Strafmaßnahmen folgen würden.

Der Begräbnisgottesdienst fand am 19. Januar ebenfalls in der Danziger Marienkirche unter der Leitung von Erzbischof Stanisław Gądecki, dem Vorsitzenden der polnischen Bischofskonferenz, und Erzbischof Sławoj Leszek Głódź (Homilie auf Polnisch) unter Beteiligung mehrerer Vorsteher von weiteren christlichen, jüdischen und muslimischen Kirchen und Religionsgemeinschaften statt und wurde in mehreren Städten auf öffentlichen Leinwänden übertragen. Am Gottesdienst nahmen zahlreiche hochrangige Politiker und Prominente teil, darunter der polnische Staatspräsident Andrzej Duda, die ehemaligen Präsidenten Lech Wałęsa, Aleksander Kwaśniewski und Bronisław Komorowski, der amtierende Ministerpräsident Polens, Mateusz Morawiecki, sowie acht Ex-Ministerpräsidenten und Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rats. Unter den ausländischen Trauergästen befand sich der Ex-Bundespräsident Deutschlands, Joachim Gauck. Für weitere Schlagzeilen sorgte die Tatsache, dass Jarosław Kaczyński, Parteivorsitzender der PiS, nicht am Begräbnisgottesdienst teilnahm. Der Sprecher der polnischen Bischofskonferenz, Paweł Rytel-Andrianik, erinnerte in einem TV-Interview an die Bitte von Adamowiczs Witwe, den Tod ihres Mannes nicht politisch und ideologisch zu instrumentalisieren: „Uns steht jetzt eine große Prüfung für die politische Klasse bevor: ob die politische Klasse sich mit Klasse verhalten wird. [...] Der Streit war und ist da, und das Wichtigste besteht darin, dass der politische Streit sich nicht auf unsere Familien und auf unsere Gesellschaft überträgt, und dass dieser Streit zu einem konstruktiven Dialog wird“.

Adamowicz war vor der Wende antikommunistischer Untergrundaktivist und erhielt 2001 das päpstliche Ehrenzeichen Pro Ecclesia et Pontifice.

Regula Zwahlen