Bosnien-Herzegowina: Proteste gegen Bleiburg-Messe in Sarajevo

In Sarajevo haben Tausende gegen eine Messe in der katholischen Kathedrale zum Gedenken an die Opfer von Bleiburg protestiert. Trotz des geltenden Versammlungsverbots demonstrierten sie am 16. Mai im Stadtzentrum und sangen antifaschistische Lieder, während die unmittelbare Umgebung der katholischen Kathedrale von einem großen Polizeiaufgebot gesperrt wurde. Am Tag vor der umstrittenen Messe wurde beim Mahnmal Vraca in Sarajevo der Opfer des Faschismus gedacht. Die Anwesenden legten Blumen nieder und der Vizepräsident des Bundes der Antifaschisten und Kämpfer des Volksbefreiungskriegs in Bosnien und Herzegowina, Nijaz Skenderagić, betonte, man müsse eine universelle Botschaft der Liebe und des Friedens, sowohl an Politiker als auch an Kirchenleiter und alle Menschen aussenden. Hinsichtlich der Messe kritisierte er deren Politisierung. Er plädierte dafür, sich nicht in die Geschichte einzumischen, sondern das Urteil darüber Fachleuten zu überlassen und sich stattdessen für eine bessere Zukunft zu engagieren.

In Sarajevo wurde zudem an zwei Orten eine historische Fotografie öffentlich angebracht, die 55 erhängte Personen zeigt, die 1945 kurz vor der Befreiung der Stadt vom Ustaša-Regime im Stadtteil Marijin Dvor aufgehängt worden waren. Bei einer Gedenkveranstaltung in Marijin Dvor betonte der stellv. Bürgermeister von Sarajevo, Milan Trivić, dass es sich dabei nicht um eine Protestaktion gegen die Messe handle. Allerdings kritisierte auch er ihren politischen Aspekt. Dass in Sarajevo das Parlament eines anderen Staates – die Bleiburg-Gedenkveranstaltungen stehen unter der Schirmherrschaft des kroatischen Parlaments – in Sarajevo eine solche Veranstaltung „organisiert und mit der Verwandlung eines religiösen in ein politisches Ereignis seine Werte aufdrängt“, hält er mit Blick auf die aktuelle EU-Ratspräsidentschaft Kroatiens nicht für eine europäische Politik. Er habe den Erzbischof Vinko Kardinal Puljić von Sarajevo, der die Messe leitete, vorgeschlagen, gemeinsam etwas zu unternehmen, um Spannungen abzubauen, es sei aber nichts zustande gekommen.

Kritik kam auch von zahlreichen weiteren Politikern, so auch dem dreiköpfigen Staatspräsidium Bosnien-Herzegowinas, und Vertretern von Religionsgemeinschaften. So erklärte der serbisch-orthodoxe Metropolit von Sarajevo, Hrizostom (Jević), die Bleiburg-Messe in Sarajevo schließe die Tür zur Zusammenarbeit mit dem katholischen Erzbistum und Kardinal Puljić. Mehr als 10’000 Einwohner Sarajevos seien vom Ustaša-Regime umgebracht worden und nun halte Kardinal Puljić eine Messe für diejenigen, die diese Verbrechen begangen hätten. Die Botschaften von Israel und den USA sowie das Simon-Wiesenthal-Zentrum kritisierten die Messe ebenfalls.

Kardinal Puljić beklagte, dass der Bürgermeister von Sarajevo ihn aufgefordert habe, die umstrittene Messe abzusagen, um die Situation zu beruhigen. Aber er habe niemanden aufgehetzt, deshalb liege es nicht an ihm, zu beruhigen. Die „andere Seite“ habe „Privilegien und Medien, die aufgehetzt haben“, kritisierte er weiter. Trotz allem sei er „stolz, ein Sohn dieses Landes zu sein“, in dessen Hauptstadt er bereits 50 Jahre als Priester, 30 Jahre als Erzbischof und 26 Jahre als Kardinal diene. In einem Interview drückte er Verständnis für die Position der Jüdischen Gemeinschaft und für ihren Schmerz aus. Allerdings erwarte er, „dass auch sie verstehen, dass auch wir unseren Schmerz haben“. Metropolit Hrizostom warf er vor, sich zuerst an die Öffentlichkeit gewandt zu haben, statt mit ihm zu sprechen. Unterstützung erhielt Puljić vom Apostolischen Nuntius in Bosnien-Herzegowina, Luigi Pezzuto.

An der Messe, die die jährliche Feier im österreichischen Bleiburg ersetzte, die Puljić dieses Jahr hätte leiten sollen, konnten aufgrund der Coronavirus-Pandemie nur 20 Personen teilnehmen. Darunter war eine Delegation der Botschaft von Kroatien und eine Delegation des Verbandes der kroatischen Parteien in Bosnien-Herzegowina. Die katholische Kirche hatte wiederholt den rein religiösen Charakter der Feier betont und erklärt, es werde allen Opfern des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit gedacht. Verschiedene kroatische und bosnische katholische Radio- und Fernsehsender übertrugen die Messe.

In seiner Predigt sagte Puljić, ihn erschüttere zutiefst, dass „der Schleier des Geheimnisses“ noch immer nicht gelüftet sei und noch immer nicht alle Gräber der Ermordeten entdeckt seien. Natürlich brauche es „ein Klima des Zusammenlebens, Verzeihens, Versöhnens und der Wiederherstellung des Vertrauens“, doch das gehe nur auf der Grundlage der Wahrheit. Nur indem die „Wahrheit angenommen wird, egal wie bitter sie sein mag, kann sie den Raum zur Vertrauensbildung zwischen Menschen eröffnen“. Wer die Wahrheit ablehne, der stelle sich hinter das Böse, aber kein Verbrechen könne verteidigt werden.

Die jährliche Gedenkfeier in Bleiburg ist in den letzten Jahren immer wieder auf Kritik gestoßen. Im April und Mai 1945 flohen zusammen mit der Wehrmacht Angehörige der Slowenischen Heimwehr (Domobranci), Verbände der kroatischen Armee (Hrvatsko domobranstvo), faschistische Ustaša-Einheiten, serbische Tschetniks und Zivilisten unterschiedlicher nationaler Zugehörigkeit vor den heranrückenden Partisanen nach Kärnten. Ein Teil dieser Verbände ergab sich am 15. Mai 1945 in Bleiburg den Briten. In Befolgung der alliierten Vereinbarungen übergaben die Briten die Gefangenen an Jugoslawien, wo sie der Rache des neuen kommunistischen Regimes anheimfielen. Viele der Ausgelieferten wurden standrechtlich erschossen oder starben auf den Fußmärschen in die Lager. Seit der Unabhängigkeit Kroatiens gewann die Gedenkfeier an Bedeutung, in den letzten Jahren kamen jeweils über Zehntausend Gläubige an die Messe. Die Veranstaltung zog aber auch vermehrt offen rechtextreme Einzelpersonen und Verbände an. Deshalb hatte die Diözese Gurk-Klagenfurt 2018 die Auflagen verschärft, um einen geistlichen Charakter der Feiern sicherzustellen. (NÖK)