Christentum und Menschenrechte in Europa

Vasilios N. Makrides, Jennifer Wasmuth, Stefan Kube (Hg.)
Christentum und Menschenrechte in Europa

Perspektiven und Debatten in Ost und West
(= Erfurter Studien zur Kulturgeschichte des orthodoxen Christentums, Bd. 11)
Frankfurt/M.: Peter Lang Verlag 2016, 218 S.
ISBN 978-3-631-62580-4. EUR 52.95; CHF 60.–.

Ein gängiges Stereotyp lautet: Die Menschenrechte haben es in Osteuropa schwer und das liege insbesondere am negativen Einfluss der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK). Dass ein solches Urteil selbst Momentum einer bestimmten sozial-kulturgeschichtlichen Lage ist und seinerseits auf Vorannahmen beruht, die dazu führen, überhaupt zwischen „Ost“ und „West“ einzuteilen und beide Seiten mit bestimmten charakteristischen Eigenschaften zu belegen, wird kaum reflektiert. Ergebnis der Dichotomisierung ist ein kaum angemessener pejorativer Begriff vom „Osten“, aber auch ein karikatureskes Verständnis des sog. „Westens“, der angeblich die Menschenrechtsidee entwickelt habe.

Der vorliegende Band geht auf eine internationale Konferenz zurück, in deren Mittelpunkt die 2008 erschienene Menschenrechtsdoktrin der ROK stand. Er versammelt Beiträge, die in die oben geschilderte Diskussionslage Tiefenschärfe bringen und für eine größere Seriosität der zirkulierenden Einschätzungen sorgt. Wer sich mit dem Verhältnis von Religion und Menschenrechten in einem größeren Europa befasst, wird um diesen sorgsam gestalteten Band nicht herumkommen.

Mehrere Beiträge (Kristina Stoeckl, Cyril Hovorun, Jennifer Wasmuth, Stefan Tobler und Regula Zwahlen) befassen sich mit Hermeneutik, Kontext und Gehalt der russisch-orthodoxen Menschenrechtsdoktrin. Weitere Beiträge stellen den Vergleich zur Situation anderer Länder Osteuropas her, etwa mit Polen oder Rumänien (Mihai-Dumitru Grigore, Łukasz Faifer) oder fragen nach der Rolle der europäischen Institutionen in der Sicht der osteuropäischen Kirchen (Katja Richters).

Seinen besonderen Wert bezieht dieser Band jedoch nicht aus den einzelnen Analysen, sondern aus seiner komparatistischen Hermeneutik. Die Analysen zur Orthodoxie werden auf eine sinnvolle Weise gespiegelt mit parallelen oder ähnlichen Lernfeldern und Entwicklungskonstellationen im sog. Westen. Beiträge zur ambivalenten Rolle von Katholizismus und Protestantismus in der Entwicklung der Menschenrechte (Rudolf Uertz, Ingeborg Gabriel und Hans G. Ulrich) entwerfen eine Kontrastfolie, welche den relativen Ort der orthodoxen Perspektive auf die Menschenrechte erst erkennbar werden lässt. Gleiches gilt für die Reflexionen zum politischen Charakter der Menschenrechte und ihrer Begründung „jenseits von Religion und Säkularität“ (Evert van der Zweerde). Es wird spürbar, dass es Sinn macht, wenn Religionen sich mit der Menschenrechtsidee versöhnen: Ressourcen werden frei, die aus säkularer Motivation oft nicht abrufbar sind und die dem Zweck der Menschenrechte dienen.

Daniel Bogner, Fribourg