OWEP 1/2019: Meere im Osten und Südosten Europas

Meere üben seit jeher eine Faszination auf die Menschen aus: Sie wecken Abenteuerlust und Sehnsucht nach der Ferne, flößen aber auch Unsicherheit, sogar Angst ein, wenn sich der Mensch der Größe und des Umfangs der Wasserfläche bewusst wird. Meere sind seit jeher wichtige Handelswege, an ihren Ufern entstanden Kulturen, Staaten, Imperien. Schließlich sind Meere trotz der Tatsache, dass ihre Grundlage das Element „Wasser“ bildet, das den „blauen Planeten“ innerhalb des Sonnensystems einmalig macht, äußerst vielgestaltig: vom gewaltigen Ozean über das Randmeer bis hin zu einem Neben- oder Binnenmeer, dessen Fläche sich kaum von der eines Sees unterscheidet.

Meer ist also tatsächlich „mehr“, es bietet dem Geographen, Historiker und Kulturwissenschaftler eine Fülle von Anknüpfungspunkten. Die aktuelle Ausgabe stellt daher im Rahmen der kulturhistorischen OWEP-Hefte einige Meere im Osten und Südosten Europas vor. Die bereits angedeutete Breite des Begriffs „Meer“ wird im erweiterten Editorial deutlich, das durch eine Skizze zur Lage der vorgestellten Meere ergänzt wird. Eine Hinführung zum Thema bietet im Anschluss daran Prof. Dr. Michael North, Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Geschichte der Neuzeit an der Universität Greifswald; aus seinen Ausführungen wird erkennbar, dass die Geschichte Europas eher aus der Perspektive der Meere als aus der der Länder erklärt werden sollte.

Eröffnet wird die Reihe der vorgestellten Meere mit der Adria, einem Nebenmeer des Mittelmeers und, wie der Autor Prof. Dr. Aleksandar Jakir, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Split, hervorhebt, zugleich ein „europäischer Sehnsuchtsort“. Uralter Kulturraum seit der Antike, von Dichtern besungen, lange Zeit Herrschaftsraum der „Serenissima“ Venedig, leidet die Adria heute an den Folgen von Massentourismus und Umweltzerstörung. So verwundert es nicht, dass der Beitrag mit einem Appell zum Schutz der Adria endet, der ohne Weiteres auf die Situation anderer Meere übertragen werden kann.

Wesentlich kleiner, jedoch von vielleicht noch größerer geschichtlicher Bedeutung ist das Marmarameer zwischen Europa und Asien oder, geographisch präziser, zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer gelegen. Dr. Andreas Gerstacker, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Alte Geschichte der Universität der Bundeswehr in Hamburg, schildert detailreich die Geschichte der nur knapp 12.000 km2 großen Wasserfläche mit den Übergängen „Dardanellen“ zum Mittelmeer und „Bosporus“ zum Schwarzen Meer. Wichtige Städte wie Byzanz und Nicäa entstanden an seinen Ufern, und seit Konstantin dem Großem bildete es mit der neuen Reichshauptstadt Konstantinopel den Mittelpunkt des Römischen Reiches. Der Autor führt die Entwicklung der Region bis in die Gegenwart fort und zeigt damit, dass das Marmarameer auch im 21. Jahrhundert für Handel und Politik am Übergang von Europa nach Asien eine wesentliche Rolle spielt.

Der Nordausgang des Bosporus führt in das Schwarze Meer, das Priv.-Doz. Dr. Stefan Albrecht, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz, vorstellt. Treffend unterteilt er seine Darlegung in die Abschnitte „Pontos Axeinos“, abweisendes oder unwirtliches Meer, und „Pontos Euxeinos“, gastfreundliches Meer – sie beschreiben das Meer zum einen als abweisende Größe, an dessen Ufern unbekannte Gefahren drohen, sogar als Ort der Verbannung (man denke an Ovid), und zum anderen als Drehscheibe des Handels am Übergang von Europa nach Asien, an dessen Küsten zahlreiche Städte und Staaten entstanden und wieder verschwunden sind. Griechische, russische und türkische Geschichte hat sich an den Ufern des Schwarzen Meers abgespielt und es zu einem immer noch zu wenig bekannten Schauplatz der Weltgeschichte gemacht.

Das Asowsche Meer, Schwerpunkt des folgenden Beitrags, ist ein kleines nördliches Nebenmeer des Schwarzen Meers mit der ungefähren Größe der Schweiz, das im Gegensatz zu den vorher vorgestellten Meeren bisher in der Geschichte kaum eine Rolle gespielt hat. Dies hat sich mit der Annexion der Krim durch Russland 2014 geändert, denn nun wird der Zugang zum Asowschen Meer von Russland kontrolliert, womit die Ukraine als zweiter Anrainer politisch wie wirtschaftlich in die Defensive gedrängt worden ist.  Seit November 2018 schwelt ein zusätzlicher Konflikt infolge der Festsetzung ukrainischer Seeleute durch Russland wegen angeblicher Grenzverletzung. Der in Berlin tätige Osteuropahistoriker Wilfried Jilge skizziert Vorgeschichte und Ablauf des Zwischenfalls am Übergang vom Schwarzen zum Asowschen Meer; eine Lösung zeichnet sich noch nicht ab.

Mit dem Kaspischen Meer folgt in der Reihe der Darstellungen ein echtes Binnenmeer, sodass es zugleich als größter See auf der Erde (von der Fläche ungefähr so groß wie Schweden) bezeichnet werden kann. Auch hier trifft, wie Prof. Dr. Rudolf Mark, Professor für Geschichte Mittel- und Osteuropas an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, schreibt, die Lage „am Schnittpunkt von Europa und Asien“ zu. Anders als das Schwarze Meer ist der Kaspisee erst seit der frühen Neuzeit von Europa aus genauer erforscht worden; lange Zeit waren Umfang und Lage nur vage bekannt. Heute bemühen sich die Anrainer – neben Iran und Russland drei weitere Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion – um gemeinsame Regelungen zur wirtschaftlichen Nutzung und Eindämmung der zunehmenden Umweltverschmutzung.

Weit in den Norden Russland führt Prof. Dr. Roy Robson, Professor für Geschichte an der Penn State University in Abington/USA, die Leserinnen und Leser mit seinem Beitrag über das Weiße Meer. Obwohl abgelegen von den russischen Metropolen, wurden die Küsten dieses Randmeeres und die in ihm gelegenen Solowki-Inseln schon im Mittelalter besiedelt. Das Inselkloster spielte in der russischen Geschichte mehrfach eine wichtige Rolle, zuletzt als Teil des Gulag-Systems. Seit dem Ende der Sowjetunion nimmt die Bedeutung des Tourismus für die Region zu, was allerdings auch Risiken für das empfindliche Ökosystem mit sich bringt.

Abgeschlossen wird die Reihe der Texte durch Prof. Dr. Michael North, Autor des Einführungsbeitrags, mit einem geschichtlichen Überblick über die Ostsee als „Schauplatz nordeuropäischer Geschichte“. Ausgehend von den Begriffen für dieses Randmeer (je nach Sicht der Anwohner „Ostsee“, „Östliche See“ oder „Westsee“) gibt er einen Überblick über die historische Entwicklung von der Spätantike über die Rolle der Wikinger/Waräger, den Aufstieg und Niedergang der Hanse bis zur Entstehung der Nationalstaaten in der frühen Neuzeit. Abgerundet wird dieser Streifzug durch einen Blick auf die Ostsee als Landschaftserlebnis seit der Romantik im frühen 19. Jahrhundert, der eng verbunden ist mit der Entstehung der Seebäder an ihren Küsten.

Als zusätzliche Information enthält jeder Beitrag einen Textkasten mit Basisdaten zum jeweiligen Meer. Außerdem bietet das Heft eine Reihe von Bildern und Kartenausschnitten.

Ein Ausblick auf Heft 2/2019, das im kommenden Mai erscheinen wird: Es ist dem Thema „Bildung in Mittel- und Osteuropa – Stand und Perspektiven“ gewidmet und enthält neben zwei grundlegenden Beiträgen zum Begriff „Bildung“ und zur Entwicklung von Bildungssystemen in Mittel- und Osteuropa in den letzten Jahrzehnten (Schwerpunkt: Polen und Ukraine). Beispiele für verschiedene Schulformen von der Vorschule bis zur Universität u. a. aus Rumänien und der Republik Moldau. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Gestaltung des Religionsunterrichts mit Beispielen aus Bulgarien, Estland und Polen.

Das ausführliche Inhaltsverzeichnis und ein Beitrag im Volltext finden sich unter www.owep.de. Das Heft kann für € 6,50 (zzgl. Versandkosten) unter www.owep.de bestellt werden.