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Patriarch Porfirije in Moskau: kirchenpolitische Reiseplanungen und erstaunliche Aussagen

24. April 2025

Thomas Bremer

Im Februar 2021 wurde der Zagreber Metropolit Porfirije (Perić) zum serbischen Patriarchen gewählt und inthronisiert. Mit damals knapp 60 Jahren gehörte er zu einer Gruppe jüngerer Bischöfe, die eng mit der griechischen theologischen Tradition verbunden waren. Porfirije hatte seinen theologischen Doktortitel in Athen erlangt. In seinen Jahren in Zagreb erlangte er Bekanntheit durch seine ökumenische Offenheit und durch sein Verständnis für die komplizierte Lage, in der sich religiöse Minderheiten in Südosteuropa oft befinden.

Entsprechend der Tradition der Orthodoxie hätte man erwarten können, dass der neugewählte Patriarch Antrittsbesuche bei den Vorstehern der anderen autokephalen Kirchen macht, also angefangen von Konstantinopel über Alexandrien, Antiochien, Jerusalem, Moskau usf. Dass das nicht gleich geschah, lässt sich zum Teil auf die Pandemie zurückführen, die das Reisen zunächst noch erschwerte. Doch dürfte der wichtigste Grund darin zu finden sein, dass die Serbische Orthodoxe Kirche (SOK) die Haltung des Ökumenischen Patriarchats (ÖP) in Bezug auf die Ukraine klar ablehnt. Das ÖP hatte im Januar 2019 der Orthodoxen Kirche der Ukraine, die sich wenige Wochen zuvor konstituiert hatte, die Autokephalie verliehen. Das geschah gegen den Widerstand der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK), die die Ukraine als ihr kanonisches Territorium betrachtet und die im Herbst 2019 die Kommuniongemeinschaft mit dem ÖP aufgekündigt hat. Die SOK ließ in ihren damaligen Stellungnahmen keinen Zweifel daran, dass sie das Handeln des ÖP in der Ukraine für falsch und unkanonisch hielt.

Wohl vor allem aus diesem Grunde vermied Patriarch Porfirije es, die anderen autokephalen Kirchen zu besuchen. Er wollte sich in dieser Situation nicht mit Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel treffen, wollte aber auch die kanonische Reihenfolge nicht missachten. Daher besuchte er seit seinem Amtsantritt Süd- und Nordamerika sowie zahlreiche Staaten Westeuropas, aber kein Land mit einer eigenen orthodoxen Kirche – mit zwei nachvollziehbaren Ausnahmen: Die SOK erteilte der orthodoxen Kirche in Nordmakedonien 2022 die Autokephalie und nahm nach langer Pause wieder die Kommuniongemeinschaft mit ihr auf; im Zusammenhang damit reiste der Patriarch in den Nachbarstaat. Und als im März 2024 Bischof Antonije (Pantelić), der Vertreter der SOK bei der ROK, verstarb, kam Porfirije zur Beisetzung nach Moskau.

Man konnte also den Eindruck haben, dass die Einheit der Orthodoxie durch Kirchenoberhäupter wie Porfirije (aber auch zahlreiche andere) gewahrt bleibe, die sowohl die Gemeinschaft mit der ROK aufrechterhielten als auch mit denjenigen Kirchen, mit denen Moskau sie aufgekündigt hatte (neben dem ÖP sind das das Patriarchat von Alexandrien sowie die Kirchen von Zypern und Griechenland). Zwar ist in der ukrainischen Kirchenfrage keine Lösung abzusehen, doch ist die Orthodoxie daran bislang nicht zerbrochen.

Der serbische Patriarch hat aber diese seine Zurückhaltung in den letzten Wochen aufgegeben. Kurz vor Ostern dieses Jahres unternahm er eine Reise nach Jerusalem, bei der er auch mit seinem dortigen Amtsbruder zusammentraf. Und vor wenigen Tagen reiste er auf Einladung des russischen Patriarchen Kirill zu einem Besuch der ROK nach Moskau, wo er ausführliche Gespräche führte und auch mit dem russischen Präsidenten Vladimir Putin zusammentraf. Zwar wurden die beiden jüngsten Reisen nicht als „kanonische Besuche“ apostrophiert, doch wurden sie von den Gastgebern als offizielle Besuche behandelt und bedeuten ein klares Abweichen von der bisherigen Haltung.

Damit hat die SOK ihre bisherige Linie verlassen. Bislang hat sie die theologische Position der ROK (und vieler anderer orthodoxer Kirchen) in Bezug auf die Ukraine geteilt, aber keine Akte vollzogen, sondern den status quo bewahrt. Nun aber hat sie sich im innerorthodoxen Kirchenstreit positioniert, indem der Patriarch durch seine Besuche in Jerusalem und Moskau – unter Missachtung der kanonischen Reihenfolge – ein klares Signal setzte.

Neben diesem kirchenpolitischen Akt erstaunen aber auch die Aussagen, die Patriarch Porfirije in Moskau gemacht hat. Gemeinsam mit dem russischen Patriarchen Kirill und dem Metropoliten der Eparchie Bačka Irinej (Bulović), der grauen Eminenz in der SOK, wurde er von Präsident Putin empfangen. Eine knapp 20-minütige Videoaufzeichnung des öffentlichen Teils dieses Treffen wurde von der ROK online gestellt. Von den Aussagen des serbischen Patriarchen, der bei der Begegnung Russisch sprach, haben vor allem zwei in Serbien großes Aufsehen erregt. Hier die Passage, in der sich der Patriarch (in freier Rede) an Präsident Putin wendet:

„Es ist mein Wunsch und der der Mehrheit unserer Kirche, dass in der Perspektive, wenn es eine neue geopolitische Aufteilung gibt, wir nah in dieser russischen Umgebung…“ Metropolit Irinej unterbricht: „…in der russischen Welt…“  Patriarch: „Ja, in der russischen Welt, in der orthodoxen Welt, der russischen, sein werden. Über die Orthodoxie haben wir mit seiner Heiligkeit dem [russischen] Patriarchen gesprochen, das ist nicht so einfach. Wir haben bei uns in diesen Tagen auch eine Revolution, wie heißt das?“ Metropolit Irinej: „Farbrevolution.“ Patriarch: „Eine Farbrevolution. Sie kennen das. Ich hoffe, dass wir diese Versuchung besiegen werden, wie Sie es gesagt haben. Denn wir wissen und spüren, dass die Machtzentren aus dem Westen die Identität des serbischen Volkes und die Kultur nicht[1] entwickeln wollen.“

Es ist interessant, dass die Zuspitzung der Aussagen jeweils durch Metropolit Irinej erfolgte, sie dann aber vom Patriarchen übernommen wurden. Inhaltlich ist bemerkenswert, dass der serbische Patriarch eine Neuordnung der Welt oder Europas im Blick hat und dann Serbien im Einflussbereich der „Russischen Welt“, was auch immer dieser schillernde Begriff bedeuten mag, sieht. Offiziell ist Serbien militärisch neutral, und ein nicht geringer Teil der Gläubigen lebt in Ländern, die zur NATO gehören – wie sie Teil der „Russischen Welt“ sein oder werden sollen, ist nicht klar.

Die Aussage über die „Farbrevolutionen“ bezieht sich auf die Proteste von Studierenden in Serbien, die seit dem Unglück im November 2024 in der Stadt Novi Sad mit 16 Opfern anhalten. Bisher hat die SOK eine neutrale Haltung beansprucht, auch wenn das von vielen Protestierenden kritisiert wurde, die sich Unterstützung durch die Kirche gewünscht hätten. Sie werfen ihr vor, durch ihr Taktieren faktisch die Regierung zu unterstützen. Dem Patriarchen wird große Nähe zu Staatspräsident Aleksandar Vučić nachgesagt, gegen den sich die Proteste richten. Jetzt aber macht Patriarch Porfirije den Westen für die Proteste verantwortlich, und er stimmt einige Augenblicke später dem russischen Patriarchen zu, als dieser im selben Gespräch den (angeblichen) Verfall der Moral im Westen „dämonisch“ nennt.

In Serbien haben diese Äußerungen zu heftigen Reaktionen und Diskussionen geführt. Es ließe sich fragen, wieweit diese Aussagen und die Reisen nach Jerusalem und Moskau Aktionen der SOK oder „nur“ solche ihres Oberhaupts waren. Einige Bischöfe haben sich zustimmend zu den Protesten der Studierenden geäußert, und in vielen Gemeinden der SOK genießen sie moralische und praktische Unterstützung. Doch ist auch klar, dass der Patriarch nicht als Privatperson handeln und sprechen kann. Im Mai wird die regelmäßige Bischofsvollversammlung der SOK stattfinden, bei der die Äußerungen wohl – hinter verschlossenen Türen – thematisiert werden. Es ist auch denkbar, dass Patriarch Porfirije nicht damit gerechnet hatte, dass seine Aussagen publik werden und ein so großes Echo auslösen.

Die russische Seite hat die Reise des Patriarchen nach Moskau für ihre Zwecke ausgenutzt. Allein die Tatsache, dass er von Präsident Putin empfangen wurde, ist bemerkenswert. Auf der Website der ROK wurde nicht nur ausführlich über die Begegnungen berichtet, sondern es wurden sowohl ein Video als auch ein Transkript des Gesprächs mit dem Präsidenten zur Verfügung gestellt. Die Website der SOK hingegen bringt Berichte und Bilder über die Reise, bleibt aber inhaltlich ganz allgemein und bringt die oben zitierten Aussagen nicht; serbische Leserinnen und Leser können nur aus säkularen und kirchenkritischen Medien davon erfahren, in denen sie jetzt diskutiert werden.

Es ist anzunehmen, dass bei den internen Gesprächen in Moskau auch die kirchliche Situation in der Ukraine behandelt wurde. „Im weiteren Verlauf des Gesprächs berührten die Gesprächspartner einen weiten Kreis von Themen, welche die gesamtorthodoxe Einheit und die zwischenkirchlichen Beziehungen betrafen, und auch andere Fragen von allgemeinem Interesse“, heißt es in der gemeinsamen Verlautbarung. Die serbische Kirche hat mehrfach ihre Solidarität mit der Ukrainischen Orthodoxen Kirche und ihrem Oberhaupt, Metropolit Onufrij (Berezovskij), zum Ausdruck gebracht. Die ROK ignoriert die ukrainische Kirche nach deren Distanzierung von Moskau jedoch und instrumentalisiert sie nur zuweilen in Stellungnahmen gegen die ukrainische Regierung. War die bisherige Unterstützung der SOK für die ukrainische Kirche und Metropolit Onufrij ernst gemeint, so hat ihr der serbische Patriarch mit seinem Besuch in Moskau einen Bärendienst erwiesen.

Thomas Bremer war von 1999 bis 2022 Professor für Ökumenik, Ostkirchenkunde und Friedensforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster.

[1] Das ist die Übersetzung nach dem Transkript, das die ROK veröffentlicht hat. Das Wörtchen „nicht“ wird allerdings vom Patriarchen nicht verwendet, wie das Video klar zeigt. Es ist denkbar, dass er statt „entwickeln“ das sehr ähnlich klingende russische Wort für „zerschlagen“ verwenden wollte.

Bild: Patriarch Porfirije und Patriarch Kirill bei Präsident Vladimir Putin (Foto: kremlin.ru)