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Dagmar Heller zur evangelisch-orthodoxen Ökumene

24. Januar 2018
Hat das Reformationsjubiläum auch neue Impulse für den ökumenischen Dialog zwischen den orthodoxen und evangelischen Kirchen mit sich gebracht?
„Neue Impulse“ im Sinne von neuen bahnbrechenden Anstößen für den traditionellen theologischen Dialog oder im Sinne neuer Ideen oder Ansatzpunkte hat das Reformationsjubiläum im Hinblick auf den Dialog zwischen orthodoxen und evangelischen Kirchen sicher nicht gegeben. Allerdings ist das Jubiläum in diesen Dialogzusammenhängen nicht völlig unbeachtet geblieben und hat meiner Ansicht nach die ökumenische Atmosphäre zwischen Orthodoxen und Evangelischen positiv beeinflusst – jedenfalls in Kontexten, wo beide christlichen Traditionen eng zusammenleben.

In Deutschland beispielsweise gab es mehrere Anlässe, die deren Beziehungen beförderten: Die Orthodoxe Bischofskonferenz bzw. orthodoxe Kirchen waren bei vielen Veranstaltungen zum Reformationsjubiläum mit dabei, und ein gewisser Höhepunkt war der Besuch des Ökumenischen Patriarchen mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Tübinger Evangelisch-Theologische Fakultät. Auf der jüngsten Begegnung im Dialog zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Russischen Orthodoxen Kirche, die im Jubiläumsjahr in Moskau stattfand, ging Metropolit Ilarion (Alfejev) in seiner Begrüßungsansprache ganz selbstverständlich auf die Reformation ein. Und die Russische Orthodoxe Kirche nahm an den Feierlichkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland und anderen Staaten (ELKRAS) teil.

Erwähnenswert sind aber vor allem drei internationale Tagungen: ein Kongress zu „500 Jahre Reformation“ im März 2017 in Thessaloniki, der unter der Schirmherrschaft des Ökumenischen Patriarchen von der Aristoteles-Universität Athen gemeinsam mit der Theologischen Fakultät der Universität Kiel organisiert wurde, sowie eine etwas kleinere Tagung im Dezember, die gemeinsam vom Orthodoxen Zentrum des Ökumenischen Patriarchats in Chambésy (Schweiz) und der Autonomen Protestantischen Fakultät der Universität Genf über die „Anthropologie Luthers in protestantischer und orthodoxer Perspektive“ veranstaltet wurde. Und nicht zu vergessen: Im Zusammenhang mit der Sitzung der Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Dialogkommission im November 2017 in Helsinki fand ein Seminar zu dem Thema „Das Erbe der Reformation – lutherische und orthodoxe Perspektive“ in Helsinki statt.

In den Augen vieler Orthodoxer wird die Reformation als Spaltung verstanden, und Spaltungen in der Christenheit werden per se negativ beurteilt. Daher war man anfangs auch eher zurückhaltend im Hinblick auf Feierlichkeiten. Zum Beispiel hat die Orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland sehr deutlich gemacht, dass die Reformation als ein Ereignis der Spaltung „nicht etwas (ist), das gefeiert werden kann“. Durchaus positiv wurden aber Begegnungs- oder Dialogtagungen aus Anlass des Jubiläums bewertet. Der Ökumenische Patriarch hob – laut dem Kieler Kirchenhistoriker Andreas Müller – auf der genannten Tagung in Thessaloniki hervor, dass solche Veranstaltungen dazu dienen, „andere Konfessionskulturen besser kennen und schätzen zu lernen, ohne dabei von vorne herein Unterschiede apologetisch benennen zu müssen.“ Insgesamt lässt sich sagen, dass Veranstaltungen wie die erwähnten, dazu beigetragen haben, in der orthodoxen Welt wahrzunehmen, dass man die Reformation nicht als ein Ereignis sehen kann, das keinerlei Bezug zur Orthodoxie hätte. Vor allem Luther wird wahrgenommen als ein Theologe, der „nicht nur dem Protestantismus oder dem westlichen Christentum“ gehört, sondern dessen „Denken (…) tiefe Spuren auf die ganze christliche Kirche und die Theologie“ hinterlassen hat. Es ist zu wünschen, dass solche Erkenntnisse auch auf die Ebene der orthodoxen Gemeindeglieder – vor allem in den osteuropäischen Ländern – gelangen, wo derzeit der ökumenische Dialog insgesamt sehr argwöhnisch beäugt wird.

Mitte November hat die Gemeinsame lutherisch-orthodoxe Dialogkommission eine Erklärung zum ordinierten Amt/Priestertum verabschiedet. Was bedeutet das Dokument für den lutherisch-orthodoxen Dialog?
Leider ist das Dokument bisher noch nicht veröffentlicht. Auf Anfrage beim Lutherischen Weltbund wurde mir mitgeteilt, dass der Text nach der Sitzung noch editorisch überarbeitet werden musste und man derzeit noch auf die Freigabe von Seiten der Verantwortlichen wartet. Es gibt bisher nur ein Kommuniqué, das aber nicht viel darüber verrät, was dieser Dialog wirklich ergeben hat. Soweit ich die bisherige Diskussion kenne, kann ich nur vermuten, dass dabei vor allem die derzeit trennenden Fragen im Hinblick auf das Amt diskutiert wurden, wie die Frage der apostolischen Sukzession und die Frage der Frauenordination. Dabei kann ich mir nicht vorstellen, dass es zu bahnbrechenden neuen Erkenntnissen gekommen ist. Was die apostolische Sukzession angeht, wird vermutlich das unterschiedliche Verständnis dieses Begriffs deutlich werden bzw. die unterschiedliche Auffassung von der Notwendigkeit der bischöflichen Sukzession (die allerdings auch innerhalb des Luthertums unterschiedlich gesehen wird). Und im Hinblick auf die Frauenordination werden ebenfalls die unterschiedlichen Positionen dargelegt werden, über die wiederum auf lutherischer Seite ebenfalls keine Einstimmigkeit besteht. Insofern wird das Dokument vermutlich Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die eigentlich bereits bekannt sind, stärker verdeutlichen und vielleicht versuchen, das Gemeinsame in den Vordergrund zu rücken. Es wäre jedenfalls zu wünschen, dass in diesem Dialog auch diskutiert wird, ob und – falls ja – wieso die bestehenden Unterschiede wirklich trennend sein müssen. Wünschenswert wäre auch eine Reflektion darüber, ob es vielleicht angesichts der bestehenden Übereinstimmungen, die im Kommuniqué angedeutet werden, andere Ansätze gibt, die die Kirchen einander näher bringen könnten als die Findung eines Konsenses.

Russland ist im Westen vielfacher Kritik ausgesetzt. Wie gestaltet sich das Verhältnis der evangelischen Kirchen zur Russischen Orthodoxen Kirche?
Zunächst muss man hier klären, was unter „evangelischen“ Kirchen verstanden wird. Dieser Begriff besteht ja so nur in Deutschland (und vielleicht in Österreich). Aus orthodoxer Sicht sind die „Protestant churches“ eine undeutliche Größe, denn in vielen orthodox geprägten Ländern begegnen dem Durchschnittschristen ganz selten „Protestanten“, und falls das der Fall ist, dann sind das zunehmend Gläubige, die sich zu verschiedenen Freikirchen oder Pfingstkirchen zählen. Lutheraner werden in Russland, aber auch in Rumänien z.T. wahrgenommen, weil sie schon eine längere Geschichte in diesen Ländern haben, aber Reformierte z.B. sind in Russland unbekannt (anders als in Rumänien). Dessen muss man sich bewusst sein, um die Haltung der orthodoxen Kirchen gegenüber Evangelischen zu verstehen.

Nun gibt es allerdings schon seit 1959 einen offiziellen theologischen Dialog zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK), so dass auf der Leitungsebene zumindest die „evangelische Kirche“ ein Begriff ist. Und weil die EKD mit ihrer Geschichte in den Augen der Orthodoxen eine ‚traditionelle‘ Kirche ist, wird die EKD auch ernst genommen. Der langjährige Dialog hat dazu beigetragen, ein gewisses Vertrauen zwischen beiden Kirchen herzustellen. In den letzten etwa 10 Jahren gab es allerdings auch Irritationen auf beiden Seiten, die zum Teil auch mit der Gesamtentwicklung in der weltweiten Ökumene und speziell im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) zusammenhingen.

Was allerdings festgehalten werden muss: Der Dialog zwischen der EKD und der ROK wurde zu keinem Zeitpunkt abgebrochen. Allerdings hat er sein Format etwas geändert. Man versucht nicht mehr, theologische Detailfragen zu diskutieren sowie übereinstimmende und divergierende Punkte zu identifizieren, wie das in den ersten Jahrzehnten der Fall war, sondern man versucht, sich gegenseitig die jeweilige Position zu bestimmten Themen – oft eher praktisch oder gesellschaftlich ausgerichtete wie z.B. die Frage der theologischen Ausbildung oder die Frage der Menschenrechte, die Frage nach dem christlichen Zeugnis heute usw. – darzulegen. Außerdem verzichtet man auf gemeinsame Kommuniqués, wie sie in der Vergangenheit üblich waren.

In den Anfängen dieses Dialogs ging es darum, eine Tür zu öffnen, die hinter den eisernen Vorhang führte und die andere Welt der Orthodoxie als christliche Geschwister wahrzunehmen und kennenzulernen. Die Zeiten aber haben sich geändert. Es ist auf beiden Seiten eine neue Generation am Zuge, die nicht mehr unter dem Druck des Kalten Krieges steht. Während es damals ein gegenseitiges Interesse an Begegnung und Kontakt gab, weil dabei auch immer die Frage der Versöhnung zwischen Deutschland und Russland im Hintergrund stand, sieht dies heute ganz anders aus. Kurz lässt sich die unterschiedliche Lage vielleicht folgendermaßen skizzieren: Die ROK ist auf der Suche nach ihrer Identität im Spannungsfeld von Postmoderne, neuem Nationalismus und einem Kirchenvolk, das Halt in Liturgie und Vergangenheit sucht. Die EKD hat zu kämpfen mit dem Umbruch, der hervorgerufen wird durch schwindendes Interesse der Gesellschaft an traditionellen Antworten auf religiöse Fragen. Die rein theologische Auseinandersetzung hat sich in dieser Situation für beide Seiten als wenig weiterführend erwiesen. Der Austausch im Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche Fragen dagegen wird durchaus als bereichernd empfunden.

Auf Seiten der EKD besteht ein Interesse, diesen Dialog trotz aller Schwierigkeiten fortzusetzen, auch in diesem neuen Format, um mit der ROK im Gespräch zu bleiben und deren Anliegen zu verstehen, aber auch um Anregungen an die russische Seite weitergeben zu können und dadurch insgesamt die Ökumene voranzubringen, weil in einer globalisierten Welt kein Weg am Dialog vorbeigeht.

Dr. Dagmar Heller, Wissenschaftliche Referentin für Orthodoxie am Konfessionskundlichen Institut in Bensheim.