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Debatten um den Papstbesuch in Bulgarien

18. April 2019

Vladislav Atanassov

Nachdem im Oktober 2018 die bulgarische Presse die Nachricht über die Vorbereitung einer bevorstehenden Papstvisite vermeldete, herrschte lange Zeit Ruhe unter den einheimischen orthodoxen Christen. Angesichts der Turbulenzen, die es im Vorfeld und während des Besuchs von Johannes Paul II. 2002 gab, und der antiökumenischen Haltung der Bulgarischen Orthodoxen Kirche (BOK) in den letzten Jahrzehnten war dies nicht unbedingt zu erwarten. Auch als am 13. Dezember 2018 der Papstbesuch offiziell bestätigt wurde und am Vorabend der Weihnachtsfeier Antonij (Mihalev), Metropolit von West- und Zentraleuropa, im Fernsehen verkündete, dass der Papst am 5. Mai 2019 von Patriarch Neophit empfangen und anschließend die Patriarchatskathedrale Alexander Nevski besuchen werde, löste dies fast keine Reaktionen aus. Dabei beschrieb der bulgarische Geistliche Papst Franziskus mit freundlichen Worten, was für Kleriker der BOK eher ungewöhnlich ist.

Diese Ruhe wurde allerdings durch die Veröffentlichung eines synodalen Beschlusses am 2. April 2019 unterbrochen, der sich als Initialzündung für eine hitzige Debatte erwies. Darin wurde zwar der Besuch des Papstes beim Patriarchen und in der Kathedrale bestätigt, aber auch kategorisch abgelehnt, an irgendeiner anderen Veranstaltung anlässlich der Visite teilzunehmen. Der Hl. Synod verkündete, dass es in keiner Form eine Gebetsgemeinschaft geben werde. Zudem wurde untersagt, dass der Kathedralchor während des Besuchs singt oder dass Kleriker der BOK an irgendwelchen Veranstaltungen aus dem Programm der Papstvisite teilnehmen. Der vom päpstlichen Nuntius angeforderte Dolmetschertätigkeit des Diakons Ivan Ivanov, eines ehemaligen Stipendiaten des Vatikans und Sonderdolmetscher während des Besuchs von Johannes Paul II., wurde nur für die Gespräche zwischen dem Patriarchen und dem Papst genehmigt.

Unterschiedliche Reaktionen
Diese Stellungnahme löste polarisierte Reaktionen unter den Gläubigen aus: die einen sahen darin eine unangemessen schroffe und nicht zeitgemäße Haltung, die anderen (darunter orthodoxe Christen aus anderen Ländern) bejubelten sie als Verteidigung der Orthodoxie. Das Thema wurde auch in nichtkirchlichen Medien diskutiert, wobei dort die religiösen Sachverhalte von den gesellschaftlichen und politischen Aspekten der Debatte überlagert wurden. Allerdings richtete sich wenig Aufmerksamkeit auf die Frage, warum der Hl. Synod diese Stellungnahme publiziert hat. Wie Diakon Ivanov später erklärte, handelte es sich eigentlich um ein älteres Antwortschreiben an den Nuntius im Zuge der Besuchsvorbereitungen. Er zeigte sich überrascht, dass der Hl. Synod diese Antwort erst jetzt veröffentlicht habe, nachdem das offizielle Programm schon einen Monat zuvor bekanntgegeben worden war. Damit habe der Hl. Synod die Strategie, keine Nachrichten über den Besuch und die Vorbereitungen zu verbreiten und das Thema sehr vertraulich zu behandeln, selbst untergraben.

Metropolit Antonij begründete die Veröffentlichung als präventive Maßnahme: man erwarte verschiedenartige Provokationen, die den Eindruck erwecken könnten, dass die BOK in Gebetsgemeinschaft mit dem Papst tritt. Daher gelte es, schon im Vorfeld zu zeigen, dass die BOK dies missbilligt. Er versicherte, dass ansonsten das Verhältnis mit der katholischen Kirche spannungsfrei sei, und dass beide Seiten sehr gut wissen, was bei solchen Besuchen möglich und nicht möglich ist.

Der erwähnte Grund ist plausibel, beantwortet aber die Frage nicht, warum eher unfreundlich wirkende Formulierungen gewählt wurden. Zweifelsohne ist dies eine Geste in Richtung der ultraorthodoxen Kreise in der BOK. Leider wird nicht klar, ob der ganze Hl. Synod der Bekanntmachung zugestimmt hat. Denn es gab schon einige Vorfälle, in denen ziemlich rigorose Positionen im Namen des Hl. Synods auf seiner Webseite publiziert wurden und sich daraufhin einige Metropoliten beschwert hatten, dass dies ohne ihre Zustimmung passiert sei. Dies verrät die internen Spannungen und gibt dem Theologieprofessor Ivan Dimitrov, der als Chef der Kommission für Glaubensgemeinschaften bei der Organisation des päpstlichen Besuchs 2002 eine große Rolle spielte, Recht, der in einem Interview beteuerte, dass diese Formulierung nicht der Denkweise des Patriarchen entspreche, dieser sich aber der synodalen Mehrheit beugen müsse.

Politische und gesellschaftliche Aspekte der Debatten
Die Reaktionen in den sozialen Netzen und digitalen Plattformen zeigen deutlich, dass der politische Aspekt dieses Besuchs eine große Rolle spielt. Die bulgarische Regierung hat den Papst noch während ihrer EU-Ratspräsidentschaft 2018 eingeladen, als sie sich für die EU-Integration der westlichen Balkanländer stark machte. Sie erhoffte sich dabei, dass durch die Papstvisite die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf diese Region gelenkt würde. Wie der Ministerpräsident Bojko Borissov klarstellte, soll diese Aktion die Friedenspolitik in Südosteuropa stärken. In dieser Hinsicht misst man einer Veranstaltung eine besonders große Bedeutung zu: das Weltfriedensgebet, das der Papst im Zentrum von Sofia in der Anwesenheit der lokalen Religionsführer abhalten wird. Daher löste die Absage des Hl. Synods nicht nur in vielen gesellschaftlichen Kreisen, sondern auch unter den orthodoxen Gläubigen Unmut aus. Sie bezeichneten diese Haltung als verknöchert und rückwärtsgewandt. Es kamen die alten Vorwürfe über die Agententätigkeit des hohen Klerus während des Kommunismus auf, und dass der Hl. Synod den Direktiven Moskaus folge, dass die Metropoliten sich nur um ihren Wohlstand kümmerten und ihnen daher Papst Franziskus in seiner Bescheidenheit ein Dorn im Auge sei.

Diakon Ivanov, der auch Dozent für Liturgik an der Universität Sofia ist, kritisierte vorsichtig, dass man eine einmalige Chance versäume, der Weltöffentlichkeit das Engagement der BOK für den Frieden sowie ihre historischen Verdienste – insbesondere ihre Unterstützung der armenischen Flüchtlinge, die infolge des Genozids nach Bulgarien strömten, und die Rettung der bulgarischen Juden vor dem Abtransport ins Dritte Reich – bekanntzumachen. Er fragte  rhetorisch, ob die Tätigkeit des Papstes, die sich dem Frieden und den Leidenden und Ausgegrenzten widmet und offensichtlich dem Geist des Evangeliums folgt, keine Grundlage für die Beziehungen zwischen der BOK und der katholischen Kirche bilden könne. Auch Prof. Dimitrov würdigte die Bemühungen des Papstes und verwies darauf, dass Franziskus ein Flüchtlingslager in Bulgarien besuchen wird, was als Beispiel für die lokalen Religionsführer dienen möge (eine Anspielung auf den Hl. Synod der BOK, der vor einigen Jahren in einer offiziellen Stellungnahme seine Bedenken gegen die Migration aus muslimischen Ländern äußerte).

Zuspruch bekam der Hl. Synod vor allem von konservativen Kreisen und von vielen Bulgaren, die mit großer Sorge die Ereignisse in den arabischen Ländern und in der Türkei beobachten. In einer Gesellschaft, die ein halbes Jahrtausend unter osmanischer Herrschaft stand und eine sehr negative Erinnerungskultur an diese Zeit pflegt, sind solche Ängste nachvollziehbar. Die Flüchtlingswelle wird in der bulgarischen Gesellschaft im Allgemeinen als Migrationswelle und als Missbrauch des Asylrechts empfunden. In dieser Hinsicht sehen viele Bulgaren den Einsatz von Franziskus für muslimische Flüchtlinge kritisch. Diese Migrationsprozesse verbinden sie mit der Globalisierung und sehen darin einen gezielten Abbau von nationalen und religiösen Identitäten. Sie befürchten die Etablierung einer neuen Weltordnung, die dem „entfesselten Hyperliberalismus“ verschrieben sein würde. Die Bandbreite dieser Kreise ist mittlerweile groß: von einigen, die Steve Bannon publizieren und tiefgründige Analysen zu liefern versuchen, bis hin zu den Anhängern von Weltverschwörungstheorien. Die letzteren meinen, dass Franziskus eine neue Weltreligion mit dem Papst an der Spitze durchsetzen will. Die anderen sehen in ihm einen Vertreter der liberalen Werte und zitieren gern seinen Vorgänger Benedikt XVI. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren gewachsen und ihre Ablehnung gilt nicht dem Katholizismus, solange er konservative Werte vertritt, sondern der Persönlichkeit von Franziskus.

Die religiösen Aspekte
Nicht zu übersehen ist aber auch, dass nicht wenige Gläubige den Papstbesuch aus religiösen Gründen kritisch sehen. Dabei wird betont, dass Rom von der wahren Kirche abgefallen und daher eine christliche Gemeinschaft mit ihm nicht möglich sei. Es werden die Unterschiede in den Lehrmeinungen aufgezählt, von denen der päpstliche Primat am heftigsten kritisiert wird. Die eher negativen Erfahrungen mit dem Katholizismus in der Vergangenheit werden ständig aktuell gehalten und betont. Dabei sehen sich die Orthodoxen als Opfer von aggressiven oder betrügerischen katholischen Handlungen. Auch eschatologische Erwartungen, die unter den Ultraorthodoxen oft sehr ausgeprägt sind und durch Zitate von Starzen in Verbindung mit dem Papst gesetzt werden, spielen dabei eine Rolle. In ihrer antiökumenischen Haltung lehnen sie oft jegliche Form des Dialogs ab und beharren darauf, dass es nichts zu besprechen gebe, solange der Papst nicht reumütig zur Orthodoxie zurückkehre. Wie radikal einige von ihnen sein können, zeigen ihre Aussagen über den Brand von Notre Dame in Paris: für sie ist dieses Ereignis am Montag der Karwoche ein Zeichen Gottes, eine Strafe für die Ketzer.

Sie beschimpften in den sozialen Netzwerken Diakon Ivanov als „Verräter der Orthodoxie“, als „geistig krank“, als „Wolf im Schafspelz“ usw., weil er sich für den Dialog mit den Katholiken einsetzt und dabei auch den Nutzen für die BOK erwähnt, vor allem in Fragen der bulgarischen Diaspora in den katholischen Ländern.

Zukünftige Herausforderungen
Die Debatten über den Beschluss des Hl. Synods zeigen, dass die BOK immer mehr von Interesse für die konservativen Kräfte in der bulgarischen Gesellschaft wird. Sie erwarten kirchliche Unterstützung in Fragen, die für traditionelle Werte und die nationale Identität als relevant gelten. Dies erhöht die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung der Kirche und fördert die Tendenz, dass ein Teil der Gesellschaft ihr gänzlich den Rücken zukehrt.

Dabei zeigt sich, dass bei jeder gesellschaftlichen Diskussion der Hl. Synod mit zwei Hauptvorwürfen konfrontiert wird: Agententätigkeit im Kommunismus und materieller Eigennutz. Solange die kommunistische Vergangenheit nicht aufgearbeitet ist, werden die Vorwürfe der Verstrickungen mit den Diensten der Staatssicherheit wie eine Art Erbsünde auf dem Hl. Synod lasten, obwohl er mittlerweile viele neue und junge Mitglieder hat.

Auch der Diakonie müsste die Kirchenleitung endlich mehr Aufmerksamkeit widmen. Zwar gibt es in den letzten Jahren immer mehr lokale Initiativen in dieser Hinsicht, aber es fehlt an einem ganzheitlichen Konzept. Erst dann würden die Anschuldigungen nachlassen, dass die Bischöfe sich nur um ihr materielles Wohl kümmern und die Bedürftigen und Notleidenden vergessen.

Ein anderes Problem der BOK ist die Gestaltung ihrer Beziehungen mit den nichtorthodoxen Kirchen. Auch hier lastete in der Vergangenheit der Vorwurf auf dem Hl. Synod, dass die ökumenischen Aktivitäten vom kommunistischen Staat gesteuert wurden. Doch mittlerweile gibt es neue unkompromittierte Metropoliten, die sich frei von diesem Vorwurf an interkonfessionellen Aktivitäten beteiligen können. Stattdessen sieht man aber eine fortdauernde isolationistische Haltung. Dabei fällt auf, dass die neue Generation von Mitgliedern des Hl. Synods keine Studienaufenthalte an theologischen Einrichtungen anderer Kirchen absolvierte und keine Möglichkeit hatte, die anderen Konfessionen aus erster Hand kennenzulernen. Es ist merkwürdig, dass selbst während des Kalten Kriegs  mehr Geistliche – manche von ihnen spätere Bischöfe – solche Aufenthalte im Westen absolvierten, als dies nun im 21. Jahrhundert der Fall ist.

Andererseits zeigen die Aussagen von Metropolit Antonij und Diakon Ivanov, dass es nicht nur unter den Laientheologen, sondern auch unter den Klerikern Potenzial für eine aktivere Beteiligung an der Ökumene gibt. Auch andere jüngere Bischöfe versuchen einiges neu zu gestalten. Vielleicht kann der Besuch von Franziskus in dieser Hinsicht einiges bewegen, denn eins hat er sicher schon bewirkt: durch seine bescheidene Art vermittelt er den kleineren orthodoxen Kirchen ein anderes Bild des weltweiten Oberhaupts der Katholiken, das sich sehr von der traditionellen Vorstellung einer drohenden Übermacht unterscheidet.

Die katholischen Vertreter über den Besuch des Papstes
Für die kleine katholische Gemeinschaft in Bulgarien, die nicht einmal 1 Prozent der Gesellschaft ausmacht, ist der Besuch von Franziskus eine seltene Gelegenheit, in der Gesellschaft sichtbar zu werden. Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz Christo Projkov betonte, dass der Besuch unter dem Motto „Frieden auf Erden“ stattfinde, das der Enzyklika „Pacem in terris“ von Papst Johannes XXIII. entnommen sei, der in den bulgarischen Medien oft wegen seines Aufenthalts als Nuntius in Sofia (1925-1934) „der bulgarische Papst“ genannt wird. Durch die Wahl dieses Mottos wolle Franziskus dem Anliegen der bulgarischen Regierung entgegenkommen und gleichzeitig den anderen Religionen in der Region seine friedlichen Absichten demonstrieren. Projkov verwies auf die Tatsache, dass Bulgarien zum zweiten Mal Gastgeber einer päpstlichen Visite innerhalb von 20 Jahren ist, was für ein osteuropäisches Land eher eine Ausnahme sei. Außerdem sei Bulgarien erst das zweite orthodoxe Land (nach Georgien), das der Papst besucht.

Interessante Vermutungen zur Motivation des Papstbesuchs stellte Prof. Svetlozar Eldarov an, der  den Katholiken östlicher Tradition in Bulgarien angehört. Einige diplomatische Initiativen des Vatikans in den letzten Jahren deuteten darauf hin, dass der Papst womöglich während seines Besuchs in Bulgarien und Nordmakedonien einige strukturelle Reformen in die Wege leiten könnte. In diesem Zusammenhang äußerte Eldarov die Hoffnung, dass der Bischof von Nordmakedonien ein Mitglied der bulgarischen Bischofskonferenz werde. Er sieht darin auch einen wichtigen Grund für die Einladung des Papstes. Die bulgarische Staatsdiplomatie habe solche Signale seitens des Vatikans wahrgenommen und diese Visite eingefädelt.

Prof. Eladrov erinnerte auch daran, dass der bulgarische Patriarch Kirill (+1971) in den 1960er Jahren ein Treffen des Friedens aller Religionsführer in Sofia organisieren wollte und selbst einen ökumenischen Dialog mit dem Vatikan initiieren und den Papst in Rom besuchen wollte. Warum könne dann die BOK heute nicht am Weltfriedensgebet teilnehmen, wo doch selbst Vertreter anderer Religionen dabei seien, fragte er im Fernsehen. Dabei mahnte er, dass die kirchlichen Oberhirten jetzt schon daran denken sollten, wie ihre gegenwärtigen Botschaften in einigen Jahrzehnten ausgewertet werden. Er äußerte sich zuversichtlich, dass Franziskus genauso einen guten Eindruck in der bulgarischen Gesellschaft hinterlassen werde, wie dies Johannes XXIII als Nuntius und Johannes Paul II getan haben.

Vladislav Atanassov, Studium der Theologie in Sofia und Heidelberg, wohnt in Nürtingen, Deutschland. Zurzeit arbeitet er an der Herausgabe eines Buches über die Geschichte der Bulgarischen Orthodoxen Kirche.

Bild: Alexander-Nevski-Kathedrale in Sofia, Bulgarien, ©Plamen Agov, studiolemontree.com