Tamás Véghseő über die griechisch-katholische Kirche in Ungarn
19. Dezember 2019
Laut dem Zensus sind die Griechisch-Katholischen, die vorwiegend in den östlichen Gebieten Ungarns leben, die viertgrößte christliche Gruppe im Land. Was sind die historischen Wurzeln der Unierten in Ungarn?
Die griechisch-katholische Kirche ist nach der römisch-katholischen, der reformierten und der lutherischen Kirche die viertgrößte religiöse Gemeinschaft Ungarns und verfügt seit 2015 über die folgende amtliche Bezeichnung: Metropolitankirche sui iuris der Katholiken des byzantinischen Ritus in Ungarn. Seit den neuen ungarischen Staatsgrenzen von 1920 entwickelte sich die Kirche aus dem 1912 gegründeten Bistum Hajdúdorog und dem 1924 errichteten Apostolischen Exarchat Miskolc.
Diese katholische Gemeinschaft des byzantinischen Ritus mit einer charakteristisch ungarischen Identität entwickelte sich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Königreich Ungarn aus den Bistümern der altslawischen Liturgiesprache (Bistümer von Mukačevo und Prešov) und der rumänischen Liturgiesprache (Großerzbistum Făgăraș und Alba Iulia, Bistümer von Oradea Mare, Gherla und Lugoj). Geografisch gesehen ergab sich das Bedürfnis nach der liturgischen Verwendung der ungarischen Sprache in einigen griechisch-katholischen Gemeinschaften in den Komitaten Szabolcs, Szatmár, Bereg und Zemplén (annähernd das heutige Nordost-Ungarn), was sich ab dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in der Verbreitung von handschriftlichen liturgischen Übersetzungen in ungarischer Sprache zeigte. Die älteste erhalten gebliebene ungarische Übersetzung der Göttlichen Liturgie stammt von 1793.
Diese ungarisch-sprachigen unierten Gemeinschaften waren durch die Assimilation der im 17. und 18. Jahrhundert im Gebiet angesiedelten ruthenischen und, in geringerem Maße, rumänischen Bevölkerung entstanden. Dieser Vorgang der Assimilation hatte – vor allem in den südlichen Gebieten des Komitats Zemplén – eine eigenartige Erscheinung zur Folge: Nach einer Welle der Rekatholisierung seit den 1670er Jahren waren zahlreiche ungarische protestantische Gemeinschaften ohne Seelsorger geblieben. Die Gläubigen dieser Gemeinschaften wurden mit der Zeit von griechisch-katholischen Priestern versorgt und damit allmählich in die griechisch-katholische Kirche assimiliert. Aus sprachlicher und kultureller Sicht haben die ehemaligen Protestanten jedoch die Ruthenen assimiliert. Die griechisch-katholischen Gemeinschaften erlangten so die ungarische Sprache und Identität, während die altslawische Sprache zwar erhalten blieb, aber mit der Zeit nicht mehr verstanden wurde.
Das Bedürfnis nach der liturgischen Verwendung der ungarischen Sprache wurde ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – als Reaktion auf die Germanisierungsmaßnahmen Josephs II. – vom ungarischen nationalen Erwachen verstärkt, das die Erneuerung und Entwicklung der ungarischen Sprache zum wichtigsten nationalen Ziel erklärt hatte. Die ungarischen Griechisch-Katholischen bemühten sich seit den 1820er Jahren, den Fall der ungarischen liturgischen Sprache zu einer der wichtigsten Fragen der Nation zu machen. Diese Bemühungen wurden lange Zeit durch zwei Faktoren behindert. Erstens verband die ungarische Öffentlichkeit den byzantinischen Ritus mit Ruthenen, Rumänen und Serben, so dass er als unvereinbar mit der ungarischen Identität angesehen wurde. Diese Einstellung hat über eine lange Zeit zur Stigmatisierung der Griechisch-Katholischen beigetragen. Während sie für die liturgische Verwendung der ungarischen Sprache kämpften, wurden sie in der Öffentlichkeit als „Russen“ oder „Walachen“ abgestempelt. Zweitens wurde die liturgische Verwendung der ungarischen Sprache auch vom ungarischen Episkopat abgelehnt. Die Mitglieder des Episkopats befürchteten, dass die katholischen Gläubigen, angestachelt durch das Beispiel der ungarischen Griechisch-Katholischen, die Abschaffung der lateinischen Sprache und die Einführung der Nationalsprachen (also nicht nur bei den Ungarn, sondern auch bei anderen Völkern des Königreichs) verlangen würden.
Im Frühling 1868 formulierte die Bewegung der ungarischen Unierten unter der Leitung von Hajdúdorog, der bevölkerungsreichsten griechisch-katholischen Pfarrei Ungarns, erstmals ihre Ziele: Neben der Anerkennung der ungarischen Sprache in der Liturgie durch den Hl. Stuhl sollte auch ein griechisch-katholisches Bistum in Ungarn errichtet werden. Nach jahrzehntelangem Kampf und zahlreichen Misserfolgen (mehrmals verbot der Hl. Stuhl hat die liturgische Verwendung der ungarischen Sprache) wurde 1912 das Bistum Hajdúdorog errichtet, und zwar ausdrücklich für die Griechisch-Katholischen mit ungarischer Identität.
Die Errichtung des Bistums Hajdúdorog erfolgte in einer schwierigen innenpolitischen Lage und lief den kirchlichen Interessen letztlich zuwider. Der Hl. Stuhl gab in der Frage der liturgischen Sprache nicht nach und sah die griechische Sprache, die nationalitätenpolitisch als neutral galt, als neue liturgische Sprache des Bistums vor, die von den Priestern in drei Jahren erlernt werden sollte. Diese Vorgabe war – nicht nur wegen des mittlerweile ausgebrochenen Weltkriegs – völlig unrealistisch. Zu dieser Zeit fanden die Zeremonien in den griechisch-katholischen Gemeinschaften Ungarns bereits seit Jahrzehnten, in manchen Ortschaften sogar seit 100 Jahren, auf Ungarisch statt, und daran ließ sich nichts mehr ändern.
Zudem verfolgte die ungarische Regierung eigene politische Ziele: Von den Pfarreien, die dem neuen Bistum zugeordnet wurden, wurden zahlreiche ungarisch-sprachige ausgelassen, weil die Regierung es vermeiden wollte, dass die ruthenischen und rumänischen Mutterbistümer aus der Sicht der Nationalitäten völlig homogen wurden. Zu den 162 Pfarreien des Bistums Hajdúdorog zählten auch zahlreiche Pfarreien, die keine ungarische Identität hatten, sondern rumänisch waren. Die ungarische Regierung wollte damit erreichen, dass die Rechte der Griechisch-Katholischen mit ungarischer Identität in den Bistümern der rumänischen Bischöfe, die in der Vergangenheit hart gegen die Bewegung der ungarisch-sprachigen Unierten aufgetreten waren, respektiert wurden. Im Gegenzug beließ auch der Bischof von Hajdúdorog die seinem Bistum angeschlossenen Rumänen in ihren Rechten.
Die fragwürdigen politischen Ziele hinter der Errichtung des Bistums Hajdúdorog führten zu enormen Spannungen. Von deren Heftigkeit zeugt das Bombenattentat gegen István Miklósy, den ersten Bischof von Hajdúdorog, im Februar 1914, das von rumänischen Nationalisten verübt wurde.
Aufgrund der Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg verblieben fast ausschließlich Griechisch-Katholische mit ungarischer Identität im Land. Der Großteil der etwa 120‘000 ungarischen Unierten, die sich in den Nachbarstaaten widerfanden, hat entweder bei Beibehaltung seiner ungarischen Identität den Ritus oder die Konfession gewechselt oder wurde von der neuen Mehrheit assimiliert. Dennoch leben bis heute in der Slowakei, Ukraine und Rumänien noch etwa 40-50‘000 ungarische Griechisch-Katholische.
Der Hl. Stuhl hat 1924 aus 23 Pfarreien der Bistümer Prešov und Mukačevo, die nach dem Friedensvertrag von Trianon in Ungarn verblieben waren, ein Apostolisches Exarchat mit Altslawisch als Liturgiesprache errichtet. Ab den 1930er Jahren wurde jedoch die ungarische Sprache auch in den Pfarreien des Exarchats immer häufiger in der Liturgie verwendet – eine Praxis die schließlich während des Zweiten Vatikanischen Konzils legitimiert wurde (Göttliche Liturgie auf Ungarisch am 19. November 1965 im Petersdom in der Anwesenheit der Konzilsteilnehmer).
Die kommunistische Machtübernahme in Mittel- und Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg führte zum Verbot der griechisch-katholischen Kirchen. Ungarn war dabei jedoch eine Ausnahme, denn in dem Land gab es keine einheitliche und große Orthodoxie, in die die Griechisch-Katholischen hätten hineingezwungen werden können. So war es möglich, dass die ungarische griechisch-katholische Kirche offiziell weiterexistieren durfte.
Von den demographischen Auswirkungen der kommunistischen Industrialisierung waren auch die griechisch-katholischen Gemeinschaften betroffen. Ab den 1950er Jahren zogen Menschen aus der nordöstlichen Region des Landes massenhaft nach Budapest und Umgebung sowie in die Industriezentren West- und Südungarns. Auf diese Migrationsprozesse wurde durch Änderungen in der Kirchenverwaltung nach seelsorgerischem Ansatz erst verspätet reagiert. Der Hl. Stuhl dehnte die Gerichtsbarkeit des Bischofs von Hajdúdorog erst 1968 auf das ganze Land aus. Zu jener Zeit hatten allerdings bereits Zehntausende den Ritus oder die Konfession an ihrem neuen Wohnort gewechselt, weil sie keine griechisch-katholische seelsorgerische Betreuung finden konnten. Trotzdem entstanden bis zur politischen Wende 1989 starke griechisch-katholische „Diaspora-Gemeinschaften“ außerhalb der traditionellen griechisch-katholischen Gebiete. Heute lebt bereits ein Drittel der etwa 250-280‘000 griechisch-katholischen Gläubigen in der „Diaspora“.
Die 2010er Jahre führten zu bedeutenden Veränderungen im Leben der Griechisch-Katholischen. Infolge der Politik der Orbán-Regierung zur Förderung des gesellschaftlichen Engagements der Kirchen konnten auch die Griechisch-Katholischen ihr Bildung- und Sozialsystem beträchtlich erweiterten. Zwischen 2010 und 2017 hat sich die Zahl der griechisch-katholischen Kindertageseinrichtungen sowie Grund- und Mittelschulen verfünffacht. Die griechisch-katholische Kirche betreibt einen bedeutenden Hilfsdienst, ein Kinderschutzsystem und eine Altersversorgung. Die bereits in den 1940er Jahren gestartete Roma-Pastoral hat durch die „Begabtenförderungsinitiative für Roma“ [Roma Szakkollégiumok] neuen Schwung erhalten. Das neue System des Religionsunterrichts hat der katechetischen Tätigkeit der griechisch-katholischen Kirche neue Möglichkeiten eröffnet.
Der Hl. Stuhl hat diese Initiativen durch Entwicklungsmaßnahmen in der Kirchenverwaltung unterstützt. Das Apostolische Exarchat Miskolc wurde 2011 um 29 Pfarreien des Bistums Hajdúdorog erweitert und hat in der Person von Dr. Atanáz Orosz einen eigenen Bischof-Exarchen erhalten (zwischen 1945 und 2011 hatte der jeweilige Bischof von Hajdúdorog das Exarchat geleitet).
Am 19. März 2015 ordnete Papst Franziskus eine Neuordnung der kirchlichen Strukturen an: Durch die Apostolische Konstitution „In hac suprema“ verfügte der Papst die Gründung einer Metropolitankirche sui iuris für die Katholiken des byzantinischen Ritus in Ungarn. Die Apostolische Konstitution „De spiritali itinere“ erhob das Bistum Hajdúdorog in den Rang einer Erzeparchie. Das Exarchat Miskolc wurde durch die Apostolische Konstitution „Qui successimus“ in den Rang einer Eparchie erhoben. Zudem wurde durch die Apostolische Konstitution „Ad aptius consulendum“ die Eparchie Nyíregyháza gegründet. Am selben Tag ernannte Papst Franziskus Fülöp Kocsis, den Bischof von Hajdúdorog, zum Erzbischof-Metropoliten.
Gab es eine Latinisierung der griechisch-katholischen Kirche in Ungarn, und wie gestaltet sich die Situation heute?
Ab den 1930er Jahren verbreitete sich in kirchlichen Kreisen der Ausdruck „graecorum latinissimi“, d. h. die „lateinischsten unter den Griechen“, für Griechisch-Katholischen in Ungarn. Dieser nicht gerade schmeichelhafte Ausdruck entsprach jedoch bereits zu jener Zeit nicht der Wahrheit und ist seit den 1990er Jahren vollkommen inakzeptabel. Als die griechisch-katholischen Kirchen in den umliegenden Ländern nach dem Fall des Kommunismus ihre Freiheit wiedererlangten, haben sie die liturgischen Traditionen der Ära vor ihrem Verbot wieder zum Leben erweckt. Unter den ungarischen Unierten begann die auch vom Zweiten Vatikanischen Konzil geforderte Rückkehr zur authentischen byzantinischen Tradition jedoch bereits Ende der 1970er Jahre. Es war ein äußerst langwieriger Prozess, aber er zeigte sich in der Änderung des Priestergewands (die lateinische Soutane wurde durch eine mit griechischem Schnitt abgelöst) sowie im Weglassen einiger zeremoniellen Elemente (eucharistische Anbetung, Rosenkranz) und in der Wiederbelegung uralter byzantinischer Zeremonien (Paraklese, Akathistos).
Der Rückkehrprozess zur authentischen byzantinischen Tradition beschleunigte sich nach 2008, als der Ordenspriester Fülöp Kocsis zum Bischof von Hajdúdorog ernannt wurde. Sein Ziel ist es, das liturgische Leben der griechisch-katholischen Kirche im Sinne der 1996 veröffentlichten liturgischen Instruktion des Hl. Stuhls zu erneuern. Er findet dabei Unterstützung durch Atanáz Orosz, seit 2011 Bischof von Miskolc, und Ábel Szocska, der 2018 zum Bischof von Nyíregyháza ernannt wurde.
Dabei muss gesagt werden, dass die Bemühungen der drei Bischöfe zur Erneuerung des liturgischen Lebens auf harten Widerstand sowohl des Klerus als auch der Gläubigen trafen. Dies ergibt sich aus der Schwierigkeit bei der Definierung einer „authentischen östlichen Tradition“. Für viele gilt die liturgische Praxis vergangener Jahrzehnte als eine Art ungarische griechisch-katholische Tradition, die bestimmte Maßnahmen als Neuerungen erscheinen lässt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Versuch zur Wiederherstellung der Einheit der einführenden Sakramente (Taufe, Firmung, Eucharistie). Den Vorfahren der heutigen ungarischen Griechisch-Katholischen hatte der Bischof von Eger Mitte des 18. Jahrhunderts verboten, den Kleinkindern das Sakrament der Eucharistie zusammen mit der Taufe und der Firmung zu spenden. Aus dem Verbot wurde eine gängige Praxis, die durch die Einführung der Erstkommunion im 20. Jahrhundert festgeschrieben wurde. Die Wiederbelebung der uralten und authentischen Tradition verstößt also gegen eine andere Tradition, die ebenfalls als uralt und authentisch angesehen wird.
Die Griechisch-Katholischen haben eine eigene Theologische Hochschule in Nyiregyháza. Was sind deren Schwerpunkte?
Die in Nyíregyháza tätige Theologische Hochschule und das Priesterseminar Heiliger Athanasius wurden 1950, also mitten in der größten Kirchenverfolgung, von Bischof Miklós Dudás gegründet. Zu jener Zeit wurden die katholischen Einrichtungen von den kommunistischen Behörden sukzessive geschlossen, deswegen mag die behördliche Genehmigung zur Gründung einer neuen griechisch-katholischen Hochschule auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen. Vor dem Hintergrund des historischen Kontexts gibt es jedoch eine logische Erklärung: 1950 waren die Kommunisten noch bemüht, die ungarischen Griechisch-Katholischen von der katholischen Kirche abzutrennen und in eine neu zu schaffende einheitliche orthodoxe Kirche hineinzuzwängen. Zu jener Zeit lebten die griechisch-katholischen Seminaristen im Zentralseminar von Budapest zusammen mit den römisch-katholischen Seminaristen. Als der Bischof von Hajdúdorog verkündete, dass die Bildung der griechisch-katholischen Seminaristen an seinen eigenen Sitz verlegt werde, spielte er den kommunistischen Behörden ungewollt in die Hände, denn damit wurden die zukünftigen Priester dem katholischen Einfluss entzogen. Die Kommunisten waren zudem glücklich darüber, dass das neue Priesterseminar im Gebäude des Bistums, einem geschlossenen ehemaligen Mietshaus untergebracht werden sollte. Diese Lösung war für die kommunistischen Behörden unter dem Blickwinkel der Beobachtung, Abhörung und strikten Kontrolle optimal.
Die Theologische Hochschule und das Priesterseminar durften bis 1990 nur dem Anliegen der griechisch-katholischen Priesterausbildung dienen. Nach der Wende wurde das Bildungsangebot durch die Fachrichtungen Religionslehrer und Kantor erweitert. Die Hochschule ist seit 1995 eine affiliierte und seit 2006 eine aggregierte Einrichtung des Päpstlichen Orientalischen Instituts, die neben dem Bakkalaureat der Theologie auch zur Lizenziatsausbildung in östlicher Theologie berechtigt ist.
Die Hochschule ist seit 2003 in einem modernen neuen Gebäude – vom Priesterseminar organisatorisch abgetrennt – als eine staatliche anerkannte Hochschuleinrichtung tätig. Sie verfolgt neben der Bildung auch eine bedeutende wissenschaftliche Tätigkeit, deren Ergebnisse in eigenen Fachzeitschriften und Fachbuchreihen veröffentlicht werden. Die theologische Fachbibliothek gilt auch landesweit als hervorragend. Einzigartig unter den theologischen Hochschulen Ungarns ist zudem, dass die Ungarische Akademie der Wissenschaften eine Forschungsgruppe für Kirchengeschichte in der Einrichtung betreibt.
Dr. Tamás Véghseő, Rektor der Theologischen Hochschule in Nyíregyháza.
Übersetzung aus dem Ungarischen: Ferenc Laki.
Bild: Die griechisch-katholische Kathedrale von Hajdúdorog. (© Jojojoe, CC BY-SA 3.0)
Die griechisch-katholische Kirche ist nach der römisch-katholischen, der reformierten und der lutherischen Kirche die viertgrößte religiöse Gemeinschaft Ungarns und verfügt seit 2015 über die folgende amtliche Bezeichnung: Metropolitankirche sui iuris der Katholiken des byzantinischen Ritus in Ungarn. Seit den neuen ungarischen Staatsgrenzen von 1920 entwickelte sich die Kirche aus dem 1912 gegründeten Bistum Hajdúdorog und dem 1924 errichteten Apostolischen Exarchat Miskolc.
Diese katholische Gemeinschaft des byzantinischen Ritus mit einer charakteristisch ungarischen Identität entwickelte sich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Königreich Ungarn aus den Bistümern der altslawischen Liturgiesprache (Bistümer von Mukačevo und Prešov) und der rumänischen Liturgiesprache (Großerzbistum Făgăraș und Alba Iulia, Bistümer von Oradea Mare, Gherla und Lugoj). Geografisch gesehen ergab sich das Bedürfnis nach der liturgischen Verwendung der ungarischen Sprache in einigen griechisch-katholischen Gemeinschaften in den Komitaten Szabolcs, Szatmár, Bereg und Zemplén (annähernd das heutige Nordost-Ungarn), was sich ab dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in der Verbreitung von handschriftlichen liturgischen Übersetzungen in ungarischer Sprache zeigte. Die älteste erhalten gebliebene ungarische Übersetzung der Göttlichen Liturgie stammt von 1793.
Diese ungarisch-sprachigen unierten Gemeinschaften waren durch die Assimilation der im 17. und 18. Jahrhundert im Gebiet angesiedelten ruthenischen und, in geringerem Maße, rumänischen Bevölkerung entstanden. Dieser Vorgang der Assimilation hatte – vor allem in den südlichen Gebieten des Komitats Zemplén – eine eigenartige Erscheinung zur Folge: Nach einer Welle der Rekatholisierung seit den 1670er Jahren waren zahlreiche ungarische protestantische Gemeinschaften ohne Seelsorger geblieben. Die Gläubigen dieser Gemeinschaften wurden mit der Zeit von griechisch-katholischen Priestern versorgt und damit allmählich in die griechisch-katholische Kirche assimiliert. Aus sprachlicher und kultureller Sicht haben die ehemaligen Protestanten jedoch die Ruthenen assimiliert. Die griechisch-katholischen Gemeinschaften erlangten so die ungarische Sprache und Identität, während die altslawische Sprache zwar erhalten blieb, aber mit der Zeit nicht mehr verstanden wurde.
Das Bedürfnis nach der liturgischen Verwendung der ungarischen Sprache wurde ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – als Reaktion auf die Germanisierungsmaßnahmen Josephs II. – vom ungarischen nationalen Erwachen verstärkt, das die Erneuerung und Entwicklung der ungarischen Sprache zum wichtigsten nationalen Ziel erklärt hatte. Die ungarischen Griechisch-Katholischen bemühten sich seit den 1820er Jahren, den Fall der ungarischen liturgischen Sprache zu einer der wichtigsten Fragen der Nation zu machen. Diese Bemühungen wurden lange Zeit durch zwei Faktoren behindert. Erstens verband die ungarische Öffentlichkeit den byzantinischen Ritus mit Ruthenen, Rumänen und Serben, so dass er als unvereinbar mit der ungarischen Identität angesehen wurde. Diese Einstellung hat über eine lange Zeit zur Stigmatisierung der Griechisch-Katholischen beigetragen. Während sie für die liturgische Verwendung der ungarischen Sprache kämpften, wurden sie in der Öffentlichkeit als „Russen“ oder „Walachen“ abgestempelt. Zweitens wurde die liturgische Verwendung der ungarischen Sprache auch vom ungarischen Episkopat abgelehnt. Die Mitglieder des Episkopats befürchteten, dass die katholischen Gläubigen, angestachelt durch das Beispiel der ungarischen Griechisch-Katholischen, die Abschaffung der lateinischen Sprache und die Einführung der Nationalsprachen (also nicht nur bei den Ungarn, sondern auch bei anderen Völkern des Königreichs) verlangen würden.
Im Frühling 1868 formulierte die Bewegung der ungarischen Unierten unter der Leitung von Hajdúdorog, der bevölkerungsreichsten griechisch-katholischen Pfarrei Ungarns, erstmals ihre Ziele: Neben der Anerkennung der ungarischen Sprache in der Liturgie durch den Hl. Stuhl sollte auch ein griechisch-katholisches Bistum in Ungarn errichtet werden. Nach jahrzehntelangem Kampf und zahlreichen Misserfolgen (mehrmals verbot der Hl. Stuhl hat die liturgische Verwendung der ungarischen Sprache) wurde 1912 das Bistum Hajdúdorog errichtet, und zwar ausdrücklich für die Griechisch-Katholischen mit ungarischer Identität.
Die Errichtung des Bistums Hajdúdorog erfolgte in einer schwierigen innenpolitischen Lage und lief den kirchlichen Interessen letztlich zuwider. Der Hl. Stuhl gab in der Frage der liturgischen Sprache nicht nach und sah die griechische Sprache, die nationalitätenpolitisch als neutral galt, als neue liturgische Sprache des Bistums vor, die von den Priestern in drei Jahren erlernt werden sollte. Diese Vorgabe war – nicht nur wegen des mittlerweile ausgebrochenen Weltkriegs – völlig unrealistisch. Zu dieser Zeit fanden die Zeremonien in den griechisch-katholischen Gemeinschaften Ungarns bereits seit Jahrzehnten, in manchen Ortschaften sogar seit 100 Jahren, auf Ungarisch statt, und daran ließ sich nichts mehr ändern.
Zudem verfolgte die ungarische Regierung eigene politische Ziele: Von den Pfarreien, die dem neuen Bistum zugeordnet wurden, wurden zahlreiche ungarisch-sprachige ausgelassen, weil die Regierung es vermeiden wollte, dass die ruthenischen und rumänischen Mutterbistümer aus der Sicht der Nationalitäten völlig homogen wurden. Zu den 162 Pfarreien des Bistums Hajdúdorog zählten auch zahlreiche Pfarreien, die keine ungarische Identität hatten, sondern rumänisch waren. Die ungarische Regierung wollte damit erreichen, dass die Rechte der Griechisch-Katholischen mit ungarischer Identität in den Bistümern der rumänischen Bischöfe, die in der Vergangenheit hart gegen die Bewegung der ungarisch-sprachigen Unierten aufgetreten waren, respektiert wurden. Im Gegenzug beließ auch der Bischof von Hajdúdorog die seinem Bistum angeschlossenen Rumänen in ihren Rechten.
Die fragwürdigen politischen Ziele hinter der Errichtung des Bistums Hajdúdorog führten zu enormen Spannungen. Von deren Heftigkeit zeugt das Bombenattentat gegen István Miklósy, den ersten Bischof von Hajdúdorog, im Februar 1914, das von rumänischen Nationalisten verübt wurde.
Aufgrund der Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg verblieben fast ausschließlich Griechisch-Katholische mit ungarischer Identität im Land. Der Großteil der etwa 120‘000 ungarischen Unierten, die sich in den Nachbarstaaten widerfanden, hat entweder bei Beibehaltung seiner ungarischen Identität den Ritus oder die Konfession gewechselt oder wurde von der neuen Mehrheit assimiliert. Dennoch leben bis heute in der Slowakei, Ukraine und Rumänien noch etwa 40-50‘000 ungarische Griechisch-Katholische.
Der Hl. Stuhl hat 1924 aus 23 Pfarreien der Bistümer Prešov und Mukačevo, die nach dem Friedensvertrag von Trianon in Ungarn verblieben waren, ein Apostolisches Exarchat mit Altslawisch als Liturgiesprache errichtet. Ab den 1930er Jahren wurde jedoch die ungarische Sprache auch in den Pfarreien des Exarchats immer häufiger in der Liturgie verwendet – eine Praxis die schließlich während des Zweiten Vatikanischen Konzils legitimiert wurde (Göttliche Liturgie auf Ungarisch am 19. November 1965 im Petersdom in der Anwesenheit der Konzilsteilnehmer).
Die kommunistische Machtübernahme in Mittel- und Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg führte zum Verbot der griechisch-katholischen Kirchen. Ungarn war dabei jedoch eine Ausnahme, denn in dem Land gab es keine einheitliche und große Orthodoxie, in die die Griechisch-Katholischen hätten hineingezwungen werden können. So war es möglich, dass die ungarische griechisch-katholische Kirche offiziell weiterexistieren durfte.
Von den demographischen Auswirkungen der kommunistischen Industrialisierung waren auch die griechisch-katholischen Gemeinschaften betroffen. Ab den 1950er Jahren zogen Menschen aus der nordöstlichen Region des Landes massenhaft nach Budapest und Umgebung sowie in die Industriezentren West- und Südungarns. Auf diese Migrationsprozesse wurde durch Änderungen in der Kirchenverwaltung nach seelsorgerischem Ansatz erst verspätet reagiert. Der Hl. Stuhl dehnte die Gerichtsbarkeit des Bischofs von Hajdúdorog erst 1968 auf das ganze Land aus. Zu jener Zeit hatten allerdings bereits Zehntausende den Ritus oder die Konfession an ihrem neuen Wohnort gewechselt, weil sie keine griechisch-katholische seelsorgerische Betreuung finden konnten. Trotzdem entstanden bis zur politischen Wende 1989 starke griechisch-katholische „Diaspora-Gemeinschaften“ außerhalb der traditionellen griechisch-katholischen Gebiete. Heute lebt bereits ein Drittel der etwa 250-280‘000 griechisch-katholischen Gläubigen in der „Diaspora“.
Die 2010er Jahre führten zu bedeutenden Veränderungen im Leben der Griechisch-Katholischen. Infolge der Politik der Orbán-Regierung zur Förderung des gesellschaftlichen Engagements der Kirchen konnten auch die Griechisch-Katholischen ihr Bildung- und Sozialsystem beträchtlich erweiterten. Zwischen 2010 und 2017 hat sich die Zahl der griechisch-katholischen Kindertageseinrichtungen sowie Grund- und Mittelschulen verfünffacht. Die griechisch-katholische Kirche betreibt einen bedeutenden Hilfsdienst, ein Kinderschutzsystem und eine Altersversorgung. Die bereits in den 1940er Jahren gestartete Roma-Pastoral hat durch die „Begabtenförderungsinitiative für Roma“ [Roma Szakkollégiumok] neuen Schwung erhalten. Das neue System des Religionsunterrichts hat der katechetischen Tätigkeit der griechisch-katholischen Kirche neue Möglichkeiten eröffnet.
Der Hl. Stuhl hat diese Initiativen durch Entwicklungsmaßnahmen in der Kirchenverwaltung unterstützt. Das Apostolische Exarchat Miskolc wurde 2011 um 29 Pfarreien des Bistums Hajdúdorog erweitert und hat in der Person von Dr. Atanáz Orosz einen eigenen Bischof-Exarchen erhalten (zwischen 1945 und 2011 hatte der jeweilige Bischof von Hajdúdorog das Exarchat geleitet).
Am 19. März 2015 ordnete Papst Franziskus eine Neuordnung der kirchlichen Strukturen an: Durch die Apostolische Konstitution „In hac suprema“ verfügte der Papst die Gründung einer Metropolitankirche sui iuris für die Katholiken des byzantinischen Ritus in Ungarn. Die Apostolische Konstitution „De spiritali itinere“ erhob das Bistum Hajdúdorog in den Rang einer Erzeparchie. Das Exarchat Miskolc wurde durch die Apostolische Konstitution „Qui successimus“ in den Rang einer Eparchie erhoben. Zudem wurde durch die Apostolische Konstitution „Ad aptius consulendum“ die Eparchie Nyíregyháza gegründet. Am selben Tag ernannte Papst Franziskus Fülöp Kocsis, den Bischof von Hajdúdorog, zum Erzbischof-Metropoliten.
Gab es eine Latinisierung der griechisch-katholischen Kirche in Ungarn, und wie gestaltet sich die Situation heute?
Ab den 1930er Jahren verbreitete sich in kirchlichen Kreisen der Ausdruck „graecorum latinissimi“, d. h. die „lateinischsten unter den Griechen“, für Griechisch-Katholischen in Ungarn. Dieser nicht gerade schmeichelhafte Ausdruck entsprach jedoch bereits zu jener Zeit nicht der Wahrheit und ist seit den 1990er Jahren vollkommen inakzeptabel. Als die griechisch-katholischen Kirchen in den umliegenden Ländern nach dem Fall des Kommunismus ihre Freiheit wiedererlangten, haben sie die liturgischen Traditionen der Ära vor ihrem Verbot wieder zum Leben erweckt. Unter den ungarischen Unierten begann die auch vom Zweiten Vatikanischen Konzil geforderte Rückkehr zur authentischen byzantinischen Tradition jedoch bereits Ende der 1970er Jahre. Es war ein äußerst langwieriger Prozess, aber er zeigte sich in der Änderung des Priestergewands (die lateinische Soutane wurde durch eine mit griechischem Schnitt abgelöst) sowie im Weglassen einiger zeremoniellen Elemente (eucharistische Anbetung, Rosenkranz) und in der Wiederbelegung uralter byzantinischer Zeremonien (Paraklese, Akathistos).
Der Rückkehrprozess zur authentischen byzantinischen Tradition beschleunigte sich nach 2008, als der Ordenspriester Fülöp Kocsis zum Bischof von Hajdúdorog ernannt wurde. Sein Ziel ist es, das liturgische Leben der griechisch-katholischen Kirche im Sinne der 1996 veröffentlichten liturgischen Instruktion des Hl. Stuhls zu erneuern. Er findet dabei Unterstützung durch Atanáz Orosz, seit 2011 Bischof von Miskolc, und Ábel Szocska, der 2018 zum Bischof von Nyíregyháza ernannt wurde.
Dabei muss gesagt werden, dass die Bemühungen der drei Bischöfe zur Erneuerung des liturgischen Lebens auf harten Widerstand sowohl des Klerus als auch der Gläubigen trafen. Dies ergibt sich aus der Schwierigkeit bei der Definierung einer „authentischen östlichen Tradition“. Für viele gilt die liturgische Praxis vergangener Jahrzehnte als eine Art ungarische griechisch-katholische Tradition, die bestimmte Maßnahmen als Neuerungen erscheinen lässt. Ein gutes Beispiel dafür ist der Versuch zur Wiederherstellung der Einheit der einführenden Sakramente (Taufe, Firmung, Eucharistie). Den Vorfahren der heutigen ungarischen Griechisch-Katholischen hatte der Bischof von Eger Mitte des 18. Jahrhunderts verboten, den Kleinkindern das Sakrament der Eucharistie zusammen mit der Taufe und der Firmung zu spenden. Aus dem Verbot wurde eine gängige Praxis, die durch die Einführung der Erstkommunion im 20. Jahrhundert festgeschrieben wurde. Die Wiederbelebung der uralten und authentischen Tradition verstößt also gegen eine andere Tradition, die ebenfalls als uralt und authentisch angesehen wird.
Die Griechisch-Katholischen haben eine eigene Theologische Hochschule in Nyiregyháza. Was sind deren Schwerpunkte?
Die in Nyíregyháza tätige Theologische Hochschule und das Priesterseminar Heiliger Athanasius wurden 1950, also mitten in der größten Kirchenverfolgung, von Bischof Miklós Dudás gegründet. Zu jener Zeit wurden die katholischen Einrichtungen von den kommunistischen Behörden sukzessive geschlossen, deswegen mag die behördliche Genehmigung zur Gründung einer neuen griechisch-katholischen Hochschule auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen. Vor dem Hintergrund des historischen Kontexts gibt es jedoch eine logische Erklärung: 1950 waren die Kommunisten noch bemüht, die ungarischen Griechisch-Katholischen von der katholischen Kirche abzutrennen und in eine neu zu schaffende einheitliche orthodoxe Kirche hineinzuzwängen. Zu jener Zeit lebten die griechisch-katholischen Seminaristen im Zentralseminar von Budapest zusammen mit den römisch-katholischen Seminaristen. Als der Bischof von Hajdúdorog verkündete, dass die Bildung der griechisch-katholischen Seminaristen an seinen eigenen Sitz verlegt werde, spielte er den kommunistischen Behörden ungewollt in die Hände, denn damit wurden die zukünftigen Priester dem katholischen Einfluss entzogen. Die Kommunisten waren zudem glücklich darüber, dass das neue Priesterseminar im Gebäude des Bistums, einem geschlossenen ehemaligen Mietshaus untergebracht werden sollte. Diese Lösung war für die kommunistischen Behörden unter dem Blickwinkel der Beobachtung, Abhörung und strikten Kontrolle optimal.
Die Theologische Hochschule und das Priesterseminar durften bis 1990 nur dem Anliegen der griechisch-katholischen Priesterausbildung dienen. Nach der Wende wurde das Bildungsangebot durch die Fachrichtungen Religionslehrer und Kantor erweitert. Die Hochschule ist seit 1995 eine affiliierte und seit 2006 eine aggregierte Einrichtung des Päpstlichen Orientalischen Instituts, die neben dem Bakkalaureat der Theologie auch zur Lizenziatsausbildung in östlicher Theologie berechtigt ist.
Die Hochschule ist seit 2003 in einem modernen neuen Gebäude – vom Priesterseminar organisatorisch abgetrennt – als eine staatliche anerkannte Hochschuleinrichtung tätig. Sie verfolgt neben der Bildung auch eine bedeutende wissenschaftliche Tätigkeit, deren Ergebnisse in eigenen Fachzeitschriften und Fachbuchreihen veröffentlicht werden. Die theologische Fachbibliothek gilt auch landesweit als hervorragend. Einzigartig unter den theologischen Hochschulen Ungarns ist zudem, dass die Ungarische Akademie der Wissenschaften eine Forschungsgruppe für Kirchengeschichte in der Einrichtung betreibt.
Dr. Tamás Véghseő, Rektor der Theologischen Hochschule in Nyíregyháza.
Übersetzung aus dem Ungarischen: Ferenc Laki.
Bild: Die griechisch-katholische Kathedrale von Hajdúdorog. (© Jojojoe, CC BY-SA 3.0)