Hoffnung auf Beginn eines Vereinigungsprozesses
Interview mit Andriy Dudchenko
Sie haben am informellen Treffen von Geistlichen der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) und der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) am 5. Juli teilgenommen. Worüber haben Sie gesprochen?
Zu Beginn des Treffens wurde vorgeschlagen, dass wir hauptsächlich darüber sprechen, was wir gemeinsam haben. Es ist klar, dass wir viel mehr Gemeinsames als Trennendes haben. Wir haben folgende Gemeinsamkeiten entdeckt: Erstens waren wir uns einig, dass wir einen gemeinsamen Glauben teilen sowie theologische, liturgische und kanonische Traditionen. Dann haben wir eine gemeinsame Geschichte, aber in einigen Punkten unterscheiden wir uns in der Beurteilung bestimmter Ereignisse der Geschichte. In dieser Hinsicht müssen wir an einer gemeinsamen Sicht auf die Geschichte arbeiten. Wir sind uns einig im Verständnis der destruktiven Position des Moskauer Patriarchats, das den Krieg gegen die Ukraine klar unterstützt.
Wir haben außerdem viele gemeinsame Probleme in unseren kirchlichen Jurisdiktionen. Der Hauptgrund dafür ist, dass wir alle Absolventen der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) sind. Wir alle spüren den Mangel an Bildung bei den Geistlichen und im Episkopat. Für unsere Kirchen ist eine „Byzantinischheit“ im Sinne einer Überbetonung von Ritualen sowie Attributen von Macht und Autorität charakteristisch. Es wurde auch ausgedrückt, dass wir im Verhältnis zueinander von „feindseliger Sprache“ absehen sollten.
Vorgeschlagen wurde zudem, die beschämende und unkanonische Praxis der Wiedertaufe von Gläubigen aufzugeben, die von der OKU zur UOK wechseln. Die anwesenden Priester der UOK erklärten sich bereit, persönlich die Sakramente der OKU anzuerkennen. Ein nächster Schritt könnte eine offene Erklärung sein, dass die gläubigen Laien die Kirchen frei besuchen und an den Gottesdiensten beider Jurisdiktionen teilnehmen können. Dafür gibt es auf der Seite der OKU keine Hindernisse. Wir sind offen für Kommunikation, Kooperation und gemeinsames Gebet.
War nahm am Treffen teil, und wie war die Stimmung?
Es waren 21 Vertreter, ungefähr gleich viele von der OKU wie von der UOK. Wir wurden mit einer sehr kurzen und ermutigenden Ansprache von Oleksandr Tkachenko, dem Minister für Kultur und Informationspolitik der Ukraine begrüßt. Olena Bohdan, Leiterin des Staatsdienstes der Ukraine für ethnische Fragen und Gewissensfreiheit, moderierte die Diskussion, die mehr als drei Stunden dauerte. Wir einigten uns, der Chatham-House-Regel[1] zu folgen. Es war eine angenehme und freundliche Stimmung und eine offene Diskussion. Die Priester beider hatten das Gefühl, dass wir alle wirklich Christi Kirche in der Ukraine sein wollen.
Wie könnte der Weg die beiden Kirche weitergehen?
Im gemeinsamen Dokument, das wir direkt nach dem Treffen verabschiedeten, drücken wir unsere Hoffnung aus, dass ein Dialog, begonnen von den Geistlichen beider Jurisdiktionen, der Beginn eines Vereinigungsprozesses (nicht zwingend in einer Jurisdiktion) werden kann, dem sich beide Kirchengemeinschaften, die Geistlichen und alle, denen an der Zukunft der Spiritualität der Menschen in der Ukraine liegt, anschließen werden. Wir riefen außerdem die Hierarchen auf, vor dem Tag der Taufe der Kiewer Rus‘ einen offiziellen Dialog zwischen der UOK und OKU zu beginnen. Nun sehen wir, dass ein solcher Dialog noch nicht angefangen hat. Aber das heißt nicht, dass er nicht in nächster Zukunft begonnen werden kann. Er hängt nur vom guten Willen der Kirchenleute ab.
Wie beeinflusst die kürzlich erfolgte, weitere Distanzierung der UOK vom Moskauer Patriarchat die zwischenkirchlichen Beziehungen? Was sind die Perspektiven für eine künftige Koexistenz oder Kooperation?
Zurzeit ist das praktische Resultat des letzten Konzils der UOK, an dem die Distanzierung vom Moskauer Patriarchat verkündet wurde, dass der Prozess des Wechsels von Gemeinden der UOK zur OKU sich verlangsamt hat, auch wenn er nicht zum Stillstand gekommen ist. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass einer der Priester der UOK, die an unserem Treffen teilgenommen hatten, sich zwei Wochen später der OKU anschloss. Es gibt immer noch gute Gründe, die UOK als Teil des Moskauer Patriarchats zu betrachten. Wie nun klar wurde, hat das Konzil tatsächlich alle Erwähnungen der Abhängigkeit der UOK von der ROK aus ihrem Statut entfernt, außer einer. In Abschnitt I.1 des Statuts ist ein Bezug zum Tomos von Patriarch Alexij II. von Moskau vom 27. Oktober 1990 aufgetaucht. In diesem Tomos ist klar dargelegt, dass die UOK ein integraler Teil der ROK ist. Zudem erfordert die neue Version des Statuts aus Sicht der ROK eine Bestätigung von Patriarch Kirill. Nach dem Konzil annektierte die ROK die Eparchien der UOK auf der Krim und zeigt damit, dass sie die sog. „breite Autonomie“ der UOK nicht wirklich akzeptiert.
Mir scheint, die Position der UOK ist nun ziemlich ähnlich wie die Position der Russischen Orthodoxen Kirche außerhalb Russlands (Russische Auslandskirche) vor 2007. Diese Jurisdiktion verkündete weder formell ihre Autokephalie noch war sie als autokephale Kirche anerkannt und suchte diese Anerkennung auch nicht, doch verhielt sie sich in der Praxis wie eine autokephale Kirche.
Die Entscheidungen des jüngsten UOK-Konzils können in der Praxis für bestimmte lokale Priester in der Ukraine hilfreich sein, die sich wirklich so weit wie möglich von der erstickenden Umarmung der „Russischen Welt“ distanzieren wollen, aber nicht mutig genug sind, sich der OKU anzuschließen. Nicht weil sie keine Patrioten sind oder nicht in einer kanonischen autokephalen ukrainischen Kirche sein wollen, sondern wegen des Stereotyps, dass alle ukrainischen Kirchenstrukturen außerhalb der UOK würdelose Schismen seien, das während Jahrzehnten gebildet wurde. Diesen Irrglauben haben die Priester aufgenommen, er ist Teil ihres Weltbilds geworden und manchmal sogar ihrer Identität. Aber das könnte sich radikal ändern, wenn Metropolit Onufrij (Berezovskij), das Oberhaupt der UOK, in einen Dialog mit dem Leiter der OKU, Metropolit Epifanij (Dumenko), eintreten würde, da Onufrij innerhalb der UOK großes Ansehen genießt.
Andriy Dudchenko, Erzpriester der Orthodoxen Kirche der Ukraine.
Übersetzung aus dem Englischen: Natalija Zenger.
Bild: Die Sophienkathedrale in Kyjiw, in der das Treffen stattfand. (© Haidamac, CC BY-SA 4.0)
[1] Entsprechend der Chatham-House-Regel dürfen Teilnehmende einer Diskussion die dort erhaltenen Informationen nutzen, dürfen aber weder die Identität oder Zugehörigkeit des Sprechers offenlegen.