Neue Dynamik im moldauischen Kirchenkonflikt
Interview mit Mihai-D. Grigore
Neue Dynamik im moldauischen Kirchenkonflikt
Die Moldauische Orthodoxe Kirche (MolOK), die zum Moskauer Patriarchat gehört, hat jüngst einen Wechsel zum Bukarester Patriarchat abgelehnt. Gleichzeitig hat deren Oberhaupt, Metropolit Vladimir (Cantarian) von Chişinau, Patriarch Kirill wegen mangelnder Unterstützung kritisiert. Wie wird die MolOK heute in der Republik Moldau wahrgenommen?
In der Republik Moldau existieren gegenwärtig zwei orthodoxe Kirchen. Die erwähnte Moldauische Orthodoxe Kirche (MolOK) unter der Leitung von Metropolit Vladimir (Moskauer Patriarchat) und die Bessarabische Metropolie unter Metropolit Petru (Păduraru), die zur Rumänischen Orthodoxen Kirche (RumOK) gehört Die beiden Kirchenorganisationen befinden sich in einem Konkurrenzverhältnis. Zahlenmäßig ist die MolOK die größte orthodoxe Kirche im Land, was bedeutet, dass sie mit den Visionen und Vorstellungen der meisten Orthodoxen im Land verbunden ist.
Angesichts des Ukraine-Kriegs verändert sich jedoch die Situation. Die MolOK zeigt, dass sie anpassungsfähig ist. Die MolOK, die eine autonome Kirche innerhalb des Moskauer Patriarchats ist, hat im Kontext der russischen Bedrohung erkannt, dass die Bevölkerung von der russischen Aggression verunsichert und verängstigt ist. Nachdem Versuche der von Russland finanzierten und nun verbotenen Partei Șor gescheitert sind, durch Straßenproteste im März 2023 die Republik Moldau zu destabilisieren und wieder auf einen pro-russischen Kurs zu führen, macht sich auch im religiösen Bereich der MolOK ein Umdenken bemerkbar.
Grundsätzlich war die MolOK und insbesondere Metropolit Vladimir absolut pro-russisch und anti-westlich orientiert. Dies wurde von einem Großteil der Bevölkerung mitgetragen, da viele Moldauer bis 2014 bzw. 2022 der Überzeugung waren, dass sich die Republik Moldau als neutraler Staat verhalten soll, also weder an Europa noch an Russland orientiert. Die „Neutralität“ gründete vor allem auf der Annahme, dass die Moldauer ein eigenes Volk mit eigener Sprache, Kultur und Geschichte darstellten, die von nationalistischen Versuchen Rumäniens bedroht würden, sich der Republik Moldau kulturell oder politisch zu bemächtigen. Diesen Diskurs der – im Grunde genommenen – russischen Propaganda hat die MolOK seit 1992 auch bedient.
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs findet nun jedoch ein Umdenken bei den Moldauern statt. Die Menschen wollen nicht mehr unter der Energie-Erpressung Russlands leiden, sie wollen frei in Europa reisen und arbeiten können, sie haben Angst vor einer militärischen Intervention Russlands durch das Einfallstor Transnistrien. Daher ist es verständlich, dass die MolOK, die ihre Verbindung zu den Menschen nicht verlieren möchte, ebenfalls gewisse Kritik an Moskau äußert, die jedoch nicht ernst zu nehmen ist. Nachdem Metropolit Vladimir das Moskauer Patriarchat kritisiert hatte, ist er kurz darauf nach Moskau geflogen, um sich mit Patriarch Kirill zu treffen. Nach seiner Rückkehr war von Kritik nicht mehr viel zu hören, und der Hl. Synod der MolOK entschied, jegliche Annäherungsversuche zur RumOK abzubrechen.
Über 50 Geistliche sollen die MolOK verlassen und sich der Bessarabischen Metropolie angeschlossen haben. Gibt es eine breite Bewegung orthodoxer Gläubiger und Geistlicher zur Bessarabischen Metropolie?
Ob wir es mit einem temporären Phänomen oder einer langfristigen Entwicklung zu tun haben, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Die Reaktion von Metropolit Vladimir zeigt auf jeden Fall die Besorgnis der MolOK gegenüber den jüngsten Entwicklungen. So richtete sich die Kritik von Metropolit Vladimir nicht etwa gegen Kirills Unterstützung des Krieges in der Ukraine oder gegen die neo-zaristischen Tendenzen der Russischen Orthodoxen Kirche. Metropolit Vladimir beklagte lediglich die Untätigkeit Kirills angesichts der Versuche Rumäniens in Allianz mit den westlichen Mächten, die MolOK zu zerstören und so die moldauische Orthodoxie der rumänischen Orthodoxie einzuverleiben. Mithin ein klassisch antiwestlicher Diskurs, der von der Idee der „Russischen Welt“ animiert ist. Diese Kritik Vladimirs hatte einen berechtigten Grund: Nachdem der Priester Vetcislav Cazacu am 8. November seinen Übertritt zur Metropolie von Bessarabien verkündet hatte, folgten kurz darauf 13 weitere Gemeinden diesem Schritt. Einer dieser Priester, Andrei Oistric, sprach von einem Trend unter den Gemeinden, die MolOK zu verlassen und sich der Metropolie von Bessarabien und somit der RumOK anzuschließen. Als Gründe wurden neben Ämterkauf und Korruption der MolOK auch ihre teilweise offene Unterstützung des russischen Angriffs auf die Ukraine genannt.
Metropolit Vladimir hat die abtrünnigen Priester verstoßen und er will für die betreffenden Gemeinden neue Priester weihen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Gläubigen dazu verhalten. Es ist anzunehmen, dass die Gläubigen ihre bisherigen Priester weiterhin unterstützen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Priester einen derart fundamentalen Schritt ohne Absprache mit ihren Gläubigen unternommen hätten. Manche Priester stehen schon seit mehreren Dekaden ihren Gemeinden vor, was eine unauflösliche Bindung schafft.
Ich möchte noch auf eine weitere Strömung innerhalb der MolOk aufmerksam machen: Es gibt auch eine Fraktion um den Priester Pavel Borșevschi, die weiterhin unter der seelsorglichen Leitung von Metropolit Vladimir bleiben wollen, aber auf keinen Fall unter der Jurisdiktion des Moskauers Patriarchats. Daher drängen sie den Metropoliten, dass er mit der gesamten MolOK zum Rumänischen Patriarchat übertritt.
Wie reagiert die Regierung der Republik Moldau auf den kirchlichen Konflikt?
Die pro-europäische Regierung der Republik Moldau ist dem Trend des Übertritts von Klerikern zur RumOK nicht abgeneigt. Das zeigt sie allerdings nur indirekt. Offiziell hält sich die Regierung von jeglicher Einmischung in kirchliche Angelegenheiten zurück. In der Zurückhaltung der Regierung ist jedoch viel zu sehen: Erstens zeigt sie dadurch, dass sie der Trennung von Staat und Kirche verpflichtet ist und kritisiert somit indirekt die Situation der Russischen Orthodoxen Kirche, die der politischen Agenda Putins zuarbeitet. Die Republik Moldau wird zweitens von pro-europäischen und pro-rumänischen Kräften regiert, wofür insbesondere die Präsidentin Maia Sandu steht, die in Rumänien studiert hat, die rumänische Staatsbürgerschaft besitzt und einen eindeutigen politischen pro-europäischen und pro-rumänischen Kurs eingeschlagen hat. Dass sich die Regierung der Republik Moldau nicht in den kirchlichen Konflikt einmischt, der offensichtlich zugunsten der RumOK verläuft, ist eine stillschweigende Form der Unterstützung von Übertritten zur Bessarabischen Metropolie. Drittens haben die meisten Anführer der „Übertrittsbewegung“ enge Kontakte nach Rumänien, viele von ihnen haben dort nicht nur studiert, sondern auch die gymnasiale Oberstufe absolviert. Sie sind also kulturell rumänisch sozialisiert. Diesen Trend der rumänischen „Inkulturation“ unterstützt die aktuelle moldauische Regierung, indem sie weitere kulturelle Programme und Partnerschaften mit Rumänien, insbesondere für Kinder und Jugendliche, implementiert.
Unterstützung erhält die Bessarabische Metropolie auch vom rumänischen Staat. Wie reagieren Politik und Kirche in Rumänien auf den kirchlichen Konflikt im Nachbarland?
Die RumOK betont die Freiheit des moldauischen Klerus, sich der Kirche anzuschließen, unter deren Jurisdiktion er stehen möchte. In diesem Sinne hat die Metropolie von Bessarabien in einem Statement auch die rumänischen Gemeinden in der Ukraine, die unter Moskauer Jurisdiktion stehen, aufgefordert, sich der Metropolie anzuschließen. Außerdem hat die Metropolie erklärt, dass die Löhne der übergetretenen Priester den Priesterlöhnen in Rumänien tariflich angeglichen werden, was natürlich einen zusätzlichen Anreiz darstellt.
Die politische Führung Rumäniens agiert auf subtile Art und Weise und unterstützt alle Formen der Annäherung – auch die kirchliche – der Republik Moldau an Rumänien. Um die Republik Moldau aus der russischen Einflusssphäre zu lösen, hat die rumänische Regierung mehrere Maßnahmen ergriffen: Erstens hat sie das Einbürgerungsverfahrung erleichtert. Ursprünglich konnte man die Einbürgerungsprozedur nur in Bukarest durchmachen, dann auch in der moldauischen Hauptstadt Chişinău. Nun kann man in allen großen moldauischen Städten einen rumänischen Pass beantragen. Zweitens bekommt die von Energie-Knappheit bedrohte moldauische Bevölkerung und Industrie Gas und Strom zu bevorzugten Preisen (oder gar kostenfrei) aus Rumänien. Drittens werden die Kulturbeziehungen intensiviert. Dieses Jahr hat das moldauische Parlament einen Meilenstein der „Rumänisierung“ der Republik Moldau beschlossen, indem es das Rumänische zur offiziellen Landessprache erklärt hat. Viertens durch Wirtschaft und Infrastruktur: Über den Grenzfluss Pruth werden neue Brücken gebaut, außerdem wird auch über eine Erweiterung des rumänischen Autobahnnetzes in die Republik Moldau nachgedacht. Im September 2023 kündigte der rumänische Ministerpräsident Marcel Ciolacu an, dass Rumänien den moldauischen Hafen von Giurgiuleşti kauft, um die Stellung der Hafenstadt Constanța, über den nun auch der ukrainische Getreideexport läuft, am Schwarzen Meer auszubauen. Giurgiuleşti ist strategisch an der Donau gelegen, an der Grenze von Moldau, Rumänien und der Ukraine.
Mihai-D. Grigore, PD Dr., Kirchenhistoriker und Religionswissenschaftler mit einem Schwerpunkt auf der Religionsgeschichte Osteuropas, Assoziierter Wissenschaftler der Gerda Henkel Stiftung am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz.