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Kirchen als Brückenbauer in der polarisierten slowakischen Gesellschaft?

31. Mai 2024

Interview mit Jozef Žuffa

Am 15. Mai haben die scheidende slowakische Präsidentin Zuzana Čaputová und ihr gewählter Nachfolger Peter Pelligrini Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften in den Präsidentenpalais eingeladen, um gemeinsam zu beraten, wie den gesellschaftlichen Spannungen im Land nach dem Attentat auf Ministerpräsident Fico entgegengewirkt werden kann. Was sind die Ergebnisse des Treffens?
Globale Trends zeigen eine zunehmende Polarisierung von Gesellschaften, und dieser Trend ist in Mittel- und Osteuropa besonders stark ausgeprägt. Die sog. Kulturkriege betreffen verschiedene Themen, von der Aufnahme von Flüchtlingen bis hin zu inklusiven Ansätzen gegenüber nicht-heterosexuellen Personen, und tangieren auch unterschiedliche Interpretationen nationaler Identität und geopolitischer Ausrichtung. Die Entwicklungen in der Slowakei, die Teil dieser Region ist, werden von mehreren bedeutenden Ereignissen beeinflusst. Vor sechs Jahren erschütterte der Mord an dem Journalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten das Land, vor zwei Jahren der Mord an zwei jungen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, und aktuell das Attentat auf den Ministerpräsident Robert Fico. Insebsondere der Anschlag auf den Ministerpräsidenten führt die Slowakei auf unbekanntes Terrain. Es ist noch zu früh, um die Auswirkungen dieses Ereignisses auf die zunehmend polarisierte Gesellschaft zu beurteilen.

Die amtierende Präsidentin Zuzana Čaputová und der neugewählte Nachfolger Peter Pelligrini versuchten ein gemeinsames Zeichen zu setzen, indem sie politische Anführer der verschiedenen Parteien in den Präsidentenpalast einluden, um die Situation zu beruhigen. Dieses Treffen konnte jedoch nicht realisiert werden. Einige Tage später folgten jedoch Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften der Einladung von Čaputová und Pelligrini zu einem Treffen. Dabei betonte die Präsidentin, dass Kirchen und religiöse Gemeinschaften eine Schlüsselrolle bei der Minderung gesellschaftlicher Spannungen spielen. Ihr gewählter Nachfolger hob hervor, dass die Kirchenvertreter trotz ihrer Unterschiede in entscheidenden Situationen vereint auftreten können. Das Treffen hatte vor allem symbolischen Charakter und demonstrierte die Bereitschaft von Kirchen und Staat, in der schwierigen Situation nach dem beispiellosen Angriff auf den Ministerpräsidenten zusammenzuarbeiten, um den gesellschaftlichen Frieden und die Stabilität zu erhalten. Die teilnehmenden Kirchen und Religionsgemeinschaften unterstrichen ihre zentrale Rolle bei der Minderung gesellschaftlicher Konflikte. Trotz ihrer Vielfalt konnten sie eine einheitliche Haltung und den Willen zur Beruhigung der Lage präsentieren.

Spiegeln sich die gesellschaftlichen Spannungen auch in den Kirchen und Religionsgemeinschaften?
Die Kirchen sind nicht von den Polarisierungstendenzen ausgenommen. Um dies besser zu verstehen, lassen sich einige Beispiele aus der römisch-katholischen Kirche anführen, die in der Slowakei starke historische Wurzeln hat und zu der sich laut der letzten Volkszählung von 2021 mehr als die Hälfte der Bevölkerung (56 Prozent) bekennt. In den letzten Jahren hat sich die katholische Kirche stark in Fragen des Lebensschutzes und der Familienpolitik engagiert, beispielsweise durch die Unterstützung von „Märschen für das Leben“ gegen Abtreibungen. Diese Märsche finden oft in zeitlicher Nähe von Pride-Paraden statt, was die ideologische Kluft zwischen konservativen und liberalen Kreisen deutlich macht. Auch in diesem Jahr wird die katholische Kirche Mitveranstalter des Marsches für das Leben in Košice sein.

Bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen spielte eine bekannte katholische Priesterpersönlichkeit, die ein Influencer ist, eine bedeutende Rolle. Ein Video von ihm, das fast eine Million Aufrufe erzielte, griff in die kulturell-ethische Debatte ein und überzeugte viele Wähler davon, dass der gewählte Kandidat „auf der Seite des Friedens und gegen den Liberalismus“ stehen sollte. In ähnlicher Weise mischte sich vor fünf Jahren ein katholischer Bischof in die öffentliche Debatte während der Präsidentschaftswahlen ein, als er erklärte, dass eine Unterstützung der damaligen Kandidatin Čaputová aufgrund ihrer Ansichten zu Abtreibungen und Adoptionen durch homosexuelle Paare eine schwere Sünde sei. Problematisch wird es, wenn die Kirchenstruktur keine klaren Positionen zu solchen Äußerungen einzelner Vertreter einnimmt.

Innerhalb der Vielfalt der öffentlichen Stimme der Kirche wird vor allem das konservative Spektrum abgedeckt, und es ist bisher nicht gelungen, einen breit wahrgenommenen Raum zu schaffen, der auch Stimmen für offenere und inklusivere Ansätze vereint. Solche Gruppen gläubiger Menschen existieren, sind aber in den Kirchenstrukturen oder an theologischen Fakultäten nicht hörbar vertreten, wo es abgesehen von wenigen Ausnahmen eine starke Selbstzensur und wenig Diskussionen über aktuelle theologische Strömungen gibt. Diese Situation führt dazu, dass sich gläubige Gruppen, die mit den konservativen Akzenten nicht einverstanden sind, nicht auf geistliche Führer stützen können, die eine offenere Seite der Kirche präsentieren.

Was können die Kirchen und Religionsgemeinschaften zum Abbau der gesellschaftlichen Spannungen leisten?
Die besten Antworten auf diese Frage liefern die Ergebnisse der synodalen Treffen innerhalb der katholischen Kirche, die im Mai an den Vatikan geschickt wurden. Trotz der überwiegend konservativen Haltung des slowakischen katholischen Umfelds bestätigt der Bericht die Bedeutung der Synodalität und die Notwendigkeit, Brücken zwischen den gespaltenen Gruppen zu bauen. Der Ruf nach mehr Respekt richtet sich in vielen katholischen Gemeinschaften nicht nur an die Zivilgesellschaft, sondern auch nach innen an die Kirche. Das Lernen von gegenseitigem Respekt und die Akzeptanz unterschiedlicher Meinungen erscheinen als Schlüssel zur Minderung von Spannungen. Die Kirchen haben großen Spielraum, um sichere Räume für Menschen mit unterschiedlichen Ansichten und Lebensgeschichten zu schaffen, in denen sie sich gehört und akzeptiert fühlen.

Meiner Ansicht nach wird das Potenzial zum Erlernen von Akzeptanz und Respekt vor Andersartigkeit noch nicht vollständig genutzt, was auf die Erfahrungen mit dem totalitären Regime zurückzuführen ist. Während der sozialistischen Zeit erwarben die Kirchen eine ausgeprägte Fähigkeit, gegen das politische Regime zu kämpfen. Auch mehr als dreißig Jahre später besteht die Herausforderung darin, diesen Kampfmodus gegenüber sich verändernden Feindbildern aufzugeben. Diese Feindbilder waren lange Zeit die freien Medien, später wurde es die „Gender-Ideologie“ oder der Liberalismus. Das Aufgeben des erlernten Kampfstils der Kirche wird nicht nur deklaratorische Aufrufe zur Versöhnung und eine Änderung der Sprache und Rhetorik erfordern, sondern auch eine Verschiebung des Schwerpunkts von einer lehrenden Mission hin zu einem begleitenden und verständnisvollen Ansatz in kirchlichen Gemeinschaften.

Jozef Žuffa, Doz. Dr. theol., Pastoraltheologe an der Theologischen Fakultät der Universität Trnava, Slowakei.

Bild: Die Brücke des Slowakischen Nationalaufstands in Bratislava verbindet den Stadtteil Petržalka mit der Altstadt. (Bild: Stefan Kube).