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Call for Papers: Pragmatik christlicher Heilshoffnung unter Bedingungen der Säkularität

Internationaler theologischer Workshop

3./4. Oktober 2019, Fribourg

In seinem theologischen Entwurf hat Edward Schillebeeckx OP (1914–2009) religiösem Sinn grundlegend an voraus liegenden säkularen bzw. vorreligiösen Sinn gebunden: »Der religiöse Sinn eines weltlichen Prozesses setzt einen menschlichen Sinn voraus; anders gesagt: Heilsgeschichte ist ein menschenbefreiendes Geschehen. Offenbarung setzt einen menschlich sinnvollen Prozeß voraus, ein Geschehen, das schon menschlich relevant ist, menschen-befreiend, ohne direkten Bezug auf Gott – ›etsi Deus non daretur‹.« (Schillebeeckx, Edward (1990): Menschen, Freiburg i.Br.: Herder, S. 29) Von diesem Grundgedanken her sucht Schillebeeckx die im Christentum überlieferten Sinndeutungen und Orientierungen für Glaubende in säkularen Gesellschaften und in säkularen Zeiten aktualisierend zu erschließen, nämlich den christlichen Überlieferungen auf Basis von menschlichen Erfahrungen und menschlicher Geschichte einen anschlussfähigen »Sinn zu geben«.

Diesen theologischen Grundansatz gilt es pragmatistisch zu wenden, so das Anliegen eines internationalen Forschungsverbundes aus unterschiedlichen theologischen Disziplinen: Sinndeutungen sind immer in Praxis eingebunden. Sie antworten auf situative Herausforderungen und haben ihre Bedeutung darin, diese Herausforderungen im Handeln zu bewältigen. Diese pragmatistische Annahme betrifft die beiden, von Schillebeeckx ausgezeichneten Ebenen von religiösem Sinn, also sowohl den mit allen anderen Akteuren gemeinsam geteilten »säkularen Sinn«, als auch den besonderen, den von Glaubenden angesprochenen »religiösen Sinn«. So gesehen, besteht auch religiöser Sinn als Moment menschlicher Praxis. Glaubensüberzeugungen erhalten Inhalt und Wahrheit darin, dass Glaubende mit ihren Sinndeutungen die sich ihnen im Handeln stellenden Herausforderungen bewältigen können – und sei es, dass sie bewältigen können, dass sie die ihnen stellenden Herausforderungen gerade nicht bewältigen können.

Auf den Glaubensvollzug ist die Theologie als ihren primären Gegenstand bezogen. In Reflexion christlicher Glaubenspraxis erschließt sie religiösen Sinn; so erkundet sie die Inhalte christlichen Glaubens über deren praktische Bedeutung und »verschafft« ihnen – ganz im Sinne von »disclosure« – Relevanz, Inhalt und Bedeutung.

Die Situationen von Glaubenden sind in den  Gegenwartsgesellschaften zumeist säkular bestimmt: Zur Bewältigung situativer Herausforderungen und in der Interaktion mit anderen stehen auch Glaubenden spezifisch religiöse Deutungs- und Beurteilungsschemata sowie spezifisch religiöse Symbolhandlungen nicht zur Verfügung; auch lässt es die im Handlungsfeld jeweils bestehende Rechtfertigungsordnung nicht zu, Handeln über religiöse Sinndeutungen mit dem Handeln anderer zu verknüpfen und es ihnen gegenüber zu rechtfertigen.

Wird menschliche Praxis unter Bedingungen der Säkularität gesehen, lässt sich für den von Schillebeeckx angesprochenen »menschlichen Sinn« gut vorstellen, dass er als Moment der gemeinsamen Praxis von Menschen »ent-« und »besteht«. Für den »religiösen Sinn aber, der aber – laut Schillebeeckx auf »menschlichen Sinn« immer und notwendig aufliegt, lässt sich dies nicht, zumindest nicht so gut vorstellen. In säkularen Situationen taugt »religiöser Sinn« gerade nicht dazu, eben diese Situationen zu bewältigen – taugt bestenfalls dafür, die Bewältigung für sich und andere zum Problem zu machen. Bei einer pragmatistischen Sicht der Dinge kann es unter den Bedingungen der Säkularität zwar »menschlichen Sinn«, nicht aber »religiösen Sinn« geben. Unter diesen Bedingungen drohen Glaubensinhalte auf säkularen Praxisfeldern bedeutungsleer zu werden. Oder ihre Bedeutung liegt dann jenseits der symbolisch angezeigten religiösen Inhalte, bedeutet also etwas anderes, als es ausweist, – und ist in diesem Sinne ideologisch.

Gegen diese Intuition wollen wir auf dem Workshop religiösen Sinn und d.h. genauer: die aus dem christlichen Traditionszusammenhang erschließbaren Sinndeutungen und Orientierungen als Moment des Praxisvollzugs in säkularen Handlungssituationen »aufklären«: Religiöse Sinndeutungen können etwas Bedeutsames und Relevantes über Handlungssituationen und darüber auch über die Welt aussagen, die Glaubende mit Nicht-Glaubenden gemeinsam und mit gemeinsam geteilten Sinn »haben« und so den Relevanzbezug religiös interpretierter Praxis her(aus)stellen; und sie sind darin (und nur darin) bedeutsam, dass sie Glaubenden dabei helfen, ihre (mit Nicht-Glaubenden) geteilten Situationen und die darin liegenden Herausforderungen zu bewältigen – und offenbaren genau darin ihre »Heilswahrheit«.

Zwei theologische Probleme sollen auf dem Workshop besonders aufmerksam bearbeitet werden:
• Wenn sich religiöse Sinndeutungen in säkularen Situationen bedeutsam und relevant machen lassen, betrifft dieser »religiöse Sinn« dann auch all diejenigen, mit denen Glaubende diese Situationen, nicht aber ihre besonderen religiösen Sinndeutungen teilen. In seinem Konzept der »anonymen Christen« hat Karl Rahner genau diese Ausweitung von »religiösem Sinn« konsequent begriffen – und ist darin wegen theologischer Übergriffigkeit kritisiert worden.
So stellt sich die Frage: Wie können Glaubende religiösen Sinn in mit Nicht-Glaubenden geteilten, daher säkularen Situationen auch auf den Praxisvollzug nicht-glaubender Mitakteure legen, ohne diese für die eigenen, dabei partikulare und in säkularen Situationen zudem nicht vorgesehenen Sinndeutungen einzugemeinden?
• Religiöse Sinndeutungen können in Praxiszusammenhängen genutzt werden, situativ unangemessene Bündnisse zu schmieden, Eigenes vom Fremden zu trennen und Gemeinsamkeiten über kollektive  Glaubensidentitäten zu schaffen. Religiöser Sinn liegt dann in der ideologienahen Vergemeinschaftung von Glaubenden und dem Ausschluss der ihnen Fremden und der Anderen – und nicht als besondere Sinndeutung auf den mit Fremden und Anderen geteilten menschlichen Sinn.
So stellt sich die Frage: Kann Theologie dazu beitragen, diesem Einsatz religiöser Sinndeutungen in säkularen Situationen, das »Othering«, die Vertretung »des christlichen Propriums« und die Organisation christlicher Identität abzuwehren?

Mit diesem Call werden Theolog!nnen aller theologischen Disziplinen, gerne auch interessierte Wissenschaftler!nnen anderer Fächer eingeladen, sich an einem internationalen Workshop im Oktober dieses Jahres in Fribourg (CH) mit einem Referat zu beteiligen. Beiträge können zum Beispiel
• von einem säkular bestimmten Praxisfeld ausgehen und die Pragmatik von Glaubensüberzeugungen auf diesem Feld erkunden,
• die pragmatische Bedeutung von Glaubensüberzeugungen in unterschiedlichen Praxisfeldern vergleichen,
• die pragmatistische Grundannahme aus den unterschiedlichen theologischen Disziplinen heraus plausibilisieren und deren Bedeutung für deren Gegenstände aufklären,
• die pragmatische Konstitution von Glaubensüberzeugungen im christlichen Traditionszusammenhang aufklären,
• die Rückwirkungen von »religiösem Sinn« aus säkularen Situationen auf spezifisch religiöse Praxisfelder und daher insbesondere auf die Bedeutungen religiöser Rituale erkunden.

Der Call richtet sich ausdrücklich an Nachwuchswissenschaftler!nnen, nicht zuletzt an diejenigen unter ihnen, die an einer Promotion oder einer Habilitation arbeiten. Der Beitrag kann, muss aber nicht im Zusammenhang mit einer Promotion oder Habilitation stehen.

An dem Workshop werden auch »etablierte« Theolog!nnen aus unterschiedlichen theologischen Disziplinen teilnehmen. Im kleinen Kreis werden die Referate – mit Wohlwollen, intellektueller Neugierde und hohem Ernst – diskutiert. Der Workshop wird durch die Universität Fribourg gefördert. So entsteht den ReferentInnen durch ihre Teilnahme keine Kosten. Die Tagung wird in deutscher Sprache gehalten. Englischsprachige Referate sind möglich.

Interessierte werden gebeten, unter eine kurze Skizze des geplanten Referats (ca. eine Seite) sowie ein kurzes Motivationsschreiben einzusenden, das wissenschaftliche Erfahrungen und Interessen in der Auseinandersetzung mit dem Veranstaltungsthema erkennen lässt. Frist für die Einreichung ist der 15.05.2019. Rückfragen bitte auch unter der genannten E-Mail-Adresse.

Die Veranstalter behalten sich vor, die eingesandten Referatsskizzen nach der sichtbaren Expertise und ihrer Relevanz für das ausgeschriebene Thema sowie mit Hinsicht auf die Kohärenz des Workshops zu sichten und die Referent!nnen auszuwählen. Die endgültige Einladung der Referent!nnen erfolgt Ende Mai.

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