Georgien: Gewaltbereite Demonstranten verhindern LGBTQI-Parade in Tbilisi
Nach gewaltsamen Protesten musste die Tbilisi Pride von den Organisatoren abgesagt werden. Hunderte Demonstrierende, darunter Priester der Georgischen Orthodoxen Kirche (GOK), waren gegen den für den 5. Juli geplanten Umzug durch die georgische Hauptstadt auf die Straße gegangen. Dabei kam es zu Angriffen auf Medienschaffende und Büros von LGBTQI-Organisationen. Über 50 Journalistinnen und Journalisten wurden verletzt. Ein Journalist erlag wenige Tage später seinen Verletzungen, die genauen Umstände seines Todes sollen nun untersucht werden.
Angesichts des Risikos für die die Teilnehmer*innen der Parade sagten die Veranstalter diese wenige Stunden vor dem Start ab. Die Organisatoren kritisierten die Regierung und die GOK, gewalttätige Gruppen ermutigt zu haben. Die „riesige Welle des Hasses“ werde „von der Regierung und der Polizei inspiriert und unterstützt“. Der georgische Ministerpräsident Irakli Garibashvili hatte am gleichen Tag erklärt, radikale Kräfte, angeführt von der Partei des früheren Präsidenten Mikheil Saakaschwili, stünden hinter der Parade, um „Unruhe“ zu schüren. Es sei unangemessen, die Pride durchzuführen, da sie zu Konfrontationen führen würde und „für einen großen Teil der georgischen Gesellschaft inakzeptabel ist“. Auch andere Vertreter der Regierungspartei schoben die Schuld auf die Organisatoren.
Die GOK veröffentlichte mehrere Statements zur Pride. In ihrer Erklärung vom 29. Juni kritisierte die Kirchenleitung, dass die Parade „Zeichen der Provokation und Konflikte mit gesellschaftlich anerkannten moralischen Normen“ beinhalte und darauf ziele, „schwere Sünde zu legalisieren“. Hass und Gewalt seien „inakzeptabel“, doch genauso unannehmbar sei, „stolz auf die eigene Sündhaftigkeit zu sein und andere zu beeinflussen.“ Außerdem rief die Kirche die Botschafter anderer Länder dazu auf, eine Unterstützung der Pride zu unterlassen. Darauf reagierte der deutsche Botschafter in Georgien, Hubert Knirsch, in einem offenen Brief an Metropolit Gerasime (Scharaschenidze), den Vertreter für Außenbeziehungen des georgischen Patriarchats, und wies auf die unterschiedlichen Aufgabenbereiche von Kirchen und Staat hin: „Wenn Kirche und Staat einander in ihren jeweiligen Sphären respektieren, dann können sie auch ihrer gemeinsamen Verantwortung für das Wohl der Menschen gerecht werden. […] Der demokratische Staat verlangt nicht von uns, dass wir unsere Mitmenschen lieben – er mutet uns aber immerhin zu, sie unversehrt zu lassen und den öffentlichen Raum mit ihnen zu teilen. Dabei sind wir manchmal auch für das mitverantwortlich, was andere tun. Keine unserer Äußerungen sollte von denjenigen benutzt werden können, die Entschuldigungen für Gewalt suchen.“
Die Kirchenleitung kritisierte diesen „drastischen Eingriff bestimmter Botschaften“, was ein „Missbrauch ihrer Autorität“ sowie unannehmbar für die Kirche und die Bürger sei. Die Organisatoren der Pride und die Botschafter rief die GOK auf, den Umzug abzusagen, um „Stabilität und den inneren Frieden im Land“ nicht zu gefährden. Nach den gewaltsamen Zwischenfällen am 5. Juli verurteilte die Kirchenleitung zwar die Gewalt und kündigte an, gegen Geistliche vorzugehen, falls diese tatsächlich zu Gewalt aufgerufen haben sollten. Zugleich wies sie darauf hin, dass die Pride eine „Propaganda eines nicht traditionellen Lebensstils war“. Trotz der Warnungen vor einer „scharfen Reaktion“ hätten die Botschaften die Meinung der Kirche und des Volks ignoriert. Verantwortlich für die Geschehnisse seien daher vor allem die Organisatoren der Tbilisi Pride, die „ohne Rücksicht auf die Realität im Land die Veranstaltung zuerst geplant und dann nicht verworfen haben“.
Im In- und Ausland stieß die Gewalt verbreitet auf Kritik, so verurteilten die georgische Präsidentin Salome Zurabischwili und der Bürgermeister von Tbilisi, Kakha Kaladze, entschieden die Zwischenfälle. Staatsanwältin Nino Lomjaria rügte den Ministerpräsidenten für seine Aussagen, die eine bereits angespannte Situation hätten eskalieren lassen. Mehrere lokale zivilgesellschaftliche Organisationen verurteilten die Gewalt ebenfalls und kritisierten die Regierung. 18 westliche Botschaften riefen in einem gemeinsamen Statement die georgische Regierung auf, das Recht der Menschen auf friedliche Versammlungen sicherzustellen. Sie verurteilten die Gewalt gegen zivilgesellschaftliche Akteure und Medienschaffende sowie das „Versagen“ der Regierung und religiösen Würdenträger, die Gewalt zu verurteilen.
Auch der „Rat der Religionen“ beim Ombudsmann von Georgien, dem unter anderem die Union der Muslime in Georgien, die Ev.-Luth. Kirche in Georgien, die röm.-kath. Kirche und die Baptisten angehören, verurteilte die Gewalt und sprach sich gegen eine Gesetzesinitiative zum Verbot der Beleidigung nationaler und religiöser Gefühle aus: „Wir, die Vertreter der Religionsgemeinschaften, lehnen die Verabschiedung eines solchen Gesetzes ab. Wir glauben, dass solch ein Gesetz, das die freie Meinungsäußerung in dieser Hinsicht einschränkt, schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklung unserer Gesellschaft haben wird.“
Verhaftungen im Zusammenhang mit den Gewaltausbrüchen gab es bisher nur wenige. Es wurden mehrere Untersuchungen wegen der Behinderung der journalistischen Arbeit und Gewalt, darunter die Angriffe auf die Büros zweier NGOs, eröffnet. Kritisiert wurde zudem, dass die Polizei nur zögerlich eingegriffen habe und den Angreifern oft zahlenmäßig unterlegen gewesen sei.
Am 6. Juli versammelten sich Tausende zu einem stillen Protest vor dem Parlament, um die Gewalt zu verurteilen und sich mit den verletzten Journalist*innen zu solidarisieren. Gegner versuchten die Kundgebung zu stören, wurden aber von der Polizei anfangs daran gehindert. Die Gegendemonstranten warfen Flaschen und Eier und griffen erneut Medienschaffende an. Nach einigen Stunden eskortierte die Polizei die Aktivist*innen vom Ort der Kundgebung weg und überließ den Gegnern das Feld. Diese rissen die EU-Flagge herunter, die vor dem Parlament hängt, und zündeten sie an.
Der Pride-Umzug wäre der erste Marsch zur Unterstützung der LGBTQI-Gemeinschaft in Georgien gewesen. 2019 war bereits ein Umzug in Tbilisi geplant gewesen, musste aber ebenfalls abgesagt werden. Die Polizei hatte es abgelehnt, die Veranstaltung zu schützen. Auch damals war es zu Gegenkundgebungen gewaltbereiter Gruppen gekommen. Im gleichen Jahr war auch ein Umzug anlässlich des Internationalen Tags gegen Homophobie, Biphobie und Transphobie in Tbilisi abgesagt worden. Stattdessen fand eine große, von der Kirche organisierte Prozession für die „Reinheit der Familie“ statt. (NÖK)