Russland: Kirche überdenkt Haltung zu Fortpflanzungsmedizin
Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) will eine neue Haltung zur Fortpflanzungsmedizin, insbesondere zur In-Vitro-Fertilisation (IVF) definieren. Dazu hat sie ein Dokument mit dem Titel „Ethische Probleme im Zusammenhang mit der Methode der außerkörperlichen Befruchtung“ entworfen und zur Diskussion in die Eparchien geschickt. Zudem wurde es auf der Website des Moskauer Patriarchats und zwei weiteren Internetportalen veröffentlicht: alle Interessierten sind aufgerufen, den Entwurf zu kommentieren. Die Kommentare sollen bis zum 29. März 2021 gesammelt werden.
Angesichts der gestiegenen Nachfrage nach IVF als medizinischer Methode bei Kinderlosigkeit und der Fortschritte der Medizin in den letzten 20 Jahren hält die ROK eine erneute grundsätzliche Positionierung zu dem Thema für angebracht. In ihrer Sozialkonzeption aus dem Jahr 2000 heißt es zu der Frage, dass aus orthodoxer Sicht alle Formen der IVF, die im Dokument als „außerkörperliche Befruchtung“ bezeichnet wird, „moralisch unzulässig sind“, bei denen es zur „Produktion, Aufbewahrung und vorsätzlichen Zerstörung ‚überzähliger‘ Embryonen“ komme. Da sich aber die Reproduktionsmedizin seither bedeutend weiterentwickelt habe, sei es inzwischen möglich, im Prozess der IVF nur einen oder zwei Embryos zu erzeugen und einzusetzen. Somit will die ROK Ehepaaren im gebärfähigen Alter die Anwendung der IVF erlauben.
Dabei bleiben aber eine Reihe von Verfahren ausgeschlossen, so die Schaffung „überzähliger“ Embryonen, das Einfrieren von Embryonen, das Entfernen überzähliger Embryonen aus der Gebärmutter, das Spenden von Geschlechtszellen und die Pränataldiagnostik. Kern der Argumentation ist die Auffassung vom Schutz des Lebens vom Moment der Empfängnis an, daher dürfen keine Embryonen zerstört werden. Auch beim Einfrieren können Embryonen beschädigt werden, zudem ist ihre Weiterverwendung zu anderen Zwecken für die ROK unzulässig. Eine erlaubte Alternative ist das Einfrieren von (unbefruchteten) Eizellen für wiederholte Versuche der IVF, falls der erste Versuch misslingt.
Für die ROK kommt außerdem die Leihmutterschaft und das Spenden von Geschlechtszellen nicht infrage, weil damit die „Unversehrtheit der Person und Ausschließlichkeit der ehelichen Verbindung“ zerstört werde. Das führe zu einer „verantwortungslosen Vaterschaft oder Mutterschaft“, die „wissentlich von jeglichen Verpflichtungen“ gegenüber den Kindern solcher „anonymen Spender“ befreit sei. Damit würden die Grundlagen der familiären Bande beschädigt, da zusätzlich zu den Eltern noch „biologische Eltern“ im Spiel seien.
Die ROK empfiehlt kinderlosen Paaren, ihre Situation als „besondere Berufung“ zu begreifen und sich anders zu engagieren. In konkreten Fällen könne die Entscheidung für oder gegen IVF dem Ermessen des Geistlichen überlassen werden, der das betreffende Ehepaar begleitet. Dieser kenne „die spirituellen Kräfte des Ehepaars und die Fähigkeit der Ehepartner, weiterhin das Kreuz der Kinderlosigkeit zu tragen“. Mit Blick auf die breitere Anwendung von IVF warnt die Kirche abschließend vor einer „Abwertung der Familienwerte“ und betont den „fundamentalen Wert der Familie und dass ein Kind in eine Ehe geboren werden muss“.
In einem Zusatz zum Dokument weist die ROK darauf hin, dass es in kirchlichen Kreisen verschiedene Meinungen zum Thema gebe. Ein Teil der Geistlichen und Mediziner sei grundsätzlich gegen die IVF und lehne sie in jedem Fall ab. (NÖK)