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Russland: ESC-Beitrag über starke Frauen in der Kritik

20. Mai 2021

Der russische Beitrag für das Finale des Eurovision Song Contest (ESC) am 22. Mai 2021 in Rotterdam hat in Russland eine Kontroverse ausgelöst. In ihrem Lied „Russian Woman“, das musikalisch eine Mischung aus Folklore, Rap und Pop ist, singt die Sängerin Manizha über starke Frauen, die jede Mauer durchbrechen können. Laut der 29-jährigen Künstlerin berichtet der Song „von der Transformation der Selbstwahrnehmung der Frau in den vergangenen Jahrhunderten in Russland“. Manizha greift dabei auf ironische Weise stereotype Frauenbilder und gesellschaftliche Erwartungen an Frauen auf. Während das Lied beim ESC-Publikum gut ankam, stieß es bei staatlichen und kirchlichen Stellen auf Kritik.

 

Die Sprecherin des Föderationsrats, Valentina Matvienko, zeigte sich „erstaunt“ über die Auswahl des Liedes und forderte eine Erklärung zum Auswahlverfahren. Jelena Afanaseva, ebenfalls Mitglied im Föderationsrat erklärte, viele Russinnen und Russen habe die Wahl erstaunt, das Aussehen der Sängerin sowie das Lied selbst hätten Erstaunen hervorgerufen. Sie fand, das Lied habe „keinen Sinn“, es sei nicht klar, „was das für afroamerikanische Tänze sind“. Es sei wichtig zu verstehen, welche Werte ein Interpret, der Russland vertrete, pflege.

Kritik kam auch von der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK), die dem Lied vorwirft, die „weibliche Würde“ zu verletzen. Vachtang Kipschidze, der stellv. Leiter der Synodalabteilung für die Beziehungen der Kirche zur Gesellschaft und den Medien, erklärte, er habe von „negativen Reaktionen sowohl aus der orthodoxen Gemeinschaft, und besonders in ihrem weiblichen Teil“ gehört, wie auch dass „viele russische Frauen überhaupt von dem Werk empört sind“. Er berief sich auf die russische Verfassung, in der der Schutz „traditioneller Werte“, darunter derjenige der Mutterschaft, der eine „bedingungslose Wertschätzung gegenüber der Frau“ voraussetze, festgehalten seien. Alles, was die Würde der Frau mindere, sei „unwürdig, im internationalen Raum, darunter auch der ESC, popularisiert zu werden“.

Daud Muchutdinov, der Imam-Muhtasib der Region Moskau, empfahl der Sängerin, für ihren Auftritt ein anderes Lied zu wählen, weil „Russian Woman“ so viele negative Reaktionen erhalten habe. Der Islam heiße offenherzige Bekleidung für Frauen und Auftritte auf Bühnen nicht gut, aber die religiösen Akteure würden sich nicht in die Wahl von Gläubigen einmischen. Trotz aller Kritik bescheinigte Muchutdinov der Sängerin künstlerisches Talent und gesangliche Fähigkeiten.

Kritik rief auch die Tatsache hervor, dass Manizha in Tadschikistan geboren ist. Ihre Familie floh in den frühen 1990er Jahren vor dem Bürgerkrieg nach Moskau, als sie ein kleines Kind war. Außerdem engagiert sie sich gegen häusliche Gewalt und für LGBT-Menschen. Zudem ist sie die erste russische UN-Botschafterin für Flüchtlingsfragen. Nach ihrer Wahl zur ESC-Teilnehmerin wurde sie dafür angegriffen, so wurde gefragt, ob sich denn keine Russin gefunden habe – eine gebürtige Tadschikin sollte nicht Russland vertreten. Sie wurde als „Migrantin, die mit der LGBT-Geschichte Karriere gemacht hat“, bezeichnet. Andererseits erhielt sie auch viel Unterstützung in den sozialen Medien und die Ermächtigungsbotschaft ihres Lieds wurde gelobt. In Tadschikistan gehen die Meinungen über ihren Beitrag ebenfalls auseinander, aber die Botschaft des Lieds spricht auch dort viele Menschen an.

Der Beitrag wurde am 8. März 2021 in einem Wettbewerb gewählt, bei dem die russischen Fernsehzuschauer per Telefon ihren Favoriten für die ESC-Teilnahme bestimmen konnten. Geschrieben hatte Manizha das Lied ein Jahr zuvor, jedoch bis dahin nicht aufgeführt. Berühmtheit erlangte die Sängerin vor allem auf dem sozialen Netzwerk Instagram, wo sie ihre selbst produzierten Musikvideos teilt. (NÖK)