Russland: Andauernde Debatte um Lenins Leichnam
Der stellvertretende Leiter der Synodalabteilung für die Beziehungen der Kirche zu Gesellschaft und Medien des Moskauer Patriarchats, Alexander Schtschipkov, hat kirchlichen Forderungen nach einer Bestattung Lenins eine Absage erteilt. In einem Interview mit der Presseagentur „Interfax“ erklärte er, dass der Vorschlag „höchst unzeitgemäß“ sei. Stattdessen schlug er ein „Moratorium für den Krieg gegen politische Symbole in Russland“ vor.
Eine Entfernung von Lenins Leichnam vom Roten Platz hatte die Russische Orthodoxe Kirche im Ausland in einem Hirtenbrief anlässlich des 100. Jahrestags der Revolution gefordert (s. RGOW 3/2017, S. 9).
Schtschipkov äußerte Verständnis für diese Forderung, erklärte aber auch: „Wir verstehen, dass die Anwesenheit Lenins auf dem Roten Platz nichts mit christlichen Traditionen zu tun hat. Aber wir können die Frage seiner Umbettung erst dann angehen, wenn gleichzeitig die Kampagne zur Entsozialisierung und Entsowjetisierung im postsowjetischen Territorium gestoppt wird.“ Russlands Nachbarn würden die momentane „Entsozialisierung und Entsowjetisierung“ für eine „Entrussifizierung“ nutzen, was man nicht unterstützen wolle, so Schtschipkow. Dabei dürfte er vor allem die Entwicklungen in der Ukraine im Blick haben, wo im April 2015 mehrere umstrittene „Dekommunisierungsgesetze“ verabschiedet wurden (s. RGOW 8/2015, S. 17–19).
Vor diesem Hintergrund forderte Schtschipkov, dass sich die Kirche nicht für politische Kampagnen zu politischen Symbolen engagieren soll. Dies wäre eine „zerstörerische Angelegenheit“. Aus demselben Grund sei es der falsche Zeitpunkt, gerade im 100. Jahr nach der Revolution die Forderung nach einer Umbettung des Leichnams Lenins zu erheben. Das habe „klar politische Motive“. Laut Schtschipkov ist es notwendig zu akzeptieren, dass beide Seiten für den brudermörderischen Bürgerkrieg 1917–1921 verantwortlich seien, zumal jeweils ein Teil des russischen Volkes eine der Seiten unterstützt habe. „Unsere Aufgabe ist es, das Schisma zu überwinden, die Menschen zu vereinen, und wir können dieses Ziel nicht erreichen, wenn wir betonen, dass nur eine Seite im Bürgerkrieg im Recht war“, sagte Schtschipkov.
Metropolit Ilarion (Alfejev), der Leiter des Kirchlichen Außenamtes, erklärte, Lenin hätte gleich nach dem Zerfall der Sowjetunion beerdigt werden sollen, man sei seiner Meinung nach mit dieser Entscheidung ein Vierteljahrhundert im Verzug. Es sei aber in niemandes Interesse, alte Wunden aufzureißen und Spannungen zu schüren. Deshalb müsse man nun warten, bis zu dieser Frage in der russischen Gesellschaft Konsens herrsche.
www.interfax-religion.ru, 16. März, 3. April; Kathpress 24. März 2017 – N. Z.