Bulgarien: Geteiltes Echo auf den Besuch von Patriarch Kirill
Der Besuch von Patriarch Kirill in Bulgarien hat zu einer Debatte über das russisch-bulgarische Verhältnis geführt. Gemeinhin gelten die Beziehungen zwischen der Russischen und Bulgarischen Orthodoxen Kirche als gut, doch Kritiker warfen dem Patriarchen eine politische Mission vor. Patriarch Kirill hatte Bulgarien vom 2. bis 4. März anlässlich des 140. Jahrestags des Friedens von San Stefano besucht. Der Friedensvertrag vom 3. März 1878, der später auf dem Berliner Kongress revidiert wurde, beendete den Russisch-Osmanischen Krieg und wird in Bulgarien als „Befreiung vom osmanischen Joch“ erinnert.
Im Vorfeld seiner Reise äußerte Patriarch Kirill Verständnis für die ablehnende Position der Bulgarischen Orthodoxen Kirche in Bezug auf die Istanbul-Konvention des Europarats. Noch mehr Sympathien erntete er mit seiner Aussage am Tag seiner Ankunft in Sofia, die Russische Orthodoxe Kirche habe nie vergessen, dass bulgarische Missionare die Russen in die orthodoxe Welt eingeführt und ihnen das kyrillische Alphabet gebracht hätten. Auf Kritik und Unverständnis stieß dagegen eine Polizeiaktion: Einige Kritiker des russischen Patriarchen (darunter auch der bulgarische Priestermönch Rafail) wurden von Polizisten aufgesucht und gedrängt, eine Erklärung zu unterschreiben, dass sie Kirill nicht bedrohen würden. Diese in Bulgarien präzedenzlose Aktion wurde als Einschüchterungstaktik wahrgenommen und in den Medien kritisiert.
Auch die zentralen Feierlichkeiten am 3. März am Schipka-Pass, an dem mehrere zentrale Schlachten des Russisch-Osmanischen Kriegs stattgefunden hatten, waren von einem scharfen Eingreifen der Polizei überschattet. So berichteten Augenzeugen, dass die Polizei keine Besucher mit ukrainischen oder polnischen Fahnen an der Veranstaltung zuließ. Nach dem Dankgottesdienst, den der bulgarische und russische Patriarch gemeinsam zelebrierten, und Gesprächen mit Ministerpräsident Bojko Borisov und Präsident Rumen Radev irritierte Kirill die Gastgeber, indem er öffentlich seine Enttäuschung zeigte, dass die bulgarischen Staatsmänner nicht nur Russland, sondern auch Polen oder Finnland für ihre Teilnahme am Befreiungskrieg gegen die Osmanen würdigten. Dabei unterstrich er wie zuvor an der gemeinsam mit Patriarch Neofit gefeierten Liturgie die historischen Verbindungen zwischen Bulgaren und Russen sowie die Dankbarkeit des Volkes, die er bei seinem Besuch erfahren habe. Durch seine Ermahnung an die bulgarischen Politiker, wie sie mit der Geschichte umzugehen haben, fühlten sich Kritiker bestätigt, die in dem Besuch eine politische Aktion sahen und keine Visite eines geistlichen Oberhauptes. Im bulgarischen Nationalradio kritisierte Mönch Rafail den Patriarchen als Werkzeug der russischen Politik, die eine Abspaltung Bulgariens von Europa betreibe.
Auch russische Medien zeigten sich verwundert, dass Kirill zum ersten Mal bei einer Auslandsreise fremde Staatsmänner kritisiert und ermahnt hatte. Der bekannte Theologe Andrej Kurajev wies anhand der Aussagen des bulgarischen Präsidenten und des Patriarchen nach, dass Russlands Rolle bei der „Befreiung“ Bulgariens keineswegs herabgesetzt worden sei. Er fragte sich, warum Kirill solch einen Skandal ausgelöst habe, und vermutet dahinter einen Auftrag des russischen Außenministers Sergej Lavrov.
Vladislav Atanassov, Studium der Theologie in Sofia und Heidelberg, wohnt in Nürtingen, Deutschland. Zurzeit arbeitet er an der Herausgabe eines Buches über die Geschichte der Bulgarischen Orthodoxen Kirche.