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Postsowjetisches Propagandafotobuch zum christlichen Leben in Aserbaidschan

Etibar Jafarov. Christliches Leben in Aserbaidschan. o.O. 2024

Etibar Jafarov, ein bekannter Fotograf aus Baku, hat 2024 ein Fotobuch publiziert, das mit einigen weiteren Bilder der offiziellen Internet-Seite des aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev angereichert wurde. Dazu gehört u.a. als erste Abbildung noch vor dem Inhaltsverzeichnis ein Porträt des Präsidenten mit Papst Franziskus und der First Lady im Vatikan.

Ein Autor, der die vier Kapitel im Buch geschrieben hat, wird nicht genannt. Nasimi Aghayev, der Botschafter der Republik Aserbaidschan in Deutschland, der sich u.a. mit aller politischen Gewalt gegen eine öffentliche Buchpräsentation des von mir mitherausgegebenen Bandes „Das kulturelle Erbe von Arzach“ eingesetzt hat, verfasste ein Vorwort für den vorliegenden Band. Wahrscheinlich stammt die Autorenschaft auch aus dem Umfeld der Botschaft.

Die Intention des Bandes ist unschwer schon bei der Lektüre des Inhaltsverzeichnisses zu erkennen. Aserbaidschan soll als ein Land mit langer christlicher Geschichte dargestellt werden, die sich unabhängig von armenischen Einflüssen entwickelt hat. Das Land sei derart tolerant, dass es einer Vielfalt christlichen Lebens Heimat biete, u.a. auch der deutschen (lutherischen) christlichen Kultur. Diese findet im politisch vermeintlich geförderten multikulturellen und interreligiös harmonischen Umfeld des Landes ihren Platz. In diesem Sinn stellt der Botschafter mit den Worten des Rabbiners David Wolpe (*1958) seine Heimat als eine „Oase der Toleranz“ vor. Wesentliche Teile der Geschichte und auch der gegenwärtigen Situation blendet er dabei aus, insbesondere auch die massive Auslöschung armenischen kulturellen Erbes in der Region. Die Reihenfolge der Fotos, bei der zuerst eine „kaukasisch-albanische“ Kirche der Gottesmutter im Dorf Nidsch bei Gabala dann die sich ebendort befindende Elisäus-Kirche vorgestellt wird, suggeriert eine eigenständige kaukasisch-albanische Christenheit, ohne zu erwähnen, dass bei der Renovierung an der Elisäus-Kirche bewusst armenische Inschriften entfernt wurden. Dies hatte u.a. zu Protestnoten des norwegischen Botschafters im Land geführt. Die Entfernung von Spuren armenischer Präsenz nicht nur dort, sondern auch in Nachitschewan und neuerdings in Berg-Karabach (arm. Arzach) wird in dem Buch vollkommen ausgeblendet. In Nachitschewan sind – durch Satellitenaufnahmen bestätigt – fast 98 Prozent des armenischen Kulturerbes ausgelöscht worden, in Arzach droht eine ähnliche Zukunft – die Umwandlung der Kathedrale in Schuschi in eine russisch-orthodoxe Kirche und die Zerstörung der dortigen Johanneskirche legen bereits Zeugnis davon ab.

Nur ein kurzer Blick in das von mir mitherausgegebene Buch über das kulturelle Erbe von Arzach (https://macau.uni-kiel.de/receive/macau_mods_00004022), mit Beiträgen von Aschot Hayruni und Anahit S. Asatryan macht deutlich, dass sich Toleranz insbesondere gegenüber dem armenischen Christentum historisch in Aserbaidschan keineswegs belegen lässt – vielmehr ist das Gegenteil zu konstatieren.

Geschichtlich ist das Buch an zahlreichen Stellen sehr fragwürdig, schon indem Botschafter Aghayev eine 2000-jährige Geschichte von Christen in Aserbaidschan in friedlichem Zusammenleben mit anderen Religionen behauptet. Turkstämme lassen sich dort frühstens seit dem 11. Jahrhundert belegen, und ein friedliches Zusammenleben der Religionen in dieser Zeit ist sicher ein Konstrukt – ähnliches gilt für die Idee eines Kaukasus-Albaniens, in dem eine eigenständige Kirche sich unabhängig von der armenischen entwickelt hat.

Namhafte zeitgenössische deutsche Historiker wie Josef Rist und Karl Pinggéra haben deutlich gemacht, dass Teile Aserbaidschans durchaus von den sogenannten Kaukasus-Albanern besiedelt waren. Die Gebiete des einstigen Albaniens südlich der Kura sind allerdings von Armenien aus christianisiert worden und bereits 387 n. Chr. an dieses Land gefallen sowie in kleineren Einzelherrschaften regiert worden. Im 9. Jahrhundert ist Albanien als eigenständige politische Größe ganz verschwunden. In Arzach entstand zwischen 1000 und 1266 ein eigenes Königreich. In dieser Region sind die albanischen Christen mit den Armeniern und Georgiern verschmolzen, und ab dem 15. Jahrhundert entstanden unabhängige christliche Fürstentümer (Melikate). Die kirchliche Selbständigkeit der albanischen Kirche, die stets in enger Verbindung mit der armenisch-apostolischen blieb, ist auf einer 488 n. Chr. in Partav von König Vačcagan III. einberufenen Synode verabschiedet worden. Bischof Abas (552–596) hat dann den Titel eines albanischen Katholikos angenommen, dessen Residenz sich ab dem 13. Jahrhundert in Gandzasar befand. Eine dauerhafte ethnische Eigenständigkeit ist dabei aber nicht zu beobachten. Vielmehr kam es zu einer zunehmenden armenischen Assimilierung, so dass man kaum von einer ethnisch eigenständigen Kirche sprechen kann. Die christliche Enklave mit ihrem Zentrum in Arzach hat sich Armenien stets kulturell und religiös aufs engste verbunden gefühlt. Es ist daher kaum möglich, zu Beginn der Neuzeit von einer eigenständigen albanischen Kirche oder einer separaten ethnischen Identität der Kaukasus-Albaner zu sprechen.

Durch die mangelnde wissenschaftliche Präzision des Bandes kommt es teilweise zu großen Ungenauigkeiten. So wird von dem Dorf Kish bzw. der dortigen Kirche als „Mutter der Ostkirchen“ gesprochen. Der armenische Historiograph Movses Kaghankatvatsi, dem das Zitat entnommen ist, sprach aber vielmehr von einem „Ort der Erleuchtung der Menschen des Ostens“. Dass das Christentum in „Kaukasus-Albanien“ 313 zur Staatsreligion erklärt worden ist, kann sich nur auf die Armenische Apostolische Kirche beziehen, die hier aber nicht erwähnt wird. Die Gegenüberstellung von Luthertum und Pietismus als „protestantische Bewegung“ erstaunt zumindest den Konfessionskundler – die meisten Pietisten in Aserbaidschan dürften Lutheraner gewesen sein.

Die Fotos aus der Elisäus-Kirche in Nidsch haben nahezu folkloristischen Charakter und erinnern an Darstellungen aus Folklore-Büchern der Sowjetzeit. Ähnliches gilt etwa für das Bild eines Molokanen-Jungen im Mohnfeld mit einem Vogelküken in der Hand oder die Bilder aus dem Dorf Iwanowka mit Kindern und Fotos aus der Landwirtschaft, die an frühere Darstellungen aus Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs) erinnern. Auch die Abbildungen aus dem Aserbaidschanischen Staatlichen Akademischen Russischen Dramatheater erinnern stark an Folklorebücher. Die Hinweise auf die einstige deutsche Siedlung Helenenburg als „untrennbaren Teil der christlichen Kultur“ sollen Brücken nach Deutschland bauen, sind allerdings für die gelebte Religiosität in Aserbaidschan irrelevant. Die Erinnerungen an die schwäbischen Pietisten vor Ort und die Hinweise auf Vertreter der deutschen Minderheit wie Lorenz Kuhn (1884–1942) haben eher musealen Charakter und sagen nichts über die gegenwärtige Toleranz im Land aus. In eben diesem Sinne wird „das deutsche Erbe“ in Aserbaidschan „sorgfältig bewahrt“ (S. 65). Die Bilder aus der evangelisch-lutherischen Erlöserkirche in Baku zeigen Gebetsformen, die mit lutherischen Gottesdiensten nichts zu tun haben, sondern vielmehr auf charismatische Gruppen hinweisen. Großen Wert legt der Band auf die Darstellung russischer Gottesdienste mit sehr vollen Kirchen. Auch der Gemeinschaft der Molokanen werden Bilder gewidmet, diese sind allerdings nur eine sehr kleine Gruppe von um die 2000 Menschen im Dorf Iwanowka.

Die armenischen orthodoxen Christen werden nur mit zwei Sätzen erwähnt, die relativ nichtssagend sind: „Armenier leben in allen großen Städten Aserbaidschans sowie in Garabagh (Azrach). Fast alle von ihnen bekennen sich zur Armenischen Apostolischen Kirche“ (S. 37). Im Bildteil werden nur die Gregor-der-Erleuchter-Kirche in Baku und deren Bibliothek explizit als armenisch bezeichnet. Die Bedeutung dieser Ethnie für die Region wird damit auf ein absolutes Mindestmaß reduziert. Die politische Absicht ist dabei kaum zu übersehen.

Trotz dementsprechender Verdrängungsabsichten werden Harmonie und Akzeptanz in Aserbaidschan sogar mit Blick auf alle Religionen besonders betont: „Die Republik Aserbaidschan lässt sich von den Grundsätzen der interreligiösen Harmonie und Akzeptanz leiten und fördert eine integrative und kosmopolitische Gesellschaft mit einer vielfältigen Bevölkerung, in der Vertreter zahlreicher ethnischer und religiöser Minderheiten nebeneinander friedlich existieren“ (S. 81). Gleiche Rechte und Freiheiten für alle Religionen, Nationalitäten und ethnischen Zugehörigkeiten – wenn man diesen in der Verfassung festgeschriebenen Schutz mit seinem behaupteten Modellcharakter auf den Prüfstand stellt, dürfte zumindest im Blick auf die Armenier, soweit sie überhaupt noch in dem Land vertreten sind, schnell Grenzen sichtbar werden.

Fazit: Das Buch illustriert mit schönen Bildern eine Idealwelt, aus der weite Teile der Realität im Land ausgeblendet sind. Ein Buch eines namentlich genannten, wissenschaftlichen Autors hätte die Entwicklung eines realistischen Bildes sicher gefördert. So bleibt das dumpfe Gefühl, mit einem Produkt postsowjetischer Propaganda konfrontiert zu werden.

Andreas Müller, Prof. Dr. theol., Professor für Kirchen- und Religionsgeschichte des 1. Jahrtausends an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

Bild: Das armenische Kulturerbe ist in Aserbaidschan gefährdet, so wurden in der Region Nachitschewan unzählige Kreuzsteine zerstört. (Kreuzstein im Goschavank-Kloster in Armenien, © Inna, CC BY 2.0)