Buchbesprechungen
Liliya Berezhnaya (ed.): Icons In-Between
Eastern Christian Art from Border Areas Belarus, Ukraine, Romania, Western Balkans, Greece
Recklinghausen 2025, 132 S.
ISBN: 978-3-9104404-3. € 24.90.
Begleitend zur Ausstellung „Icons In-Between“ im Ikonenmuseum Recklinghausen vom 25. Januar bis 6. Juli 2025 ist ein Katalog erschienen, in dem die Exponate großformatig abgebildet und von einordnenden Texten begleitet sind. Die Ausstellung widmete sich Ikonen aus den Grenzregionen des Russischen, Habsburger und Osmanischen Reichs – Übergangsgebieten mit sich verschiebenden Grenzen, in denen verschiedene Kulturen in Kontakt kamen. Die Kuratorin der Ausstellung, Liliya Berezhnaya, wollte mit der Ausstellung die vielfältigen Wege untersuchen, auf denen östliche und westliche ikonografische Traditionen interagieren. Dem westlichen Publikum sollte ostchristliche Kunst präsentiert werden, die vertraut wirkt, da es in den katholischen und protestantischen Kirchen ähnliche Bildprogramme gibt. Zudem sollte die Ausstellung die „gemeinsamen Wurzeln der christlichen Ikonografie, die Schnittstellen zwischen Traditionen, die Entwicklung spezifischer ostchristlicher ikonografischer Zentren und die Netzwerke, die sie über eine lange historische Periode verbanden, demonstrieren“ (S. 12).
In ihrem Einführungstext stellt Berezhnaya die verschiedenen ikonografischen Zentren in den Randzonen der Imperien und ihre vielfältigen Verbindungen innerhalb Europas vor. Anhand von Bildmaterial zeigt sie auf, wie ikonografische Muster aus anderen Konfessionen in ostchristliche Ikonen Eingang fanden, einem Thema, dem unter dem Titel „Interkonfessionalität“ der erste Teil der Ausstellung gewidmet war. Zu dieser Interkonfessionalität gehörte auch die Inkorporation von „fremden“ theologischen Elementen und Ritualen. So taucht das Element der Krönung Mariens, die in der katholischen Ikonografie ab dem 13. Jahrhundert sehr populär war, von der Orthodoxie als Ritual aber nicht offiziell anerkannt ist, in mehreren Exponaten auf. Der zweite Teil der Ausstellung stand unter dem Begriff der „Transkonfessionalität“, der sich unter anderem auf die gemeinsame – von Gläubigen verschiedener Konfessionen – Verehrung wundertätiger Ikonen bezieht.
Im zweiten Teil des Katalogs sind die Ikonen, die aus dem späten 15. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts stammen, abgebildet. Fast die Hälfte der Exponate gehört zu privaten Sammlungen, viele der Werke waren zum ersten Mal in Deutschland ausgestellt. Alle Werke sind von ausführlichen Erläuterungen begleitet, die über die Inhalte und Entstehung der Darstellungen informieren. Der in hoher Qualität gedruckte Katalog bietet einen aufschlussreichen und sehr anschaulichen Einblick in die orthodoxe Ikonografie aus den Kontaktzonen der verschiedenen Reiche, und ist auch für interessierte Laien eine spannende Lektüre.
Natalija Zenger, Religion & Gesellschaft in Ost und West 12/2025, S. 31
Oleh Shepetiak: Byzantinische Liturgie
Eine Einführung
Regensburg: Verlag Friedrich Pustest 2025, 220 S.
ISBN 978-3-7917-3609-9. € 22.–; CHF 34.90.
Durch die kriegsbedingte Flucht vieler Ukrainerinnen und Ukrainer in den deutschsprachigen Raum ist ostkirchliches Leben in den letzten Jahren hierzulande nochmals sichtbarer geworden. Viele römisch-katholische und evangelische Kirchgemeinden haben orthodoxen oder griechisch-katholischen Gläubigen Gastrecht in ihren Gotteshäusern gewährt, wissen aber oftmals wenig über deren Liturgie, Gebetspraxis und Frömmigkeit. Hier setzt das Buch von Oleh Shepetiak, Priester der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, an, das aus Vorlesungen an der Katholisch-Theologischen Universität der Ruhr-Universität Bochum entstanden ist. Vor dem Hintergrund der Fragen von Studierenden und westlichen Fachkollegen ist es das Ziel von Shepetiaks Buch, „westlichen Leserinnen und Lesern die Tür zum östlichen Christentum“ zu öffnen (S. 10). Es geht daher vor allem um grundlegende „Basics“, wobei der Autor bewusst auf eine historische Darstellung der Liturgieentwicklung verzichtet hat, da es sich um eine praxisorientierte Darstellung handelt. Aus diesem Grund wird auch auf Quellen- und Literaturangaben verzichtet (S. 13).
Das Buch gliedert sich in 13 Kapitel, die von den unterschiedlichen liturgischen Riten der Ostkirchen über den Kirchenkalender, das Kirchenjahr, den Aufbau des Kirchengebäudes, den Verlauf der Eucharistiefeier, die Gebetspraktiken, die Rolle der Geistlichen, das Verständnis der Sakramente bis zur Bedeutung und Theologie der Ikonen verschiedene Aspekte der ostkirchlichen Tradition und Spiritualität in den Blick nehmen. So erklärt Shepetiak die Unterschiede zwischen dem Julianischen, Gregorianischen und Neujulianischen Kalender, wobei er auch auf den Koptischen Kalender eingeht. Bei den Gedenktagen für Heilige vermerkt Shepetiak kritisch, dass die Klassifizierung der Heiligen in der byzantinischen Tradition „keinen Platz für Laien oder gar Diözesanpriester hat. Um heiliggesprochen zu werden, muss ein Laie oder Diözesanpriester entweder Mönch werden oder als Märtyrer sterben“ (S. 59).
Gut nachvollziehbar erklärt Shepetiak auch den Ablauf der Göttlichen Liturgie mit ihren Gesängen, Gebeten, Lesungen und Zeichenhandlungen. Dabei verweist er auch auf liturgische Unterschiede zwischen den byzantinisch-orthodoxen und griechisch-katholischen Kirchen. Besondere Aufmerksamkeit erfährt auch die Gebetspoesie des byzantinischen Ritus: Troparia, Stichera, Kondakia und der Hymnos-Akathistos. Für interessierte Laien, die zum ersten Mal mit der byzantinischen Liturgie in Kontakt kommen und mehr darüber erfahren möchten, hat Shepetiak eine gut lesbare Einführung geschrieben.
Stefan Kube, Religion & Gesellschaft in Ost und West 12/2025, S. 31
Ksenia Luchenko: Mit guten Absichten [russ. Благими намерениями]
Die Russische Kirche und die Macht von Gorbatschow bis Putin [Русская Церковь и власть от Горбачева до Путина]
StraightForward Foundation 2025, 438 S.
ISBN 978-601-82257-6-6. € 33.85.
Das auf Russisch erschienene Buch der Journalistin Ksenia Luchenko ist für alle, die sich mit der „Wiedergeburt“ und Entwicklung der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) seit der Perestrojka befassen, eine wichtige neue Quelle mit Handbuchcharakter. Luchenko ist eine gefragte Expertin für die Russische Kirche, ihren Telegram-Kanal „Orthodoxie und Zombies“ betreibt sie seit 2022 aus dem Exil. Den „Weg [der russischen Kirche] in die Katastrophe“ beschreibt sie aus „der Distanz als Journalistin“, aber auch als orthodoxe Christin, einige Jahre war sie zudem Mitarbeiterin in der Medienabteilung des Moskauer Patriarchats. Ihr Fazit: „30 Jahre in Folge hat die Kirche sowohl als offizielle Institution als auch als Gemeinschaft von Menschen konsequent bei jeder Weggabelung eine Wahl getroffen, die sie zur Teilnahme an diesem blutigsten und hinterhältigsten Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg geführt hat, diesem Krieg zwischen zwei mehrheitlich orthodoxen Ländern“ (S. 12).
Es handelt sich um keine umfassende historische Studie, sondern um einen journalistisch recherchierten Rückblick auf ausgewählte Prozesse (von der Tausendjahrfeier der ROK 1988 über die „Atom-Orthodoxie“ bis zum Pussy Riot-Skandal und dem Bau der Kathedrale für die Streitkräfte in Moskau) und vor allem um Porträts vieler Schlüsselfiguren (u. a. Tichon Schevkunov, Konstantin Malofejev, Vsevolod Tschaplin) in ihren Wechselbeziehungen mit anderen gesellschaftlichen und staatlichen Akteuren. Viele Fragen bleiben offen, Gerüchte werden als solche bezeichnet, und man erfährt auch Pikantes: So sei der heutige Patriarch Kirill (Gundjajev) als Metropolit an einer ukrainischen Autokephalie interessiert gewesen: als Plan B für einen Führungsposten in Kyijw, falls es in Moskau nicht funktioniert hätte (S. 263). Wie die Wahl Kirills zum Patriarchen vonstatten ging, erfährt man im Kapitel 11 „Der vollkommen sowjetische Patriarch“. 16 Kapitel spannen sich zwischen dem ersten, das mit der Ermordung von Priester Alexander Men’ am 9. Januar 1990 beginnt, und dem letzten, das mit der ersten Osterliturgie von Priester Alexej Uminskij im Mai 2024 im Pariser Exil endet.
Eigentlich präsentiert Luchenkos breites Panorama keinen unausweichlichen Determinismus, sondern die Kontingenz und Vielfalt der jüngsten Geschichte des Kirche-Staat-Verhältnisses, in der auch andere Wege hätten eingeschlagen werden können. Was den Titel angeht, stellt sich die Frage, ob alle Akteure immer nur „mit guten Absichten“ gehandelt haben? Vier Kapitel existieren bereits in englischer Übersetzung: https://www.straightforward.foundation/books/good-intentions
Regula M. Zwahlen, Religion & Gesellschaft in Ost und West 11/2025, S. 30
Sebastian Rimestad, Emil Hilton Saggau (eds.): Fault Lines in the Orthodox World
Geopolitics, Theology, and Diplomacy in Light of the War in Ukraine
Basingstoke: Palgrave Macmillan 2025, XI, 327 S.
ISBN: 978-3-031-81504-1. € 143.99; CHF 175.90.
Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist die Orthodoxe Kirche in vielen Ländern wieder eine sichtbare Akteurin auf gesellschaftspolitischer Ebene, doch sind ihre jeweiligen Einstellungen ohne eine zentrale Autorität weltweit alles andere als eindeutig. Der vorliegende Band möchte etwas Licht in die „von gegenseitigem Misstrauen und Wettbewerb“ (S. 2) geprägte aktuelle Lage der Orthodoxie bringen. Seit dem misslungenen Versuch von 2016, am Panorthodoxen Konzil von Kreta globale Einheit zu demonstrieren, scheinen die Bruchstellen immer weiter auseinanderzuklaffen und angesichts von Russlands Angriff auf die Ukraine, der von der Russischen Orthodoxen Kirche gerechtfertigt wird, weitgehend unüberbrückbar. Laut den Herausgebern liegt der Grund für diese Bruchstellen vor allem in einer orthodoxen „Theologie des Raums“, die nicht davon ausgeht, dass eine einzige kirchliche Hierarchie den gesamten kirchlichen Raum repräsentieren kann und im Laufe der Geschichte zu politischen, national-territorialen Aufteilungen geführt hat: So bestehe ein Widerspruch zwischen dem Anspruch auf die eine, universale Wahrheit und deren fehlender Repräsentation durch eine zentrale Autorität. Die Herausgeber betonen zwei Hauptbruchstellen: die Beziehung orthodoxer Kirchen zum Westen und die Beziehungen der Kirche zum Staat (S. 13).
Der Band beleuchtet diese Bruchstellen aus vier Perspektiven: Im ersten Teil „Ökumenische Aspekte“ betont Dimitrios Keramidas, dass die Bruchstellen nicht theologisch, sondern strukturell – durch das Prinzip der Autokephalie – und kulturell bedingt seien. Katharina Kunter beleuchtet die Schwierigkeiten des Ökumenischen Rats der Kirchen, unter den neuen geopolitischen Bedingungen seit der Wende mit diesen Bruchstellen umzugehen. Der zweite Teil bietet drei Studien zu den ideologischen Hintergründen der antiwestlichen Konzepte in Russland, Serbien (zur „russischen Welt“ und „serbischen Welt“) und in der amerikanischen Orthodoxie. Im dritten Teil „Russland und Ukraine“ werden die komplexen Situationen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche, von russisch-orthodoxen Gläubigen in Russland, die den Krieg ablehnen, sowie von russisch- und ukrainisch-orthodoxen Exilgemeinden in Deutschland beleuchtet. Der vierte Teil „Die anderen Kirchen“ geht auf die Kirchen in Montenegro und Makedonien angesichts des Kriegs in der Ukraine ein, sowie auf die ambivalente Haltung der Rumänischen Orthodoxen Kirche und die eindeutige Positionierung der Orthodoxen Kirche Finnlands gegen die Haltung des Moskauer Patriarchats im russischen Krieg gegen die Ukraine.
Regula M. Zwahlen, Religion & Gesellschaft in Ost und West Nr. 9/2025, S. 31
Karin Roginer Hofmeister: Remembering Suffering and Resistance
Memory Politics and the Serbian Orthodox Church
Budapest: CEU Press 2024, 282 S.
ISBN 978-963-386-743-3. € 129.–; CHF 165.–.
Nach dem Sturz des Milošević-Regimes im Oktober 2000 ist die Serbische Orthodoxe Kirche (SOK) zu einer zentralen gesellschaftlichen Akteurin in Serbien aufgestiegen, der auch die staatlichen Stellen durch Zusammenarbeit und Privilegierung Rechnung tragen. In ihrem äußerst lesenswerten Buch untersucht Karin Roginer Hofmeister, Dozentin am Institut für Internationale Studien an der Karls-Universität Prag, die erinnerungspolitische Rolle der SOK beim Gedenken an den Zweiten Weltkrieg im Post-Milošević-Serbien sowie ihre Interaktionen und Auseinandersetzungen mit anderen nationalen wie internationalen staatlichen und nicht-staatlichen Erinnerungsakteuren. Zeitlich unterscheidet Hofmeister dabei zwei Phasen: Im ersten Jahrzehnt wurde die Kirche zu einer favorisierten Partnerin des Staates in Fragen der Erinnerungs- und Identitätspolitik und konnte weitgehend autonom agieren. Diese „relativ ausgewogene Partnerschaft“ (S. 7) endete mit dem Machtaufstieg von Aleksandar Vučić seit 2012, unter dem es auf dem Feld der Erinnerungspolitik zu einer Zentralisierung kam, der sich auch die Kirche unterzuordnen hatte.
Die Formen, Strategien und Folgen der Erinnerungspolitik der SOK gruppiert Hofmeister um die beiden im Titel des Buches genannten Schlagwörter „Leiden“ und „Widerstand“. Im Fokus des kirchlichen Gedenkens steht einerseits das Leiden der serbischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg sowie andererseits der heroische Widerstand gegen die Besatzungsmächte. Letzterer verbindet sich aus kirchlicher Sicht vor allem mit der royalistischen und nationalistischen Tschetnik-Bewegung, so hat die SOK in den letzten Jahren dutzende Kirchenvertreter, die mit den Tschetniks in Verbindung standen und gar in ihren Reihen kämpften, heiliggesprochen. Zugleich lässt sich eine „Ethnisierung des Volksbefreiungskampfs“ (S. 191), des vorangegangen sozialistischen erinnerungspolitischen Narrativs, seitens der SOK beobachten, mit dem eine innernationale Versöhnung der widerstreitenden Vergangenheitsdeutungen angestrebt wird.
Besonders auffällig ist zudem die Errichtung von neuen Kirchen oder christlichen Symbolen an Orten, an denen es im Zweiten Weltkrieg zu Massengewalt an der serbischen Bevölkerung gekommen war. Bischof Jovan (Ćulibrk) von Pakrac und Slawonien wurde zu „einer der wichtigsten Persönlichkeiten“ (S. 230) bei der Gestaltung der serbischen Erinnerungslandschaft nach dem Jahr 2000. Während er sich zwar gegen nationalistische Übertreibungen der serbischen Opferzahlen im kroatischen Konzentrationslager Jasenovac verwahrte, schwieg er zu den Verbrechen serbischer Kollaborateure, worin die Ambivalenz des kirchlichen Erinnerns treffend zum Ausdruck kommt.
Stefan Kube, Religion & Gesellschaft in Ost und West Nr. 9/2025, S. 31