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Archimandrit Savva Mazhuko zum Offenen Brief russisch-orthodoxer Priester

26. September 2019

Eine Gruppe von Priestern der Russischen Orthodoxen Kirche hat einen offenen Brief zur Unterstützung der Angeklagten und Verurteilten im sog. Moskauer Fall veröffentlicht, bei dem es um die jüngsten Proteste gegen die Manipulationen bei den Lokalwahlen in Moskau geht. Sie zählen zu den Unterzeichnern des Briefes. Was hat Sie bewogen, den Brief zu unterschreiben?
In der Tat wurde am 18. September 2019 auf der Website „Orthodoxie und Welt“ ein offener Brief von Priestern der Russischen Orthodoxen Kirche mit der Bitte veröffentlicht, die Gerichtsureile bezüglich der Verurteilten im sog. „Moskauer Fall“ zu überdenken. Am 16. September haben sich einige befreundete Priester, die diesen Text verfasst haben, an mich gewandt, und ich habe ihn natürlich unterschrieben, weil ein Christ auf der Seite der Unglücklichen stehen muss. Bis heute haben über 170 Priester diesen Brief unterzeichnet. Die Mehrheit unter ihnen sind Kleriker der Moskauer Eparchie und der Metropolie St. Petersburg. Das sind hochgeachtete Menschen, und ich denke, es hätte noch mehr Unterschriften gegeben, wenn der Brief an einen Adressaten gerichtet gewesen wäre und zum Beispiel im Namen des Patriarchen oder eines konkreten politischen Akteurs geschrieben worden wäre.

Mich überrascht der Wirbel um diesen Brief sehr, denn schließlich ist die Unterstützung von Gefangenen für einen Christen und somit auch für einen Priester eine natürliche Pflicht, die in einer christlichen Gemeinschaft keiner besonderen Begründung bedarf. Nichtsdestotrotz werden wir der illegalen Einmischung in den Bereich der Politik und der Zerrüttung der Grundpfeiler des Staats und der Kirchenstruktur bezichtigt. Doch auch das Schweigen der Priester ist eine politische Position. Und was ist die Einschüchterung von Geistlichen mit Strafandrohungen aufgrund einer schlichten Unterschrift anderes als eine bekannte politische Strategie aus der Vergangenheit des zaristischen Russlands und der Sowjetunion, als die Kirche bloß als ein Anhängsel des ideologischen Mechanismus des Staats betrachtet wurde?

Wer gehört zu den Unterzeichnern des Briefs, und was sind deren Motive?
Unter den Unterzeichnern sind nicht wenige „namhafte“ Priester. Es sind bekannte Prediger, Autoren, Theologen. Zum Beispiel Alexander Borisov, Vladimir Lapschin, Vladimir Selinskij, Alexej Uminskij – das ist die Blüte unserer Geistlichkeit, Menschen mit gewaltiger Autorität. Ich kann nicht sagen, dass sie irgendwie politisch motiviert sind. Die meisten von ihnen kenne ich persönlich und kann bezeugen, dass es Menschen der Kirche sind, das heißt, ihr Hauptinteresse gilt der Verkündigung des Evangeliums und der Schaffung eines kirchlichen Gemeindelebens.

Wie hat die Kirchenleitung auf den offenen Brief reagiert?
Eine offizielle Reaktion der Kirchenleitung auf diesen Brief hat es bisher nicht gegeben, obwohl sich bereits einige Kirchenleute zu Wort gemeldet haben. Die Stimme des Patriarchen haben wir bisher nicht gehört, doch der hohe Autorität genießende Theologe und Kirchenmann Metropolit Ilarion (Alfejev) hat sich bereits im Sinne der Unterstützung des Rechts der Geistlichen geäußert, ihre Meinung zu diesen oder jenen Ereignissen des gesellschaftlichen Lebens zum Ausdruck zu bringen.

Die Geschichte um den Brief illustriert die gegenwärtige kirchliche Situation sehr gut. Zum jetzigen Zeitpunkt sehen wir eine Polyphonie an Meinungen: Viele Priester und Laien unterstützen uns, einige äußern sich dagegen, und es gibt Leute, die sich schlicht nicht dafür interessieren. Und so seltsam es klingen mag: mich freut das. Es zeugt von einer Gesundung unseres kirchlichen Lebens. Weil niemand die unterzeichnenden Priester bestraft, und weil niemand uns zwingt, einer Meinung zu sein, die einer „allgemeinen Parteilinie“ entspricht. Und das ist wunderbar, es nährt die Hoffnung auf die Gesundung des kirchlichen Organismus.

Archimandrit Savva Mazhuko, Vorsteher des St. Nikolaus-Klosters in Gomel, Belarus

Übersetzung aus dem Russischen: Regula Zwahlen.

Archimandrit Savva hat am 18. September bereits auf Facebook Stellung zum Brief und seiner Unterschrift genommen: Link zum Facebook-Eintrag