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Nachruf P. Boris Bobrinskoy (1925–2020)

20. August 2020

„Unser Mund hat sich für euch aufgetan, unser Herz ist weit geworden“ (2 Kor 6,11).
Wer P. Boris Bobrinskoy einmal persönlich begegnet ist, kann ihn sicher leicht in diesem Wort des Apostels Paulus wiedererkennen: Er begegnete allen Menschen mit einem weiten Herzen und einem guten Wort, in einer geistlichen Atmosphäre, gewürzt mit feinem Humor. Heimgegangen ist er nun am 6. August 2020, andere Quellen sprechen vom frühen Morgen des 7. August. In jedem Fall steht sein Tod im Zeichen des Festes der Verklärung, an der Jesus Christus seine Jünger teilhaben ließ – und die in seine Leidensankündigung und den Gang nach Jerusalem mündet. Man darf in dieser Teilhabe am Weg Christi ein Zeichen für die Vollendung eines priesterlichen Lebens in der Nachfolge seines Herrn sehen.

Boris Bobrinskoy gehört zum Strom der russischen Emigranten, die ihre Heimat im Gefolge der Revolution von 1917 verlassen mussten. Boris Alekseevic wurde am 12./25. Februar 1925 als Sohn des Grafen Aleksej Alekseevic Bobrinskoy und seiner Frau, Gräfin Natalia Pavlovna von Fersen, in Paris geboren. Nach dem Tod seiner Mutter, als er 10 Jahre alt war, wurde er in Internate der Jesuiten des byzantinischen Ritus nach Namur (Belgien) und Paris geschickt. Anschließend studierte er Theologie am Institut für Orthodoxe Theologie St. Serge in Paris und erhielt 1949 sein Diplom mit einer Arbeit zum Thema „Le Mystère du chrême chez les pères orientaux du 4e siècle“ [Das Mysterium der Chrismasalbung bei den östlichen Vätern des 4. Jahrhunderts]. 1949–1951 setzte er seine Studien an der Theologischen Fakultät von Athen vor und erforschte unveröffentlichte Handschriften des hl. Gregor Palamas auf dem Berg Athos und in Athen. 1951 nahm er an der Pilgerfahrt zum 1900-jährigen Jubiläum der Missionsreisen des Apostels Paulus teil. Ab demselben Jahr übernahm er, zunächst stellvertretend, dann hauptverantwortlich, die Aufgabe des Studieninspektors im Institut St-Serge.

Seit jungen Jahren erwies Boris Bobrinskoy sein „weites Herz“ in der Teilnahme an der Ökumenischen Bewegung. So nahm er etwa zwischen 1952 und 1961 an den internationalen Versammlungen des Weltkirchenrates und seiner Kommission „Glaube und Kirchenverfassung“ in Montreal, Lund, Evanston und Neu-Delhi teil.

1954 wurden ihm nach einer Probevorlesung am 4. Februar über die allgemeinen Voraussetzungen der Trinitätstheologie die Lehrveranstaltungen zur Dogmatik anvertraut; er wurde damit zum Nachfolger von Sergij Bulgakov und Sergei Sergeevich Verhovskoy. 1957 heiratete er Helena Jurevna Disterlo; die Familie hat drei Kinder und inzwischen zahlreiche Enkelkinder. 1959 wurde Boris Bobrinskoy zum Diakon und zum Priester geweiht und wurde zum Protopresbyter des Pariser Exarchats des Ökumenischen Patriarchats ernannt. Von 1965 bis 1967 setzte er seine theologischen Studien in der Schweiz an der Fakultät für protestantische Theologie der Universität Neuchâtel fort. Seit 1967 war er als Priester für die französischsprachige Pfarrei Hl. Dreifaltigkeit in der Krypta der Alexander-Nevskij-Kathedrale in Paris tätig.

Seit 1967 war Boris Bobrinskoy Mitglied der „Académie internationale des sciences religieuses“ (AISR). Von 1969 bis 1990 war er verantwortlich für die orthodoxe Mitwirkung an der theologischen Ausbildung am „Institut supérieur d’études œcuméniques“ des „Institut Catholique“ in Paris. Seit 1970 führte P. Boris den Vorsitz des Radiosenders „Stimme der Orthodoxie“, die auf Kurzwelle religiöse Sendungen für Russland ausstrahlte. Von 1970 bis 2003 wirkte er als Mitglied im Rat des Erzbistums (Archevêché des Églises orthodoxes de tradition russe) sowie als Mitglied in der Nationalen Orthodox-Katholischen und der Orthodox-Protestantischen Dialogkommission, von 1991–2005 im „Comité mixte catholique-orthodoxe en France“. Er gehört auch zu den Gründern der „Fraternité orthodoxe en Europe occidentale“.

1987 verteidigte er am Institut St-Serge seine Dissertation zum Thema „Le repos de l’Esprit dans le Christ“ [Das Ruhen des Geistes auf Christus]; Gutachter waren John Meyendorff und Olivier Clément. Von 1993 bis zu seiner Emeritierung 2010 war er Dekan des Instituts für orthodoxe Theologie St. Serge; 2006 legte er seine Aufgabe als Professor für Dogmatik nieder und widmete sich ganz seinem Amt als Dekan. Von 1992 bis 2004 übernahm er die Aufgabe des Ko-Präsidenten der Ökumenischen Gesellschaft für Biblische Studien (Société biblique française), die u.a. die 2010 erschienene neue Ausgabe der TOB („Traduction œcuménique de la Bible) vorbereitete. 1998 bis 2007 war P. Boris als Vorsitzender der Theologischen Kommission der Orthodoxen Bischofsversammlung Frankreichs tätig. Auch innerhalb des Instituts St. Serge stärkte er die ökumenische Dimension, insofern er die Tradition der „Semaines d’études liturgiques“, bei denen orthodoxe, protestantische und katholische Experten zu liturgischen Fragen in Austausch treten, weiterführte und förderte.

P. Boris erhielt Ehrendoktorate der Theologischen Fakultät in Fribourg Schweiz (2000), der Theologischen Fakultät in Alba Iulia (2001) und Cluj-Napoca in Rumänien (2002) und des Orthodoxen Theologischen Seminars St. Vladimir in New York (2003). Neben seinen umfangreichen theologischen Publikationen veröffentlichte er zum Ende seiner Amtszeit als Dekan ein Werk über die Geschichte des Institut St. Serge: „Der hl. Sergij in Paris. Die Geschichte des Pariser Instituts St. Serge für Orthodoxe Theologie St. Serge“ [russisch St. Petersburg 2010]. Nach seiner Emeritierung zog er mit seiner Familie nach Bussy-en-Othe, wo er im dortigen Frauenkloster „Mariä Schutz“ weiterhin als Priester tätig war.

Das besondere theologische Interesse von P. Boris liegt – wie sein umfangreiches Publikationsverzeichnis zeigt – im Bereich der Trinitätstheologie und der Reflexion über die liturgische und insbesondere die eucharistische Erfahrung des kirchlichen Lebens im Lichte der Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Die Titel seiner großen Monographien lauten: „Le Mystère de la Trinité“ (1986, 331 S.); „Le Mystère de l’Église“ (2000, 315 S.); „Communion du Saint Esprit“ (1992, 490 S.); „La compassion du Père“ (2000, 198 S.); „La vie liturgique“ (2000, 145 S.).

Sein weites Herz blieb auch über seinen Tod hinaus in seiner verbindenden Kraft spürbar: Die Beerdigung von P. Boris an seinem letzten Heimatort Bussy-en-Othe am 11. August 2020 wurde von Metropolit Emmanuel (Adamakis) vom Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel präsidiert. Dieser Tradition hatte sich das Kloster nach der Wiedervereinigung des Erzbistums mit der Russischen Orthodoxen Kirche angeschlossen. Doch auch Metropolit Johannes (Renneteau), verantwortlich für die Gemeinden in Communio mit der Russischen Orthodoxen Kirche und für das Institut St. Serge, ließ am 8. August 2020 eine Liturgie für den Verstorbenen in der Alexander-Nevskij-Kathedrale in Paris zelebrieren.

Das Schlusswort aus dem Vortrag anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorates an der Universität Fribourg an P. Boris kann auch an dieser Stelle als Schlusswort dienen: „All dies gibt mir die Gewissheit, dass die Erleuchtung durch den Geist am Werk ist, aber dass sie nur zu uns gemeinsam kommen kann, nach einer tiefen und anspruchsvollen gemeinsamen Haltung der Demut, der Reue und des Mutes einerseits und der theologischen Wahrheit und praktischen Ehrlichkeit andererseits, damit der Geist der Wahrheit unsere Strukturen belebt und die Mauern unserer Trennungen niederreißt, unsere Wunden heilt und unsere Unzulänglichkeiten ausgleicht. Um ‚die göttliche Gnade, die Schwächen heilt und Mängel ausgleicht‘, betet der Bischof bei der Priesterweihe. Diese Stellvertretung des Geistes ist ein grundlegender Aspekt der zugleich dogmatischen und pastoralen Heilsökonomie Gottes, die heute mehr denn je in unseren Kirchen wirkt. Mit diesem Hinweis auf das stellvertretende Wirken und den Erfindungsreichtum des Heiligen Geistes, der unsere Kirchen in den Geburtswehen belebt, um in ihnen den in Macht und Wahrheit gegenwärtigen Christus offenbar zu machen, schließe ich meine Rede im Zeichen der Hoffnung und Dankbarkeit.“
Für dieses Zeugnis seiner Theologie und seines Lebens dürfen wir P. Boris Bobrinskoy danken.

Barbara Hallensleben, Dr. theol.; Professorin für Dogmatik und Theologie der Ökumene an der Universität Freiburg (Schweiz), dort u.a. im Direktorium des Instituts für Ökumenische Studien.