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Besuch des Ökumenischen Patriarchen bestärkt Orthodoxe Kirche der Ukraine

26. August 2021

Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios hat die Ukraine anlässlich des 30. Jahrestags ihrer Unabhängigkeit am 24. August besucht. Wie ist die Stimmung im Land angesichts dieses Ereignisses?
Der Besuch von Patriarch Bartholomaios fand im Vorfeld des 30. Jahrestag der Unabhängigkeit der Ukraine statt. Deshalb hat er nicht nur eine religiöse Bedeutung, sondern auch im Sinn einer Unterstützung der ukrainischen Unabhängigkeit durch den Ökumenischen Patriarchen. Es war der erste Besuch von Patriarch Bartholomaios auf Einladung sowohl des Staates als auch der Kirche: des Präsidenten der Ukraine und der lokalen (autokephalen) Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU). Bei den vorangegangenen beiden Besuchen 1997 und 2008 traf Bartholomaios in der Ukraine den Moskauer Patriarchen Aleksij II. und Metropolit Volodymyr (Sabodan), den Leiter der dem Moskauer Patriarchat unterstehenden Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK).

Sowohl die Erlangung der Unabhängigkeit 1991 als auch die Verleihung der Autokephalie für die ukrainische Orthodoxie sind Ereignisse, die von der ukrainischen Gesellschaft eindeutig positiv bewertet werden.[1] Deshalb stoßen die Treffen des Ökumenischen Patriarchen mit der Regierung, die Gottesdienste, Begegnungen und gemeinsamen Veranstaltungen mit Geistlichen der OKU und anderer religiöser Akteure bei den orthodoxen Gläubigen und der Gesellschaft insgesamt auf Zustimmung. Schließlich begrüßen laut einer soziologischen Umfrage 57 Prozent der Ukrainer den Besuch und nur 6 Prozent lehnen ihn ab. Sogar bei den Gläubigen der UOK ist das Verhältnis zum Besuch des Ökumenischen Patriarchen sehr positiv: 49 Prozent unterstützen ihn und nur 15 Prozent waren dagegen.[2]

Was bedeutet der Besuch für die Orthodoxe Kirche der Ukraine, die Anfang 2019 von Bartholomaios die Autokephalie erhalten hat? Und wie steht die konkurrierende Ukrainische Orthodoxe Kirche dazu?
Für die OKU bringt der Besuch von Patriarch Bartholomaios einige wichtige Aspekte mit sich. Erstens ist es der erste Besuch des Ökumenischen Patriarchen (des Ehrenvorsitzenden der orthodoxen Welt) in der Ukraine als Leiter einer lokalen (autokephalen) Kirche bei einer anderen Lokalkirche. Damit bezeugt er und gibt den übrigen Kirchen ein Zeichen, dass diese Kirche sich würdig entwickelt. Während seines Besuchs betonte er dies mehrmals in seinen Predigten. Deshalb ist anzunehmen, dass die Reise die Anerkennung der OKU durch weitere orthodoxe Lokalkirchen fördern wird.

Zweites ermöglichte Bartholomaios‘ Besuch eine Massenpilgerfahrt von Dutzenden Bischöfen, Hunderten von Geistlichen und Tausenden von Gläubigen aus allen Ecken der Ukraine nach Kiew, die noch unlängst verschiedenen Jurisdiktionen angehört hatten. In der OKU haben sich die beiden früher kanonisch nicht anerkannten ukrainischen Kirchen und ein Teil der Geistlichen und Laien des Moskauer Patriarchats vereinigt. Die gemeinsame Liturgie mit der Teilnahme von Tausenden Betenden im und vor dem Hauptheiligtum der Ukraine, der Sophienkathedrale, war die erste in der zeitgenössischen Geschichte der ukrainischen Kirche. Das ist ein wichtiges symbolisches Ereignis, das die kirchliche Einheit fördert und Perspektiven für das Leben der Kirche eröffnet.

Drittens bestätigt der Besuch von Patriarch Bartholomaios, dass die Orthodoxie eine wichtige Grundlage der ukrainischen Identität ist, was auch aus der Rede von Präsident Volodymyr Zelenskyj an der Feier des 30-Jahr-Jubiläums der Unabhängigkeit folgt. Zelenskyj, der im Unterschied zu seinem Vorgänger Petro Poroschenko eine größere Distanz zu Religion zeigt, hat nichtsdestotrotz vorgeschlagen, den Tag der Taufe der Rus‘ (die Fürst Vladimir/Volodymyr 988 vollzog) als Tag der ukrainischen Staatlichkeit zu feiern und den Tag zu einem Feiertag zu machen.

Die UOK befand sich angesichts des Besuchs in einer schwierigen Situation. Der konsequente Boykott jeglicher Kontakte mit Konstantinopel von ihrer Seite sieht wie eine kategorische Absage an einen Dialog bis zur Erfüllung einer Bedingung aus: der Wiederherstellung des Status Quo von 2018, was natürlich nicht möglich ist. Die Position der UOK unterscheidet sich in keinerlei Punkten von der Position des Moskauer Patriarchats, was als Verlust ihrer Eigenständigkeit (nach dem Tod ihres vorangegangenen Leiters, Metropolit Volodymyr) beurteilt werden kann. Die Kirche isoliert sich immer mehr von verschiedenen Prozessen, die in der ukrainischen Gesellschaft ablaufen, und stützt sich auf eine politische Kraft, die gemäß unterschiedlichen Umfragen lediglich 12 bis 18 Prozent der Wählerinnen und Wähler unterstützen.

Welche Auswirkungen hat der Besuch auf den innerorthodoxen Konflikt um die ukrainische Orthodoxie?
Bei ihren Auftritten unterstrichen sowohl Patriarch Bartholomaios als auch der Leiter der OKU, Metropolit Epifanij (Dumenko), ihre Beunruhigung darüber, dass die Gläubigen der UOK momentan von der vollständigen Gemeinschaft mit der Mutter-Kirche in Konstantinopel und der OKU getrennt und entfernt sind. Zurzeit ist es schwer vorstellbar, dass sich die Position der UOK-Leitung ändern kann. Vieles hängt vom friedensstiftenden Potential der ganzen ukrainischen Orthodoxie und ukrainischen Gesellschaft ab. Jegliche erfolgreiche konstruktive Aktivität – sowohl durch die aktive Zivilgesellschaft als auch gläubiger Menschen als Teil dieser Gesellschaft – kann als positives Beispiel für eine Annäherung der Ziele und eine Vereinigung der Kräfte dienen. Solche Aktivitäten sind auf den Gebieten der Ökologie, Kultur und im sozialen Bereich möglich. Eine positive Perspektive vermitteln insbesondere die Kontakte und die Zusammenarbeit des „Kirchenvolks“, der gewöhnlichen Gläubigen, Bürgerinnen und Bürger der Ukraine.

Bohdan Ohultschanskyj, wissenschaftlicher Sekretär der Offenen Orthodoxen Universität der Hl. Sophia und Priester der Orthodoxen Kirche der Ukraine.

Übersetzung aus dem Russischen: Natalija Zenger.

[1] Die Position der Ukrainer zum Erhalt des Tomos. Das Verhältnis von „positiv-negativ-neutral“: 54 Prozent – 11 Prozent – 31 Prozent (Daten vom Mai 2019), https://ua.interfax.com.ua/news/general/588722.html. Die Position zur Verkündigung der Unabhängigkeit 2021: positiv – negativ: 80 Prozent – 15 Prozent, https://ru.slovoidilo.ua/2021/08/20/infografika/obshhestvo/kak-menyalos-otnoshenie-ukraincev-nezavisimosti.

[2] http://kiis.com.ua/?lang=rus&cat=reports&id=1052&page=1.

Bild: Patriarch Bartholomaios mit dem ukrainischen Präsidenten Volodymyr Zelenskyj an der Militärparade anlässlich der Unabhängigkeitsfeier der Ukraine am 24. August 2021. (© president.gov.ua)