Drei Narrative über das Christentum in der Ukraine
Sebastian Rimestad
Beim Verfassen dieses Textes tobt der Krieg in der Ukraine bereits seit zwei Monaten und es ist kein Ende des Konfliktes in Sicht. Vielmehr droht er, zu einer lang hinausgezogenen Fehde zu werden, weil keine der beiden Seiten in der Lage ist, der anderen den Sieg zuzugestehen. Die sich anfangs andeutende religiöse Dimension des Krieges hat sich inzwischen relativiert.undefined Die Aktionen der russischen Armee können beim Vormarsch und vor allem im Rückzug nicht mehr mit religiösen Argumenten heruntergespielt, geschweige denn gerechtfertigt werden. Dennoch versucht Patriarch Kirill (Gundjajew) von Moskau dem Geschehen eine religiöse Deutung zu geben, in der die russischen Soldaten für Gott und Vaterland kämpften gegen eine in seiner Vorstellung verdorbene, gottlose westliche Welt, die irgendwie dabei sei, den Ukrainern den Weg zur Wahrheit zu versperren.
Die Rhetorik ist Analysten hinlänglich bekannt, überrascht dennoch immer wieder. Dabei ist es keinesfalls eine radikale Abkehr von dem, was Kirill und die Russische Orthodoxe Kirche seit Jahrzehnten predigen, sondern lediglich die äußeren Umstände haben sich gewandelt. Diese Rhetorik beruht auf der Vorstellung, dass die ukrainische Nation eine Art rebellischer kleiner Bruder der russischen Hauptnation sei, der ab und zu auf seinen rechten Platz gewiesen werden müsse. Inzwischen hat sich dieses Narrativ politisiert und wird von kirchlichen Akteuren, allen voran Patriarch Kirill, nur noch als Instrument im geopolitischen Kampf der Ideologien benutzt. Der Bezug zum religiösen Fundament ist längst verloren gegangen, obwohl es immer wieder mehr oder weniger laute Stimmen gibt, die einen Irrweg des Patriarchen beklagen.