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Die Mariä-Himmelfahrts-Lesungen 2017

26. Oktober 2017
Konstantin Sigov

Seit 2001 findet in Kiew die internationale theologische Konferenz „Mariä-Himmelfahrts-Lesungen“ auf Initiative des Zentrums für europäische geisteswissenschaftliche Forschung der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie und der Fachherausgebervereinigung Duch i litera (Geist und Druckbuchstabe) statt. An der jährlichen Konferenz, die vom Osteuropa-Hilfswerk Renovabis unterstützt wird, nehmen Theologen und Geistliche verschiedener Konfessionen, Philosophen und andere Geisteswissenschaftler aus der Ukraine, Polen, Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Italien, Spanien, Russland, Weißrussland, Lettland und den USA teil. Die Mariä-Himmelfahrts-Lesungen haben sich somit zur beständigsten ökumenischen Konferenz im postsowjetischen Raum entwickelt.

Die Hauptziele der Lesungen sind die Vertiefung des gegenseitigen Verständnisses und der Zusammenarbeit zwischen Vertretern verschiedener christlicher Konfessionen, insbesondere zwischen östlichen und westlichen Christen sowie die Weiterentwicklung der theologischen Ausbildung in der Ukraine. Für jede Konferenz wird ein aktuelles Thema gewählt, das in der gemeinsamen christlichen Geschichte und Kultur verwurzelt sein muss. So waren die Themen der vorangegangenen Jahre „Vertrauen. Würde. Barmherzigkeit“ (2016), „Wahrheit. Erinnerung. Versöhnung“ (2015) und „Dialog – communio – koinonia: Quellen, Wege des Verständnisses und der Verwirklichung“ (2014). Die Vorträge werden in ukrainischer, russischer, englischer, französischer und italienischer Sprache gehalten und synchron in diese Sprachen übersetzt. Die Sitzungen finden an historisch, spirituell und kulturell bedeutenden Orten in Kiew statt: auf dem Gelände des historisch-kulturellen Parks „Kiewer Sofia“, des Höhlenklosters, der Kiew-Mohyla-Akademie und des religionswissenschaftlichen Instituts des Hl. Thomas von Aquin.

Thema der diesjährigen Lesungen war „Freiheit. Autorität. Dienst“. Diese Begriffe werden in der heutigen Zeit oft verzerrt und abgewertet. So wird die Freiheit der Autorität entgegengesetzt, und der Dienst wird Unterordnung und Zwang gleichgestellt. Wir brauchen eine universale Erforschung dieser Begriffe, ihres Verständnisses und ihrer entsprechenden praktischen Anwendung. Das ist in Krisenzeiten besonders wichtig. Die Situation in der Ukraine, in Europa und der ganzen Welt zwingt darüber nachzudenken, wie nach neuen Formen des Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Anschauungen gesucht werden kann.

Die Konferenz wurde am 23. September in der Hl. Sofia mit einem Vortrag des apostolischen Nuntius in der Ukraine, Erzbischof Claudio Gugerotti, über das Verständnis von „Vielfalt“ und „Einheit“ in der Kirche entsprechend den Lehren armenischer Theologen eröffnet. Danach sprachen unter anderen die amerikanische Dominikanerin Mary Madeline Todd zum Thema des Verzeihens als Basis der Freiheit bei zeitgenössischen christlichen Märtyrern, der Kiewer Priester Andriy Dudchenko über das lokale Prinzip, Nationalität und den Vorrang in der Ekklesiologie von Vater Alexander Schmemann, Bruder Adalberto Mainardi aus dem ökumenischen Kloster Bose in Italien über den orthodox-katholischen Dialog, der orthodoxe Priester Genrich Paprozki aus Warschau über „Autorität als Dienst“; der katholische Philosoph Adriano dell‘Asta der Universität Mailand über die Komplementarität der Freiheit und des Dienstes und die Religionswissenschaftlerin Irina Pjart aus Tallinn über Autorität und Freiheit im postsowjetischen Russland.

Am nächsten Tag wurden die Lesungen im religionswissenschaftlichen Institut des Hl. Thomas von Aquin mit Vorträgen des Priestermönchs Antoine Lambrechts aus dem Benediktinerkloster Chevetogne in Belgien, des römisch-katholischen Bischofs Vitaliy Krivitskiy von Kiew-Schytomyr, des Kiewer baptistischen Theologen Mykhailo Cherenkov sowie der orthodoxen Priester Bogdan Ogultschanskij und Georgij Kovalenko aus Kiew und anderen fortgesetzt.

Am letzten Tag traten in der Kiew-Mohyla-Akademie der Leiter der Abteilung für Religion des ukrainischen Kulturministeriums, Andrej Jurasch, der Leiter einer OSZE-Abteilung in der Ukraine und ehemaliger Kanzler der Frankfurter Universität, Hans Georg Mockel, der Theologe Peter de Mey von der Universität Leuven, Erzbischof Filaret (Kutscherov) von Lviv und Galizien der Ukrainischen Orthodoxen Kirche-Moskauer Patriarchat, Doktor der Biblioteca Ambrosiana in Mailand und Priester Francesco Braschi, der erste Rektor der ukrainischen katholischen Universität in Lviv, Erzpriester Mykhailo Dymyd (Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche) sowie die Philosophin und Dekanin der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Kiew-Mohyla-Akademie Marina Tkatschuk auf.

Im Rahmen der Lesungen werden Bücher des Verlags Duch i litera und verschiedene Projekte vorgestellt. Dieses Mal wurde das für die Ukraine äußerst aktuelle Projekt „Dialog in Aktion“ präsentiert, das auf die Entwicklung einer Dialogkultur in den lokalen Gemeinden kleiner Städte in der Ukraine zielt.

Schließlich muss auch die geistliche Dimension der Konferenz angesprochen werden, über die Schwester Mary Madeline Todd in ihrem Kommentar zu den Lesungen folgendes geschrieben hat: „Über den reichen Ideenaustausch hinaus, den die Präsentation hervorragender Arbeiten begünstigte, war ich während der drei Tage der Konferenz von der Gelegenheit, zusammen zu beten und gemeinsam mit den Konferenzteilnehmern zu essen, tief bewegt. Diese Elemente schufen eine Atmosphäre von einem viel mehr als intellektuellen Austausch, reich an menschlicher Interaktion und Freundschaft. An der Konferenz repräsentierten wir eine Vielfalt von Nationen und Religionen, und beim gemeinsamen Gebet und den gemeinsamen Mahlzeiten entdeckten wir eine tiefere Einheit, die ein wahres Werk des heiligen Geistes und ein Resultat von aufrichtiger menschlicher Interaktion sowie dem Austausch von Geschenken ist. Ich glaube, dass Erfahrungen wie die Mariä-Himmelfahrts-Lesungen für die ökumenische Bewegung und die Verwirklichung des Gebets von Jesus in der Nacht vor seinem Tod, dass alle eins werden, wie er und sein Vater, essentiell sind.“

Übersetzung aus dem Russischen: Natalija Zenger.