Kommuniqué des orthodox-katholischen Arbeitskreises St. Irenäus 2023
Kommuniqué – Balamand 2023
Auf Einladung Seiner Seligkeit Patriarch Johannes X. (Yazigi) von Antiochien, dem ehemaligen Ko-Vorsitzenden des Gemeinsamen orthodox-katholischen Arbeitskreises St. Irenäus (2008-2012), kam der Irenäuskreis vom 21. bis 25. Juni 2023 zu seiner 19. Jahrestagung in der Orthodoxen Theologischen Fakultät St. Johannes von Damaskus in Balamand (Libanon) zusammen, um dabei den 30. Jahrestag des Dokuments von Balamand zu begehen. Die Tagung stand unter der Leitung des orthodoxen Ko-Vorsitzenden, Metropolit Serafim Joantă von Deutschland, Mittel- und Nordeuropa (Rumänische Orthodoxe Kirche). Der katholische Ko-Vorsitzende, Bischof Gerhard Feige von Magdeburg, konnte nicht teilnehmen.
Bei der Eröffnung der Jahrestagung wurde die Arbeitsgruppe von Patriarch Johannes X., vom Präsidenten der Universität Balamand, Dr. Elias L. Warrak, und vom Dekan der Theologischen Fakultät, Archimandrit Dr. Jack Khalil, begrüßt. In seiner Rede betonte Patriarch Johannes X. die Bedeutung der Zusammenarbeit bei der Tagung der Internationalen Dialogkommission in Balamand 1993 und die schwierige Lage der Christen im Nahen Osten.
In ihrer ersten Plenarsitzung begrüßte die Gruppe als Gäste Dr. Marie-Hélène Blanchet, Forschungsdirektorin am Centre National de la Recherche Scientifique, und Dr. Gabriel Alfred Hachem, Theologieprofessor an der Université Saint-Esprit Kaslik. Als Beobachter nahmen auch zwei Doktoranden aus Balamand und ein Doktorand aus Kaslik teil.
Der Irenäuskreis befasste sich mit der Geschichte der Versuche, das Schisma zwischen Katholiken und Orthodoxen zu überwinden, die zum Dokument von Balamand führten, mit dem Dokument selbst und mit seiner späteren Rezeption. Die Ergebnisse der Gespräche sind in den folgenden Thesen zusammengefasst.
Auf dem Weg nach Balamand: Die Konzile von Lyon und Ferrara-Florenz
Das Zweite Konzil von Lyon (1274)
(1) Unter den drei Themen, mit denen sich das Konzil von Lyon (1274) befasste (Planung und Durchführung eines neuen Kreuzzuges, Union mit den Griechen, innerkirchliche Reformen), spielte die Union nur eine untergeordnete Rolle. Das Konzil von Lyon war in erster Linie als ein politisches Bündnis gedacht. Allerdings spielte es für die Katholiken u.a. eine wichtige Rolle bei der Bestätigung der Lehre von den sieben Sakramenten, die teilweise von den Orthodoxen übernommen wurde. Die Rezeptionsgeschichte dieses Konzils ist noch nicht geschrieben.
(2) Rezeption ist ein fluider Begriff, selbst innerhalb ein und derselben Tradition, und der Prozess der Rezeption ist komplex und kann durch eigene Interessen beeinflusst werden. Das Zweite Konzil von Lyon ist ein gutes Beispiel dafür, weil aus katholischer Sicht vor allem der päpstliche Primat zum Leitmotiv wurde, während aus orthodoxer Sicht die Ablehnung der Union im Vordergrund steht.
Das Konzil von Ferrara-Florenz (1438-45)
(3) Das Konzil von Ferrara-Florenz ist erst unlängst in unseren ökumenischen Dialogen behandelt worden. Es stellt den letzten Versuch dar, das Schisma zwischen Lateinern und Griechen durch ein Konzil zu überwinden. Es scheiterte jedoch insofern, als die Gemeinschaft nicht dauerhaft wiederhergestellt wurde, insbesondere weil die Orthodoxen das Filioque nicht akzeptierten und sich weigerten, den päpstlichen Primat im Sinne des Konzils anzuerkennen. Darüber hinaus wies das Konzil zahlreiche Mängel auf, darunter die den Griechen abverlangten Zugeständnisse und die eingeschränkte Vertretung der Patriarchate von Alexandrien, Antiochien und Jerusalem.
(4) Das Konzil von Ferrara-Florenz, das von den Orthodoxen damals wie auch später weithin als Pseudokonzil abgelehnt wurde, löste unter den Patriarchaten des Ostens erhebliche Diskussionen aus. Spätere Unionsversuche führten zu lokalen Unionen, wie der von Brest im Jahr 1596 und der Entstehung einer mit Rom vereinten Kirche im polnisch-litauischen Staat. Diese späteren Unionen stützten sich auf die theologischen Argumente von Ferrara-Florenz in Bezug auf das Filioque und den Primat sowie auf das Recht der Ostkirchen, ihre eigenen liturgischen Riten beizubehalten.
(5) Dennoch bleibt Ferrara-Florenz im Gegensatz zu Lyon II in mancher Hinsicht ein potenziell konstruktiver Bezugspunkt bei der andauernden Suche nach Einheit, etwa im Blick auf seine Sprache der gegenseitigen Annäherung, auf seine Bekräftigung der Gleichberechtigung der Vertreter des Ostens und des Westens, und im Blick auf die begrenzten, aber bedeutsamen Versuche, auf die Anliegen der Orthodoxen einzugehen (zum Beispiel der Versuch, das Filioque im Sinne der griechischen patristischen Tradition zu deuten, die Verbindung des päpstlichen Primats mit den Akten der ökumenischen Konzile und den heiligen Kanones und die Bestätigung aller Rechte und Privilegien der östlichen Patriarchate).
(6) Im Anschluss an das Konzil von Ferrara-Florenz nahmen beide Seiten eine exklusivere Ekklesiologie an, wobei Einheit mit anderen Mitteln angestrebt wurde. Der Zusammenhang zwischen der Union von Florenz und der Entstehung der katholischen Ostkirchen ab dem 16. Jahrhundert ist nach wie vor sehr umstritten.
(7) Das Konzil von Ferrara-Florenz fand zu einem einzigartigen historischen Zeitpunkt statt, da das Papsttum aufgrund des aufkommenden Konziliarismus ausnahmsweise bereit war, einen echten theologischen Dialog mit den Griechen aufzunehmen. Es stellt somit eine verpasste Gelegenheit für ein echtes ökumenisches Konzil dar. Der Übergang zum Uniatismus des 16. Jahrhunderts als Methode zur Unterdrückung des Schismas ist ein umstrittenes Thema. Dieser Übergang korrespondiert mit einer Veränderung des Konzepts der Einheit.
Das Dokument von Balamand (1993)
(8) Ein Ergebnis des Zusammenbruchs der kommunistischen Regime und der damit verbundenen Religionsfreiheit war das Wiederaufleben der griechisch-katholischen Kirchen. Sie stellten eine Herausforderung für die orthodoxen Kirchen dar, insbesondere im Blick auf Kirchenmitgliedschaft, die Rückgabe von Kirchengebäuden und den Jurisdiktionswechsel von Pfarreien, was zu Spannungen zwischen den Gemeinschaften führte.
(9) Diese Entwicklungen wurden von den Orthodoxen als eine Form von Uniatismus und Proselytismus angesehen. Die Gemeinsame Internationale Kommission für den theologischen Dialog zwischen der Römisch-katholischen Kirche und der Orthodoxen Kirche befasste sich mit diesem Thema in der Erklärung von Freising (1990) und dem Dokument von Balamand (1993).
(10) Die wichtigsten Beiträge des Dokuments von Balamand sind die Ablehnung des Proselytismus oder des Uniatismus als Einheitsmodell, die Verurteilung aller Formen von Gewissenszwang, die Anerkennung des Existenzrechts der atholischen Ostkirchen und des Rechts auf Sorge für ihre Gläubigen sowie das Verständnis der orthodoxen und der katholischen Kirche als „Schwesterkirchen“ in apostolischer Sukzession und mit sakramentaler Fülle.
(11) Das Dokument von Balamand selbst enthält keine genauen Definitionen von Uniatismus und Proselytismus. Sie finden sich jedoch in der vorhergehenden Erklärung von Freising: „Der Ausdruck ‚Uniatismus‘ bezeichnet [...] den Versuch, die Einheit der Kirche durch Trennung von Gemeinden oder orthodoxen Gläubigen von der Orthodoxen Kirche zu verwirklichen, ohne zu bedenken, dass nach der Ekklesiologie die Orthodoxe Kirche eine Schwesterkirche ist, die selbst Gnaden- und Heilsmittel anbietet“ (6b). „Jeder Versuch, die Gläubigen von einer Kirche zur anderen hinüberzuziehen, [...] wird gewöhnlich ‚Proselytismus‘ genannt“ (7c). Das Dokument von Balamand schließt „für die Zukunft jeden Proselytismus und jedes Expansionsstreben der Katholiken auf Kosten der Orthodoxen Kirche“ aus. Es bestätigt jedoch, dass „die katholischen Ostkirchen [...] als Teil der katholischen Gemeinschaft das Recht haben, zu existieren und zu handeln, wie es den geistlichen Bedürfnissen ihrer Gläubigen entspricht“ (3).
(12) Das Dokument von Balamand lehnt Methode und Modell des Uniatismus ab „aufgrund der Art und Weise, wie Katholiken und Orthodoxe sich in ihrem Bezug zum Geheimnis der Kirche von neuem anschauen und sich als Schwesterkirchen wiederentdecken“ (12). Eine erhebliche Schwäche liegt jedoch darin, dass die Bedeutung des Begriffs „Schwesterkirchen“ nicht näher erläutert wird. Dieser Begriff ist nicht immer einheitlich verstanden und rezipiert worden. Einerseits halten ihn einige Orthodoxe für problematisch, weil er die volle Kirchlichkeit der katholischen Kirche impliziert. Andererseits wird in der Note der Glaubenskongregation über den Ausdruck „Schwesterkirchen“ aus dem Jahr 2000 die Auffassung vertreten, dass dieser Begriff die tatsächliche Existenz der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche, die im Glaubensbekenntnis bekannt wird, verschleiert (11).
Die Rezeption des Dokuments von Balamand
(13) Die Rezeption des Dokuments von Balamand war sowohl bei den Orthodoxen als auch bei den Katholiken problematisch, insbesondere im Blick auf das Konzept der „Schwesterkirchen“. Auf Seiten der Orthodoxen reichte das Spektrum der Reaktionen von Zustimmung bis zu scharfer Ablehnung. So begrüßte beispielsweise der rumänisch-orthodoxe Metropolit Antonie Plămădeală das Balamand-Dokument als prophetisch und von Ehrlichkeit und Demut geprägt, während die Äbte der Klöster auf dem Berg Athos dieses Dokument heftig kritisierten. Das Moskauer Patriarchat führte eine eigene Gesprächsreihe mit dem Heiligen Stuhl über die Folgen des Dokuments.
(14) Auch aufseiten der katholischen Ostkirchen waren die Meinungen über das Dokument von Balamand sehr unterschiedlich. Während die Griechisch-katholische Kirche in Rumänien den Text scharf ablehnte, hielt die Melkitische griechisch-katholische Kirche ihn für eine gute Initiative zur Wiedervereinigung.
(15) Eine Folge dessen, dass es mit dem Dokument von Balamand nicht gelang, die Frage des Uniatismus zu lösen, war der vorläufige Abbruch des offiziellen internationalen orthodoxkatholischen Dialogs in Baltimore (2000). Diese bis 2006 dauernde Unterbrechung führte zur Gründung des Gemeinsamen orthodox-katholischen Arbeitskreises St. Irenäus im Jahr 2004.
(16) Zu einem erfolgreichen Dialog zwischen unseren Kirchen gehören auch Fragen der Geschichtsschreibung und der Rezeption. So muss beispielsweise eine gemeinsame Darstellung der Geschichte des Uniatismus, wie sie im Dokument von Balamand (30) gefordert wird, erst noch erstellt werden. Die Rezeption auf wissenschaftlicher und ökumenischer Ebene erfordert eine methodologische Kombination theologischer, quellenbasierter, historischer und soziopolitischer Ansätze. Die Rezeption in der Praxis betrifft die sicht- und spürbaren Dimensionen der Volksfrömmigkeit und des liturgischen Vollzugs (z. B. die Verwendung von Azymen, die Diptychen und das Rezitieren des Glaubensbekenntnisses mit oder ohne Filioque). Katholiken und Orthodoxe wären gut beraten, ein Gespräch über die Bedeutung und die Kriterien von Rezeption zu führen, einschließlich der Kriterien zur Bestimmung des sensus fidelium/pleroma.
Offene Fragen im Blick auf das Dokument von Balamand
(17) Das Dokument von Balamand schlug zwar kein neues Modell der Gemeinschaft vor, aber es regte unter der Überschrift „Praktische Regeln“ pastorale Zusammenarbeit an, die leider nicht vollständig umgesetzt wurde. Eine solche Form der pastoralen Ökumene, wie sie sich zum Beispiel in pastoralen Vereinbarungen zwischen Katholiken und Orthodoxen im Libanon und im Nahen Osten (vgl. die Vereinbarung von Charfeh, 1996) zeigt, ist ein vielversprechender Weg, um Gemeinschaft im Leben unserer Kirchen aufzubauen.
(18) Die Rezeption des Dokuments von Balamand im Libanon zeigt sich vor allem im pastoralen Bereich, insbesondere bei interkonfessionellen Ehen. Dementsprechend kam es im pastoralen Kontext zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen der Griechisch-orthodoxen und der Katholischen Kirche einerseits und der Griechisch-orthodoxen und der Syrisch-orthodoxen Kirche andererseits. Das Schicksal und das Zeugnis der beiden Metropoliten von Aleppo, die verschiedenen Kirchen angehören und vor zehn Jahren gemeinsam entführt wurden, spiegelt symbolisch diese wachsende Gemeinschaft unter den Christen im Nahen Osten wider.
(19) Das vom griechisch-katholischen Erzbischof Elias Zogby vorgeschlagene Konzept der „doppelten Gemeinschaft“ zur Wiederherstellung der Gemeinschaft mit dem Griechischorthodoxen Patriarchat von Antiochien – ein Projekt, das von der griechisch-katholischen Synode offiziell angenommen und der griechisch-orthodoxen Synode 1996 vorgelegt worden war – wurde schließlich wegen seiner ekklesiologischen und kanonischen Zweideutigkeit abgelehnt (vgl. Irenäuskreis, Kommuniqué von Trebinje, Nr. 9). Trotz dieses Scheiterns sollte die Dynamik der Annäherung unter Berücksichtigung der pastoralen Realität und der Beteiligung aller Glieder des Volkes Gottes in einem Geist der Synodalität wiederbelebt werden.
(20) Der Krieg in der Ukraine wirft auch neue und ernste Fragen kirchlichen Charakters auf, darunter die Beziehung zwischen Kirche und Staat, die Verwechslung von Ideologie und Theologie, wie sie in Fällen von Phyletismus in verschiedenen christlichen Traditionen zum Ausdruck kommt, und die Verschärfung der Stereotype, die die innerorthodoxen und ökumenischen Beziehungen belasten. Zu diesen Stereotypen gehören die Ost-West-Spaltung und die Verwendung des abwertenden Begriffs „Uniaten“. Diese Themen können aber auch Chancen zu einer Vertiefung des Dialogs bieten.
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Während des Treffens in Balamand gab Metropolit Serafim bekannt, dass er sein Amt als orthodoxer Ko-Vorsitzender aus Altersgründen niederlegen möchte. Die Mitglieder des Irenäuskreises wählten einstimmig ihr langjähriges Mitglied Grigorios Papathomas, seit 2021 Metropolit von Peristeri, zum neuen orthodoxen Ko-Vorsitzenden. Am Ende des Treffens bedankte sich der Irenäuskreis herzlich bei seinen beiden libanesischen Mitgliedern, Pater Rektor Michel Jalakh und Professor Assaad Elias Kattan, für ihr persönliches Engagement bei der Organisation des Treffens, beim Institut für Theologie des hl. Johannes von Damaskus der Universität Balamand für die Ausrichtung des Treffens und bei der Antoniner-Universität in Beirut für die Gastfreundschaft während des Aufenthalts der Mitglieder in Beirut. Der Irenäuskreis brachte auch seine Dankbarkeit für eine Initiative der regionalen ökumenischen Familie „Dass alle eins seien“ zum Ausdruck, die das Treffen mit Gebet und Fasten begleitete.
Der Gemeinsame orthodox-katholische Arbeitskreis St. Irenäus setzt sich aus 26 Theologen, 13 Orthodoxen und 13 Katholiken, aus mehreren europäischen Ländern, dem Nahen Osten und Amerika zusammen. Er wurde 2004 in Paderborn (Deutschland) gegründet und ist seitdem in Athen (Griechenland), Chevetogne (Belgien), Belgrad (Serbien), Wien (Österreich), Kiew (Ukraine), Magdeburg (Deutschland), St. Petersburg (Russland), Bose (Italien), Thessaloniki (Griechenland), Rabat (Malta), Chalki bei Istanbul (Türkei), Taizé (Frankreich), Caraiman (Rumänien), Graz (Österreich), Trebinje (Bosnien und Herzegowina), Rom (Italien), Cluj-Napoca (Rumänien) und Balamand (Libanon) zusammengekommen. In Balamand wurde beschlossen, das nächste Treffen des Irenäuskreises im September 2024 in Deutschland abzuhalten.