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PRO ORIENTE – 60 Jahre im Dienst der Einheit zwischen Ost und West

21. März 2024

Vor 60 Jahren wurde die Stiftung PRO ORIENTE vom Wiener Kardinal Franz König gegründet. Welche Zielsetzungen waren mit der Gründung der Stiftung verbunden?
Kardinal König gehörte zu den bedeutenden Teilnehmern des II. Vatikanischen Konzils und hatte Einfluss u.a. auf das Konzilsdekret „Unitatis Redintegratio“ über den Ökumenismus. Noch vor dessen offizieller Verabschiedung gründete er gemeinsam mit weiteren Persönlichkeiten aus Kirche, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft im Jahr 1964 die Stiftung PRO ORIENTE. Gründungsidee war, die ökumenischen Beziehungen der römisch-katholischen Kirche zu den orthodoxen und orientalischen Kirchen zu pflegen und zu fördern. Dies war damals von großer Bedeutung, weil es noch keine offiziellen Dialoge oder regelmäßige Treffen zwischen den Hierarchen dieser Kirchen gab. Als Standort für die Stiftung bot sich Wien unter anderem deshalb an, weil es weit östlich im politisch neutralen Österreich lag und so auch für Kirchenvertreter aus den kommunistisch regierten Ländern Ost- und Mitteleuropas erreichbar war. Zugleich ging es ihm und den Mitgründern darum, auch unter den einheimischen Christinnen und Christen die ökumenische Gesinnung zu vertiefen und ökumenische Aktivitäten zu unterstützen.

PRO ORIENTE engagiert sich für die Stärkung der Communio (Gemeinschaft) der Kirchen des Ostens und des Westens. Welche Schritte der Annäherung zwischen den Kirchen des Ostens und des Westens konnten in den letzten 60 Jahren mit Hilfe von Pro Oriente erreicht werden?
PRO ORIENTE hat im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Dialoginitiativen unternommen und unterschiedliche Formate für diese Dialoge entwickelt. Wichtig war und ist dabei immer, dass es sich nicht um offizielle Dialoge der Kirchen selbst handelte, sondern um inoffizielle Dialoge zwischen den beteiligten Kirchenvertretern. Durch diese Rahmenbedingungen konnte vor allem Vertrauen aufgebaut werden, ohne das die späteren offiziellen Dialoge sicher nicht zu Stande gekommen wären. Es wurden in diesen inoffiziellen Dialogen im Laufe der Jahre wesentliche theologische Klärungen erzielt. Herausragend ist dabei vor allem die später so genannte „Wiener Christologische Formel“, auf die sich die Vertreter der orientalisch-orthodoxen Kirchen und der katholischen Kirche bereits 1971 verständigen konnten. In dieser Formel wird der gemeinsame Glaube an das wahre Gottsein und das wahre Menschsein Jesu Christi zum Ausdruck gebracht, ohne das Wort „Natur/en“ zu verwenden. So konnte der rund um das Konzil von Chalzedon (451) entstandene Streit darüber, ob man von einer (göttlichen) Natur des fleischgewordenen göttlichen Wortes (logos) sprechen sollte (wie es die orientalisch-orthodoxen Kirchen tun), oder von zwei Naturen (der göttlichen und der menschlichen, unvermischt und ungetrennt), wie es das Konzil von Chalzedon formuliert hat, überwunden werden. Zugleich wurde mit der Einigung auf diese Formel die christologische Grundlage für die späteren offiziellen gemeinsamen Erklärungen von Päpsten und Oberhäuptern von orientalisch-orthodoxen Kirchen gelegt, wie z. B. die Gemeinsame Erklärung von Papst Paul VI. und dem koptischen Papst Schenouda III. aus dem Jahr 1973.

Was sind die gegenwärtigen Arbeitsschwerpunkte bzw. Projekte von PRO ORIENTE?
In einem „Zukunftsprozess“ hat PRO ORIENTE in den vergangenen Jahren seine aktuellen Arbeitsschwerpunkte neu ausgerichtet. Neben den theologischen Dialogen mit Vertretern der orientalischen und orthodoxen Kirchen kümmern wir uns aktuell verstärkt um die Förderung der Rezeption der bereits erreichten ökumenischen Übereinkünfte und um entsprechende Vernetzungen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Ausbildung und Förderung einer ökumenisch ausgerichteten Identität bei kirchlich engagierten jungen Christinnen und Christen verschiedener Kirchen, insbesondere in den Ländern des Nahen Ostens. An einem Workshop, der zum 60-Jahr-Jubiläum vergangene Woche in Wien stattgefunden hat, nahmen junge orthodoxe und orientalische Christinnen und Christen teil, die eine Heimat gefunden haben in den Ländern West- und Mitteleuropas – Gebiete, die aus Sicht ihrer Kirchen zur Diaspora gehören.

Daneben ist das Thema „Synodalität“ auch für uns mit Blick auf den derzeit laufenden Synodalen Prozess der katholischen Kirche von großer Bedeutung, zu dem wir Erfahrungen von Synodalität aus den östlichen Kirchen beisteuern, die auf unterschiedlichen Ebenen und in vielfältigen Formen synodale Elemente bewahrt und ausgebildet haben. Teilweise gehen diese auf sehr alte kirchliche Traditionen zurück, die bis in die apostolische Zeit reichen. Wir haben zu diesem Thema Ende 2022 im Angelicum (Päpstliche Universität St. Thomas von Aquin) und gemeinsam mit dem dortigen Institut für Ökumenische Studien mehrere Konferenzen durchgeführt, deren Ergebnisse in den Synodalen Prozess eingeflossen und deren Beiträge inzwischen in einem Tagungsband erschienen sind. Außerdem ist rund um diese Konferenzen ein faszinierender Dokumentarfilm über Synodalität in den Ostkirchen entstanden, dessen Trailer auf unserem YouTube-Kanal verfügbar ist . Inzwischen liegen von dem Film Fassungen in neun Sprachen vor, die auf verschiedenen Fernsehsendern weltweit ausgestrahlt wurden bzw. werden. Weitere Versionen sind in Vorbereitung, u.a. eine Kurzfassung zur Verwendung in der Erwachsenenbildung oder im schulischen Religionsunterricht.

Es gibt zahlreiche Kriege und Konflikte in Osteuropa und im Nahen Osten, die auch die Kirchen tangieren. Wie beeinflussen die Konflikte die Arbeit von PRO ORIENTE, und versucht die Stiftung auch in diesen Konfliktkontexten einen Beitrag zur zwischenkirchlichen Verständigung zu leisten?
Die Konflikte und Kriege in den genannten Regionen berühren auch uns und unsere Arbeit bei PRO ORIENTE sehr. Wir sind solidarisch mit den leidenden Menschen und bemühen uns, wo und soweit uns das möglich ist, durch unsere Kontakte zu Kirchenvertretern in diesen Regionen Beiträge zur zwischenkirchlichen Verständigung zu leisten. So haben wir im vergangenen November ein Projekt zur „Heilung der Erinnerungen“ begonnen. Beteiligt sind Theologinnen und Theologen sowie kirchliche Vertreter aus Osteuropa (Großraum Ukraine), aus Südosteuropa (vor allem aus den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawiens) und aus dem Nahen Osten. Die orthodoxen und katholischen Teilnehmenden der Auftaktkonferenz in Wien waren sich einig, dass es zum Grundauftrag der Kirchen gehört, zu Frieden und Versöhnung zwischen den Menschen beizutragen. Ebenfalls bestand Konsens darüber, dass dazu auch eine Aufarbeitung der zwischenkirchlichen Verwerfungen und Konflikte gehört, die teilweise weit in die Vergangenheit zurückreichen, und die die so „verwundeten“ wechselseitigen Erinnerungen weiter belasten. Dies ist nötig und wird auch in Zukunft nötig sein, gerade dort, wo in den aktuellen Kriegen und Konflikten fast täglich neue Verwundungen hinzukommen. So hat das Projekt eine traurige Aktualität gerade in den genannten Konfliktgebieten bekommen. Auch wenn wir auf eine Beendigung der militärischen Gewalt keinen direkten Einfluss haben, versuchen wir, durch unsere Arbeit Beiträge zu Heilung und Versöhnung zu leisten. Wir hoffen, dass so orthodoxe und katholische Christinnen und Christen gemeinsam zu einer Beendigung oder wenigstens Unterbrechung der Spirale der Gewalt beitragen können.

Bernd A. Mussinghoff, Dipl.-Theol. und Generalsekretär der Stiftung PRO ORIENTE.

Bild: Auftaktkonferenz zum Projekt „Heilung der Erinnerungen“ von PRO ORIENTE im November 2023 in Wien (Foto: Pro Oriente).