Patriarch und Kirche: Putins mächtige Helfer

Interview der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit Kristina Stoeckl
Seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine hat sich das Verhältnis zwischen russisch-orthodoxer Kirche und Staat drastisch verändert: Die Kirche hat sich zu einer festen Stütze der russischen Staatsideologie entwickelt. Präsident Putin lässt sich von Patriarch Kyrill unterstützen, religiöser Widerspruch wird unterdrückt, kritische Stimmen wandern ins Exil.
Kristina Stoeckl, Professorin für Soziologie an der Universität Innsbruck, Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und Expertin für Religion und Politik in Russland, analysiert im Interview die zunehmende Verflechtung von Kirche und Staat. Sie erklärt, wie viel religiöse Unabhängigkeit der russisch-orthodoxen Kirche noch bleibt und warum das Moskauer Patriarchat einen globalen Machtanspruch hat. Deutlich wird dabei eines: Die Religion ist in Russland erneut zu einem entscheidenden politischen Werkzeug geworden.
Sie beschäftigen sich seit Jahren mit der russisch-orthodoxen Kirche. Wie hat sich die Rolle der Kirche seit der Sowjetunion verändert?
Kristina Stoeckl: Die russisch-orthodoxe Kirche trat Anfang der 1990er Jahre in das post-sowjetische Russland mit einem offenen Horizont ein. Sie hatte zuvor vier prägende Erfahrungen gemacht: Repression durch die sowjetischen Machthaber, Kollaboration mit dem Regime, Dissidenz – also religiöser Widerstand – und Emigration. Viele Gläubige flüchteten, und in Westeuropa sowie Nordamerika entstand eine Exilorthodoxie, die teils rückwärtsgewandt, zum Teil aber durchaus modern und pluralistisch war. Seit den 1990ern existieren in der russisch-orthodoxen Kirche diese verschiedenen – oft widersprüchliche – Strömungen. Genau diese Spannungen haben mich als Forscherin interessiert, insbesondere im Blick darauf, wie viel Widerspruch Kirche überhaupt aushalten kann und was das für ihr Verhältnis zum Staat bedeutet.