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Radu Preda zu den Protesten in Rumänien und zur "Kathedrale der Erlösung des Volkes"

30. April 2018
Im letzten Jahr gab es in Rumänien mehrfach Proteste gegen Gesetzesänderungen zur Verwässerung der Korruptionsbekämpfung. Wie hat sich die Rumänische Orthodoxe Kirche zu den Protesten positioniert?
Bezüglich der Proteste ist meine Wahrnehmung ein wenig gespalten. Einerseits ist es gut, wenn die Gesellschaft agiert. Das ist immer ein Pluspunkt, egal, wo solche Proteste stattfinden, ob in Rumänien oder anderswo. Aber andererseits habe ich noch immer eine Frage an die Protestierenden: Wo waren sie, als die Wahlen stattfanden? Die Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Dezember 2016 war miserabel, allein in Bukarest sind weniger als 30 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen gegangen. Also befürworte ich zwar die Proteste, möchte aber die Leute auch ermutigen, ihr Recht auszuüben, alle paar Jahre wirklich an die Urnen zu gehen. Wenn es nur bei Protesten bleibt, wenn sie nur Ausdruck einer Emotion der Zivilgesellschaft bleiben, dann sind sie auf längere Sicht für das Land nicht unbedingt nützlich. Deshalb würde ich das immer verknüpfen: Protestbewegung mit der Ausübung der Wahlrechte, und zwar dezidierter und bewusster, als das bis jetzt der Fall gewesen ist.

Die Kirche hat sich meiner Meinung nach richtig positioniert. Sie hat sich nicht vereinnahmen lassen, das war wichtig. Außerdem hat sie sich auch zum Inhalt der Proteste geäußert, nämlich dass Korruption an sich eine Sünde sei. Und diese zu bekämpfen sei ein Muss, auch für die Christen. Ich muss sagen, dass sich die Stimme der Kirche in den letzten Jahren zum Besseren gewandelt hat.

Ende November wird in Bukarest eine der größten orthodoxen Kirchen in Südosteuropa eingeweiht. Welche Symbolkraft hat die neue „Kathedrale der Erlösung des Volkes“? Was verbindet die Rumänische Orthodoxe Kirche mit diesem Kirchenbau?
Die Planungen zu dem Bau begannen schon vor 100 Jahren. Gleich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, nach der Schaffung des sog. Großrumänien, sollte die Kathedrale erbaut werden. Doch dann kam in den 1920er Jahren die Wirtschaftskrise, dann der Zweite Weltkrieg, dann die Kommunisten und erst nach der Wende vor 30 Jahren hat man das Projekt wiederbelebt. Natürlich gibt es auch jetzt ein paar Schwierigkeiten: Denn Teile der Gesellschaft haben nicht verstanden, wieso sich die Kirche so etwas leisten kann. Und vor allem, warum die Kirche aus öffentlichen Quellen Geld für dieses Vorhaben erhält. Also gab es diesbezüglich viel Kritik und nicht nur von denjenigen, die der Kirche sowieso kritisch oder fern gegenüberstehen, sondern manchmal auch von den eigenen Leuten. Man darf allerdings nicht vergessen, dass dieser Bau wirklich eine Anstrengung der gesamten Kirche darstellt. Sehr viele Bistümer und Gemeinden tragen Monat für Monat dazu bei, dass dieses Vorhaben abgeschlossen werden kann. Das kann manchmal schon zu einer Belastung für die Bistümer und somit auch für die Priester und Gemeinden werden.

Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite, ob wir es kritisieren oder nicht, ist dieses Vorhaben das Einzige, was Rumänien in diesem Symboljahr – 100 Jahre nach dem Trianon-Vertrag – vorzuweisen hat. Richtig große Projekte, sei es in der Infrastruktur oder im Kulturbereich, gibt es im Land eigentlich nicht. Das ist natürlich für mich – nicht nur als Theologe, sondern auch als Bürger dieses Landes – ziemlich traurig, dass wir in diesem Jahr, in dem wir 100 Jahre neues Rumänien feiern dürfen, nur das vorzuweisen haben. Aber immerhin wird die Kathedrale in Anwesenheit aller orthodoxen Kirchenoberhäupter eingeweiht. Das ist natürlich eine gute Nachricht, aber dass wir nur das auf die Beine gestellt haben, ruft bei mir schon eine ganze Reihe von Fragen hervor, warum in anderen Gebieten nicht etwas Ähnliches möglich ist.

Im nächsten Jahr liegt der Zusammenbruch des sozialistischen Regimes 30 Jahre zurück. Sie arbeiten an einem Institut zur Aufarbeitung der sozialistischen Jahrzehnte und ihrer Verbrechen – wie ist der Stand dazu in Rumänien?
Wir sind immerhin nicht mehr am Anfang der Aufarbeitung, aber offensichtlich nicht allzu weit. Wie auch anderorts zu beobachten ist, gestaltet sich der Umgang mit dem Kommunismus und seinen Verbrechen – weltweit über hundert Millionen Opfer! –, gelinde gesagt, sehr ambivalent. Es gibt viele Menschen, die entweder meinen, dass der Kommunismus eine schlecht umgesetzte großartige Idee war, oder einfach die kriminelle Dimension dieser mörderischen Ideologie strikt verneinen oder zumindest totschweigen. Wie der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck in einem in Bukarest gehaltenen Vortrag sagte, setzen wir gegenüber dem Kommunismus zweierlei Maß an. Was Rumänien betrifft, so versucht unser Institut auf drei Ebenen aktiv zu sein: Erstens untersuchen wir die Ideologie und geschichtliche Realität des Kommunismus. Dabei spielt die Kette der institutionellen und persönlichen Verantwortungen eine entscheidende Rolle, denn diese hat dazu geführt, dass eine vermeintlich großzügige Vision in der Praxis zum Massenmord führte. Da die Verbrechen des Kommunismus zweitens keine rein theoretische Angelegenheit sind, graben wir buchstäblich die Opfer der proletarischen Diktatur aus. Mit archäologischen und genetischen Mitteln versuchen wir die Identität der Opfer zu ermitteln. Dazu haben wir eine nationale ADN-Datenbank angelegt. Drittens: Auch wenn eine juristische Bestrafung in den meisten Fällen fast unmöglich ist, da die Verantwortlichen nicht mehr leben, bleibt die Kultur der Erinnerung als eine letzte Form der Justiz. Wir versuchen, die jungen Generationen zu erreichen, und planen in Bukarest ein Museum der Verbrechen des Kommunismus in Rumänien. Der Weg dorthin scheint jedoch lang zu sein.

Radu Preda, Lehrstuhlinhaber für orthodoxe Sozialtheologie an der Babes-Bolyai-Universität in Cluj/Klausenburg und seit 2014 Präsident des staatlichen Instituts zur Erforschung der kommunistischen Verbrechen in Bukarest.