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Die Autokephaliefrage der Ukrainischen Orthodoxen Kirche: Plädoyer für einen sozialethischen Ansatz

13. Dezember 2018
Cezar Marksteiner-Ungureanu

Ein orthodoxer Theologe hat einmal gemeint, dass man die ganze Macht des Hl. Geistes mobilisieren müsse, damit zwei Orthodoxe friedlich und konfliktlos zusammenarbeiten könnten. Diese Aussage erscheint heutzutage gültiger denn je. Dass am 15. Oktober das Moskauer Patriarchat die eucharistische Gemeinschaft mit dem Patriarchat von Konstantinopel aufgehoben hat, ist nicht zuletzt auf einen Mangel an Dialog bzw. Konsens hinsichtlich der Frage nach der Autokephalie der Orthodoxen Kirche in der Ukraine zurückzuführen. Wenn man sich die von den Orthodoxen Kirchen getroffenen synodalen Entscheidungen genau ansieht, sind diese vorwiegend entweder kanonisch oder geschichtlich begründet. Was dabei zu wenig Beachtung findet, ist die konkrete Situation der Menschen und die zukünftige Entwicklung der Kirche: Die jetzige Situation, in der es in einem Land drei verschiedene orthodoxen Kirchen gibt, schwächt das Potenzial der Kirche vor Ort, aber auch eine neue Nationalkirche, die wiederum Nationalismus verbreitet, bringt auf pan-orthodoxer Ebene nichts. Ohne diese sehr komplexe Problematik der Autokephalie an sich behandeln zu wollen, möchte ich die folgende Frage aufgreifen: Könnte ein sozialethischer Ansatz, der von dem realen Zustand der Menschen ausgeht, zu einer Kompromisslösung führen, so dass die Einheit der Orthodoxie weiterhin gewährleistet ist? Vor allem dann, wenn es sich nicht um ein rein historisches oder kanonisches Problem handelt, wie der Fall der Ukraine zeigt.

  • Wie sollte die Ukrainische Orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchat) reagieren, wenn die Politik des Staates (Russland), in dem sie kanonisch und verwaltungsmäßig beheimatet ist, gegen ihre eigenen (ukrainischen) Mitglieder ausgerichtet ist? Dass diese Orthodoxe Kirche in geostrategischen Fragen Russland nicht kritisieren kann, erscheint nachvollziehbar: Aufgrund der engen Beziehung zwischen dem Staat und der Russischen Orthodoxen Kirche war es letztendlich zu erwarten, dass die Ukrainer irgendwann ihre kirchliche Unabhängigkeit von Moskau verlangen werden. Außerdem sind seit dem Beginn des Konflikts in der Ostukraine 2014 die antirussischen Gefühle in der Ukraine zusätzlich gewachsen. Diese Feststellung erscheint allerdings auf der kirchlichen Argumentationsebene kaum als Ausgangspunkt zu gelten, sonst würden die beteiligten Patriarchate auch anders, nicht nur kanonisch und historisch argumentieren.
  • Ich plädiere daher für die Einbeziehung eines sozialethischen Ansatzes in diesen Konflikt. In einem derartigen Ansatz stellt sich die Frage nach dem gerechten Handeln der (orthodoxen) Kirchen, so dass diese einen Beitrag zur Schaffung einer gerechten Ordnung leisten können. Um eine gerechte Ordnung (soweit es in diesem Fall möglich ist) aufbauen zu können, die sich zugunsten aller Menschen und Institutionen auswirkt, müssen gewisse verpflichtende Kriterien erfüllt werden. Das allerwichtigste Kriterium muss dabei der Schutz des Lebens der Menschen und ihrer Würde darstellen. Diese sind aufgrund des Kriegszustandes, in dem sich die Ukraine derzeit befindet, in großer Gefahr und müssen von den vor Ort präsenten Kirchen immer wieder thematisiert werden. Ausgehend von dieser Realität sollten die Patriarchate nicht primär fragen, ob und inwieweit gemäß der Tradition richtig gehandelt wird, sondern: Kann eine kirchlich-autokephale neue Struktur in der Ukraine überhaupt etwas zum Schutz des Menschen, zum Friedens- und Versöhnungsprozess beitragen? Selbstverständlich muss ein sozialethischer Ansatz auch gewisse kanonische und historische Voraussetzungen erfüllen, sonst verliert er seine Legitimität.
  • Das aufgrund der raschen Eskalation der kirchlichen Krise bestehende Dialogdefizit weist letztlich auf eine gravierende Krise des orthodoxen synodalen Systems hin. Diese Krise, die zur Spaltung geführt hat, kann nur durch ein (sozial)ethisches Korrektiv bewältigt werden, d.h. einen Ansatz, der sich durch Dialog- und Kompromissbereitschaft für die Menschen in Not auszeichnet und sich ihnen mit besonderem Nachdruck zuwendet. Wenn sich bis zum jetzigen Zeitpunkt kein Patriarchat gefunden hat, das als Vermittler in diesem Konflikt auftreten kann, erscheint die Einberufung eines pan-orthodoxen Konzils als einziger kirchlicher Versuch, um eine ethische Verhandlungsbasis zu schaffen und einen Kompromiss in diesem Konflikt zu schließen.

Wird diese sozialethische Ebene weiterhin ausgeblendet und nicht in die offiziellen Verhandlungen einbezogen, besteht eine doppelte Gefahr: Einerseits lässt sich ein für die Orthodoxie katastrophaler Ausgang nicht vermeiden, der den Verlust der Einheit zugunsten nationalistischer Strömungen auf unbestimmte Zeit nach sich ziehen könnte; anderseits ist es wahrscheinlich, dass dieser inner-orthodoxe Konflikt als ein Grund für einen militärischen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland instrumentalisiert wird.

Cezar Marksteiner-Ungureanu ist Universitätsassistent (Praedoc) am Institut für Systematische Theologie und Ethik (Schwerpunkt: Sozialethik) an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

Bild: © der knopfdrücker.