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Armenien: Bischof will als Ministerpräsident kandidieren

30. Mai 2024

Die Protestbewegung Tavusch für das Mutterland hat am 26. Mai eine weitere Massenkundgebung auf dem Platz der Republik in Jerewan veranstaltet, an der über 23‘000 Menschen teilnahmen. Dort hat ihr Anführer Erzbischof Bagrat Galstanjan angekündigt, dass er als Ministerpräsident kandidieren will, nachdem er solche Ambitionen noch vor kurzem bestritten hatte. Er erklärte, die Armenische Apostolische Kirche darum gebeten zu haben, seinen „seit 30 Jahren dauernden spirituellen Dienst einzufrieren“. Bei Gesprächen mit Katholikos Karekin II., dem Oberhaupt der Kirche, und weiteren Geistlichen seien sie zum Schluss gekommen, er könne nicht als Priester für den Posten des Ministerpräsidenten kandidieren, deshalb sistiere seine Priesterschaft.

Die Kirche bestätigte in einem Statement vom 27. Mai, dass Erzbischof Bagrat um die Suspendierung seines spirituellen Dienstes gebeten habe. Die Kirchenleitung habe daraufhin entschieden, dass er Bischof bleibe, aber sein kirchlicher und administrativer Dienst seien ausgesetzt worden. Einer Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten steht jedoch noch seine armenisch-kanadische doppelte Staatsbürgerschaft im Weg. In seiner Rede kündigte Galstanjan an, entsprechend den Anforderungen des Gesetzes und mit allen möglichen rechtlichen Mitteln vorgehen zu wollen.

Erzbischof Bagrat hat seine Ausbildungen in Großbritannien und Kanada absolviert und diente als Leiter der kanadischen Eparchie der Armenischen Apostolischen Kirche. Schon länger ist er in Armenien öffentlich sichtbar, da er der erste Leiter der Medienabteilung der Kirche war. Danach übernahm er die Leitung der nördlichen Eparchie Tavusch, wo er für sein soziales Engagement auf lokaler Ebene bekannt wurde. Zunächst schien er den heutigen armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan zu unterstützen. Ab 2020, als die Kämpfe um Berg-Karabach wieder begannen, änderte sich das, so sprach der Erzbischof 2022 an einer Kundgebung der Opposition. 2023 bemängelte er in einem Interview die inexistente Beziehung zwischen der Kirche und dem Staat.

Die aktuellen Proteste, die größten seit der Samtenen Revolution 2018, wurden vom Beginn eines Grenzbereinigungsprozesses zwischen Armenien und Aserbaidschan ausgelöst. In Tavusch sollten mehrere unbewohnte Dörfer, die seit dem Krieg in den 1990er Jahren unter armenischer Kontrolle waren, an Aserbaidschan zurückgegeben werden. Die lokale Bevölkerung fürchtet um ihre Sicherheit und begann im April gegen die Übergabe zu protestieren, unter anderem mit Straßenblockaden. Die Bewegung Tavusch für das Mutterland wurde am 20. April 2024 gegründet und begann einen Marsch in die Hauptstadt, um dort ihre Forderungen zu vertreten. Allerdings bleiben die genauen Forderungen Galstanjans und der Protestbewegung – abgesehen von der Forderung nach Paschinjans Rücktritt –vage. Es scheint auch keinen Plan oder eine Strategie für die nächste Zeit zu geben. (NÖK)