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Schweiz: Neues Zentrum für das Studium der Ostkirchen in Fribourg

05. April 2018
Wozu ein "Zentrum für das Studium der Ostkirchen" am bereits bestehenden "Institut für Ökumenische Studien" (ISO) an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg Schweiz? Das ISO verdankt seine Gründung der ökumenischen Selbstverpflichtung der katholischen Kirche während des Zweiten Vatikanischen Konzils und konnte 2014 sein 50-jähriges Bestehen feiern. Während an vielen anderen Orten die ökumenische Arbeit hinter der Aufmerksamkeit für den interreligiösen Dialog zurücktritt, zeigt sich in Fribourg eine wachsende Dynamik: 2014 wurde unter Leitung von Walter Dürr ein "Studienzentrum für Glaube und Gesellschaft" am ISO gegründet. Die Initiative ging von der reformierten "Landeskirchlichen Gemeinschaft jahu" aus, die mit einer größeren Zahl von Studierenden an der Fakultät vertreten ist, verbunden mit einem wachsenden Interesse evangelikal und freikirchlich orientierter Personen am Studium der katholischen Theologie in Fribourg. Das Studienzentrum für Glaube und Gesellschaft finanziert sich über Drittmittel und hat bereits eine schweizweite und internationale Ausstrahlung gewonnen, nicht zuletzt durch die jährlich angebotenen "Studientage zur kirchlichen und gesellschaftlichen Erneuerung" mit Hunderten von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aller christlichen Traditionen, jeweils im Juni an der Universität Fribourg (www.glaubeundgesellschaft.ch).

Das starke Engagement des ISO in der Zusammenarbeit mit den Ostkirchen wurde durch das neue Studienzentrum beflügelt, das Interesse und Engagement besonders bei den orthodoxen Doktoranden hervorrief. So entstand die Idee, auch die Initiativen im Hinblick auf die ostkirchliche Theologie und die Zusammenarbeit mit den Ostkirchen institutionell zu stärken und besser sichtbar zu machen. So erfolgte am 6. Dezember 2017, dem Nikolaustag, die offizielle Gründungsfeier des "Zentrums für das Studium der Ostkirchen"; die konstituierende Sitzung fand am 8. März statt. Zur Direktorin wurde Barbara Hallensleben gewählt, die neben der Dogmatik an der Theologischen Fakultät in Fribourg auch die "Theologie der Ökumene" unterrichtet und Konsultorin des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen sowie Mitglied der Gemeinsamen internationalen Kommission für den theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche ist.

Zum Ehrenpräsidenten des neuen Studienzentrums wurde Prälat Nikolaus Wyrwoll ernannt; damit wird die Kontinuität zum Ostkirchlichen Institut Regensburg (OKI) unterstrichen: Vom OKI hat das ISO nicht nur viel gelernt; es hat auch die Regensburger Archive übernommen, die zur weiteren Erforschung von 50 Jahren Ostkirchenarbeit zur Verfügung stehen. Außerdem wird in Zusammenarbeit mit Wyrwoll der Katalog ORTHODOXIA aller orthodoxen Bischöfe weltweit am neuen Studienzentrum aktualisiert und auch online unter www.orthodoxia.ch zugänglich gemacht. Vor allem aber hat das "Zentrum für das Studium der Ostkirchen" die strukturelle Ausrichtung des OKI übernommen: Es ist keine Einrichtung zur Ausbildung in orthodoxer Theologie durch orthodoxe Theologen, aber auch kein Zentrum westlicher Ostkirchenexperten. Vielmehr bietet es im Rahmen katholischer Theologie eine akademische Plattform, damit orthodoxe Theologinnen und Theologen Kirche und Theologie des Westens aus eigener Erfahrung kennenlernen und ihre eigene kirchliche und theologische Tradition aus der Perspektive der "Diaspora" neu durchdenken, kreativ weiterentwickeln und als eigenständige Akteure dialogisch vertreten können.

Das Direktorium ist interdisziplinär und interfakultär zusammengesetzt: ihm gehören die Professorin für Kirchenrecht und Expertin für das Recht der katholischen Ostkirchen, Astrid Kaptijn, Angela Berlis vom Institut für Christkatholische Theologie der Universität Bern und Joachim Negel, Direktor des ISO, an; Konstantin Delikostantis ist als Vertreter des "Instituts für höhere Studien in orthodoxer Theologie" am Orthodoxen Zentrum in Chambésy bei Genf angefragt. Zum orthodoxen Vizedirektor wurde Stefan Constantinescu gewählt, ein orthodoxer Doktorand aus Rumänien, der als Koordinator des Doktoratsprogramms DE CIVITATE HOMINIS mit den orthodoxen Forschenden der Fakultät eng verbunden ist. Wichtig für die Arbeit des Studienzentrums ist nicht zuletzt das "erweiterte Direktorium", in dem überwiegend orthodoxe Forscher sich um Mitgliedschaft bewerben können, um an Projekten des Zentrums mitzuwirken und von den Kompetenzen ihrer Kollegen zu profitieren.

Das neue Zentrum für das Studium der Ostkirchen wird sich keineswegs nur mit inneren Fragen der orthodoxen Weltsicht befassen, sondern diese in einen konstruktiven Austausch mit allen Fragen der Theologie bringen. Dafür bürgt die ständige Vernetzung mit dem ISO und mit dem Studienzentrum für Glaube und Gesellschaft. Das gemeinsame Anliegen des ISO und seiner beiden Studienzentren lautet: Wie entwickeln wir gemeinsam eine Theologie, die in der heutigen Welt glaubwürdig das Evangelium bezeugt und auslegt und damit eine große Hoffnung für die ganze Schöpfung lebendig hält? Wie gestalten wir eine theologische Ausbildung in ökumenischer Verantwortung? Wie tragen wir den kirchlichen und gesellschaftlichen Wandel im Hinblick auf eine gelungene Erneuerung mit? Durch die verschiedenen Denkformen, Spiritualitäten und Ausdrucksweisen des Glaubens regen sich die Mitglieder der verschiedenen Zentren ökumenischer Arbeit gegenseitig an, nach dem Wesentlichen des Glaubens zu fragen, nach Gottes Heil für die ganze Schöpfung. So verwirklicht sich die Ökumene als "Austausch der Gaben" und als Bereitschaft, die Begrenztheit der eigenen Sprach-, Denk- und Lebenswelt anzuerkennen. Das Zentrum für das Studium der Ostkirchen hat daher als Patron Nikolaus von Myra gewählt, den wohl in Ost und West am meisten verehrten Heiligen.

An Arbeit wird es dem Zentrum St. Nikolaus nicht fehlen. Neben der Aktualisierung des Katalogs ORTHODOXIA wird die deutsche Übersetzung und kommentierte Ausgabe von Sergij Bulgakov (1871-1944) weitergeführt. Zudem übernimmt das Zen-trum die Verantwortung für die Zusammenarbeit im Rahmen eines gemeinsamen Masterprogramms mit dem "Institut d'études supérieures en théologie orthodoxe" in Chambésy sowie mit der Aspirantura/Doktorantura am Moskauer Patriarchat und seinem Rektor Metropolit Hilarion (Alfejew), der Titularprofessor der Theologischen Fakultät Fribourg ist. Weitere Partner sind die orthodoxen Fakultäten und Institute in Minsk, Paris (St. Serge), Sofia, Thessaloniki und Cluj. Ein aktuelles Pionierprojekt ist die Einrichtung einer Begleitung für orthodoxe Theologiestudierende an der Universität Fribourg mit einer eigenen Kapelle, die dank der Gastfreundschaft der Gemeinschaft "Chemin neuf" im Studentenwohnheim Salesianum Platz gefunden hat. Zu den Publikationsprojekten gehören ferner die Veröffentlichung der Tagungsbeiträge der internationalen Tagung zur Synodalität im November 2017, die deutsche Übersetzung und Veröffentlichung von Beiträgen des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus; ein Buch zur Orthodoxie in der Diaspora (von Noël Ruffieux).

as diesjährige Schwerpunktthema des Zentrums St. Nikolaus ist die Relecture des Konzils von Ferrara-Florenz (1439-45): Wie kann aus dem gescheiterten Versuch der damaligen "Union" zwischen Lateinern und Griechen heute eine gelungene Communio/Koinonia werden? Bei einem internationalen Studientag am Collège des Bernardins in Paris war die Bereitschaft wahrzunehmen, sich mit den historischen Ereignissen und ihrer Bedeutung neu und unvoreingenommen auseinanderzusetzen. Barbara Hallensleben betonte in ihrem Referat, dass besonders die großen Wandlungen in West und Ost kurz nach dem Florentinum zu berücksichtigen sind: der Fall Konstantinopels einerseits und die vorreformatorischen und reformatorischen Verlagerungen der Aufmerksamkeit auf die westliche Kirchenspaltung andererseits. Im September wird das Zentrum St. Nikolaus gemeinsam mit "Pro Oriente" (Wien) ein Expertengespräch zum weiteren Studium der Fragen in Florenz durchführen. Die Homepage des neuen Zentrums ist in Vorbereitung und wird unter www.unifr.ch/orthodoxia zugänglich sein. (© 2016 KNA. Alle Rechte vorbehalten.)