Skip to main content

Russland: Orthodoxe Kirche kritisiert Körperwelten-Ausstellung

08. April 2021

Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) hat die Ausstellung „Körperwelten“ negativ beurteilt, sie spricht ihr vor allem ab, Bildungs- oder aufklärerische Ziele zu verfolgen. Die Ausstellung sei eine „provokative Show mit Schockgehalt“, findet Vachtang Kipschidze, der stellv. Leiter der Synodalabteilung für die Zusammenarbeit der Kirche mit der Gesellschaft und den Medien. Künftige Besucher*innen der Ausstellung sollten sich überlegen, ob eine solche Zurschaustellung nicht die „menschliche Würde herabsetzt, über die nicht nur die Lebenden, sondern auch die Toten verfügen“.

Vladimir Legojda, der Vorsitzende der besagten Synodalabteilung, erklärte, die Reaktion auf die Ausstellung gehe über den Rahmen der „Gefühle von Gläubigen und nicht gläubigen Menschen“ hinaus und habe eher mit der „kulturellen Ebene“ zu tun. Der Umgang mit dem menschlichen Körper nach dem Tod dürfe nicht ausschließlich kommerziell sein. Diesen Standpunkt vertritt auch Kipschidze, denn der „Respekt vor Überresten des menschlichen Körpers beschränkt sich nicht ausschließlich auf Gläubige“.

In der Ausstellung Körperwelten sind echte menschliche Körper zu sehen, die durch die sog. Plastination konserviert sind. Das Verfahren wurde vom deutschen Mediziner Gunther von Hagens entwickelt, der auch Schöpfer der Ausstellung ist. Die ersten plastinierten Körper waren 1995 in Tokio zu sehen, inzwischen konnte Körperwelten in 35 Ländern an über 50 Ausstellungsorten besucht werden. Immer wieder erntet die Ausstellung Kritik, von Hagens betont jedoch seine Bildungs- und Aufklärungsabsichten sowie dass die ausgestellten Körper von Freiwilligen gespendet wurden. In Moskau ist Körperwelten zum ersten Mal zu sehen. Die Ausstellung auf dem VDNH-Gelände öffnete am 12. März 2021 ihre Tore.

Der Leiter des Untersuchungskomitees der Russischen Föderation, Alexander Bastrykin, hat eine Untersuchung angeordnet, um die Ausstellung rechtlich zu beurteilen. In verschiedenen Medien seien negative Kommentare zur Ausstellung wiedergegeben worden; „Aktivisten“ fänden, sie „verletzt moralische Werte, drückt eine offensichtliche Respektlosigkeit gegenüber der Gesellschaft aus und kann als Verletzung religiöser Gefühle von Gläubigen beurteilt werden“. Es gebe auch eine Petition mit der Forderung, die Ausstellung zu schließen. Daher solle untersucht werden, ob die Ausstellung der russischen Gesetzgebung entspreche. Kipschidze begrüßte das Vorgehen, es sei eine „angemessene Reaktion“ auf die gesellschaftliche Reaktion.

Nicht nur die ROK kritisierte die Ausstellung, so hat die fundamentalistische orthodoxe Bewegung „Sorok sorokov“ die Generalstaatsanwaltschaft gebeten, die Ausstellung zu beurteilen. Am Tag der Eröffnung wandte sich auch die Partei Kommunisten Russlands mit der Bitte an die Moskauer Stadtverwaltung, die Generalstaatsanwaltschaft und das Kulturministerium, die Ausstellung zu verbieten. Eine „Sammlung von Leichen einst lebendiger Menschen“ entspreche nicht dem Geist des Ausstellungsgeländes, wo eine „positive Atmosphäre der Erholung“ herrsche. Solche Veranstaltungen sollten sich an ein enges Fachpublikum richten, aber ein Schockelement an einem Ort der Massenerholung zu platzieren sei „blasphemisch und leichtfertig“. Kritik kam auch vom Leiter des Menschenrechtsrats des Präsidenten, die Ausstellung verstoße möglicherweise gegen das Gesetz zum Schutz von Kindern vor Informationen, die ihrer Gesundheit und Entwicklung schaden. Auch der Duma-Abgeordnete Nikolaj Zemtsov von Einiges Russland forderte die Generalstaatsanwaltschaft zu einer Untersuchung auf, da er einen Verstoß gegen Art. 244 des Strafgesetzes, Blasphemie gegen Körper von Verstorbenen, befürchtet.

Die Ausstellungsfirma Roteks, die Körperwelten in Moskau organisiert, beteuert, die Ausstellung entspreche den russischen Gesetzen. Sie betont das „kolossale wissenschaftliche Potential“ von Körperwelten, deren Hauptziel es sei, dass die Besucher*innen etwas über den grundlegenden Aufbau des menschlichen Körpers erfahren und wissenschaftliche Kenntnisse über anatomische und physiologische Eigenschaften des menschlichen Organismus erwerben.

Aufgrund der zahlreichen Reaktionen entschied der Veranstalter, ab dem 9. April Minderjährigen den Zutritt nur in Begleitung ihres gesetzlichen Vormunds zu erlauben. Kinder unter zwölf Jahren dürfen die Ausstellung gar nicht mehr besuchen. In der ersten Woche hatte die Ausstellung 11‘000 Besucher*innen angezogen, sie soll noch bis Januar 2022 dauern. (NÖK)