Russland: Aufführungsverbote aufgrund der Verletzung religiöser Gefühle
Der Vorsitzende der Patriarchalkommission für Familienfragen und den Schutz von Mutterschaft und Kindheit, Priester Fjodor Lukjanov, möchte die Solo-Konzerte von Till Lindemann in Russland verbieten lassen. Der Sänger der Band Rammstein propagiere in seinen Liedern Abtreibungen und Hass gegen Kinder, begründete Lukjanov auf Instagram seine Forderung. Lindemann hätte am 26. Januar in Novosibirsk und am 28. Januar in Moskau auftreten sollen, die Konzerte wurden aber kurzfristig auf unbestimmte Zeit verschoben, aufgrund der epidemiologischen Lage wie es auf dem Instagram-Account des Sängers heißt.
Juristen und Experten der Patriarchalkommission haben laut Lukjanov „zahlreiche und grobe Verstöße gegen die geltende Gesetzgebung“ festgestellt und von den Behörden eine Absage der Konzerte gefordert. Lukjanov rief dazu auf, sich der Aktion „Till, bleib zuhause!“ (Тилль, оставайся дома) in den sozialen Medien zu beteiligen. Das Werk des Sängers habe eine „destruktive Richtung“ erklärte der Priester, dabei verwies er auf den Namen der Tour „Ich hasse Kinder“ und das gleichnamige Lied sowie das Lied „Praise Abort“. Einem „deutschen Künstler eine Plattform für Propaganda für Abtreibungen gegenüber russischen Menschen zu bieten, ist unzulässig“, erklärte Lukjanov weiter.
Bereits verboten wurde ein Video mit dem amerikanischen Musiker Marilyn Manson. In dem Youtube-Video „Marilyn Manson Bible Speech“ ist eine Rede Mansons über die Bibel an einem Konzert von 1998 zu hören, unterlegt mit einer Foto-Slideshow. Darunter ist ein Bild, auf dem Manson Seiten aus einer Bibel reißt, sowie Bilder, auf denen er als Papst oder Antichrist posiert. Den Antrag auf das Verbot hatte die Anklagebehörde gestellt. Ein Bezirksgericht in St. Petersburg entschied, dass die Handlungen der „unbekannten Person“, die „einen Gegenstand der religiösen Verehrung zerstört“, gegen das Gesetz über Gewissens- und Religionsfreiheit sowie den Artikel über das Schüren von Hass und Feindschaft verstößt, da es die Gefühle von Gläubigen verletzt. In Russland ist das Video inzwischen offenbar blockiert.
Im letzten Jahr war eine ganze Reihe von Trickfilmen, insbesondere Animes, von Gerichten in St. Petersburg verboten worden, da sich ihre Inhalte negativ auf die Gesundheit und Psyche von Minderjährigen auswirken würden. Betroffen waren unter anderem Filme und Serien wie „Happy Tree Friends“, „Attack on Titan“, „Dante’s Inferno“, „Death Note“ und sogar Klassiker wie „Akira“. Aber auch Fernsehsendungen gerieten ins Visier der Behörden. So wurde im Januar in Moskau der ehemalige Programmdirektor und Moderator des Senders Muz-TV, ein russischer Musiksender nach dem Vorbild von MTV, ebenfalls wegen der Verbreitung von Medienprodukten, die die Gesundheit und Entwicklung von Kindern gefährden, zu einer Geldstrafe von 5000 Rubeln verurteilt. Im November war er bereits wegen „Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen“ gegenüber Minderjährigen zu einer wesentlich höheren Geldstrafe verurteilt worden. Der Sender selbst wurde mit einer Buße von 1 Mio. Rubeln belegt.
2021 wurden mehrere Personen wegen der Verletzung religiöser Gefühle angeklagt oder geahndet, weil sie anstößige Fotos vor Kirchengebäuden in den sozialen Medien veröffentlicht hatten. Im neusten Fall posierte eine Frau in Unterwäsche und einem offenen Mantel vor der Hauptmoschee in Moskau, ein Video der Fotosession tauchte im Nachrichten- und Chatdienst Telegram auf. Der Moskauer Untersuchungsausschuss hat daraufhin ein Verfahren wegen des „Verstoßes gegen das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit durch offene Respektlosigkeit gegenüber der Gesellschaft, mit dem Ziel, die Gefühle von Gläubigen zu verletzen“ eröffnet. Die Identität der Verdächtigen sei festgestellt worden und sie werde bald zum Verhör geladen.
Der Vorsitzende der Geistlichen Versammlung der Muslime in Russland, der Moskauer Mufti Albir Krganov, rief die an der Fotosession Beteiligten auf, über die Folgen ihres Handelns nachzudenken. Zwar könne man Gott nicht beleidigen, man könne sich nur selbst blamieren. Aber radikale Gläubige könnten auf diese Weise provoziert werden, was „sogar zu einer Tragödie führen kann“, gab Krganov zu bedenken. Die offensichtliche Verletzung religiöser Gefühle müsse gesellschaftlich getadelt werden, denn solche Vorfälle dürften nicht die Norm werden. Die Vorsitzende des Verbands der Musliminnen Russlands bezeichnete die Aktion als „Ungezogenheit“ und regte an, unangemessenes Verhalten in der Umgebung religiöser Einrichtungen zu bestrafen, indem die Betreffenden während eines Jahres in der jeweiligen Einrichtung gratis arbeiten müssten. Zudem forderte sie Aufklärungsarbeit in den Schulen. (NÖK)