Russland: Föderation der jüdischen Gemeinden kritisiert Bischof Tichon
Mit Entsetzen hat die Föderation der jüdischen Gemeinden Russlands auf die Aussage von Bischof Tichon (Schevkunov) reagiert, wonach ein Großteil der Untersuchungskommission zur ermordeten Zarenfamilie keinen Zweifel habe, dass die Tat ein Ritualmord gewesen sei. Die Föderation verurteilte die Äußerung als „schockierenden Ausdruck eines antisemitischen Mythos“.
An einer Konferenz in Moskau hatte Bischof Tichon gesagt, der als Beichtvater von Präsident Putin gilt: „Wir nehmen die Theorie eines Ritualmords äußerst ernst.“ Sekundiert wurde er von Marina Molodtsova, einer leitenden Ermittlungsbeamtin der Kommission, die erklärte, dass die Kommission „eine psychohistorische Untersuchung“ durchführen werde, um herauszufinden, ob die Hinrichtung der Zarenfamilie 1918 ein Ritualmord gewesen sei.
Obwohl weder Bischof Tichon noch Molodtsova direkt eine jüdische Verstrickung erwähnten, ist der Begriff „Ritualmord“ in Russland mit eindeutig antisemitischen Klischees konnotiert. Darauf wies Boruch Gorin, ein Sprecher der Föderation der jüdischen Gemeinden Russlands, hin: „Mythen über die Existenz eines Ritualmords sind mit unterschiedlichen Kulten und Religionen verbunden“, aber in Bezug auf die russische Geschichte ist das „ein absolut judaophober Mythos, der während mehrerer Jahrzehnte als Teil der antisemitischen Propaganda genutzt wurde.“ Die Behauptung eines Ritualmords bezeichnete Gorin als „absolut absurd“, da die Bolschewiki „völlig Atheisten“ gewesen seien. „Es ist schockierend, die Phrase eines Ritualmords 100 Jahre später von einer Ermittlerin der Untersuchungskommission und von einem hochrangigen Hierarchen der Russischen Orthodoxen Kirche zu hören“, so Gorin weiter.
Da in den letzten Jahren immer wieder Zweifel an der Echtheit der sterblichen Überreste der Zarenfamilie aufgekommen waren, hatte ein russisches Gericht 2010 eine Neuuntersuchung des Mords an dem Zaren und seiner Familie angeordnet. In der Untersuchungskommission ist auch die Russische Orthodoxe Kirche vertreten, die erst nach dem Abschluss der Untersuchungen definitiv über die Echtheit der sterblichen Überreste entscheiden will, wie Metropolit Ilarion (Alfejev) nach Abschluss der Bischofsversammlung in Moskau erklärte. (NÖK)